- 1. Historischer Kontext
- 1.1 Die religionspolitische Situation in Frankreich zu Beginn der 1570er Jahre
- 1.2 Die Bartholomäusnacht und ihre Folgen (August-Oktober 1572)
- 1.3 Der vierte Religionskrieg (November 1572-Juni 1573)
- 1.4 Friedensverhandlungen und Erlass des Edikts (Juni/Juli 1573)
- 1.5 Rezeption und Bedeutung des Edikts von Boulogne
- 2. Unterzeichner und Unterhändler
- 2.1 Unterzeichner
- 2.2 Unterhändler
- 3 Inhalt
- 4. Überlieferung und Textvorlage
- 4.1. Französischer Text
- 4.1.1 Handschrift
- 4.1.2 Drucke
- 4.1.3 Textvorlage
- 4.2. Deutsche Übersetzung
- 4.2.1 Drucke
- 4.2.2 Textvorlage
- 5. Literatur
- 5.1. Editionen
- 5.1.1 Französischer Text
- 5.1.2 Deutsche Übersetzung
- 5.2 Forschungsliteratur (Auswahl)
Historischer Kontext↑
Die religionspolitische Situation in Frankreich zu Beginn der 1570er Jahre
Der dritte Religionskrieg in Frankreich war im August 1570 mit dem Edikt von Saint-Germain beendet worden.1 Manches sprach dafür, dass eine Befriedung des Königreichs gelingen könnte: Karl IX. ordnete wiederholt die Befolgung des Edikts an2 und richtete Kommissionen für die Umsetzung ein.3 Im königlichen Rat hatten Befürworter dieser Politik großen Einfluss; Mitglieder des Adelshauses Guise, die sich zuvor gegen die Duldung Evangelischer engagiert hatten,4 hatten sich zurückgezogen.5 Die Königinmutter Katharina von Medici versuchte zudem Hochzeiten zu arrangieren, die den religiösen Ausgleich fördern sollten: Katharinas Tochter Marguerite de Valois sollte Heinrich von Navarra heiraten, den Sohn der reformatorisch gesinnten Jeanne d’Albret, Königin von Navarra; Katharinas Sohn Henri de Valois, duc d’Anjou, sollte die englische Königin Elisabeth I. zur Frau nehmen.6
Die Friedensbemühungen trafen jedoch bei Evangelischen wie Altgläubigen auf Misstrauen: Evangelische zweifelten an den friedlichen Absichten Königs Karl IX. und stellten die Autorität antievangelisch agierender Obrigkeiten in Frage.7 Das wiederum verstärkte auf altgläubiger Seite die Wahrnehmung Evangelischer als Aufrührer.8 Prediger und bewaffnete Laienbruderschaften wandten sich gegen die Duldung Evangelischer in Frankreich.9 Besonders aufgeladen war die Stimmung in Paris: Anlässlich der geplanten Entfernung des Gastines-Kreuzes, eines altgläubigen Symbols für die Hinrichtung Evangelischer, erhoben sich massive Proteste.10
Insofern stieß es auf Argwohn, als 1571 der evangelisch gesinnte Gaspard de Coligny an den Hof zurückkehrte.11 Seinem Einfluss schrieben altgläubige Beobachter ebenso die schließlich erfolgte Versetzung des Gastines-Kreuzes12 zu wie die außenpolitische Entwicklung:13 Zur Absicherung gegen Hegemonialansprüche Spaniens erwog Karl IX. eine Allianz mit evangelischen Reichsfürsten, schloss ein Verteidigungsabkommen mit England und verhandelte mit Ludwig von Nassau über ein Bündnis mit niederländischen Evangelischen in deren Kampf gegen die spanische Obrigkeit.14 Als Ludwig von Nassau dann im Mai 1572 Truppen französischer Evangelischer in die Niederlande führte, befürchtete man in Frankreich einen Krieg gegen Spanien.15
Die Bartholomäusnacht und ihre Folgen (August-Oktober 1572)
Die Hochzeit von Marguerite de Valois und Heinrich von Navarra am 18. August 1572 war von Friedenssymbolik geprägt.16 Viele evangelische Adlige hielten sich in Paris auf und nahmen an den Festlichkeiten teil, was die örtliche Bevölkerung mit Misstrauen beobachtete. Altgläubige Prediger schilderten die Hochzeit als Verrat am wahren Glauben und kündigten Gottes Rache an.17
Es folgten die als »Bartholomäusnacht« bezeichneten Ereignisse, deren innerer Zusammenhang und deren Hintergründe bis heute umstritten sind:18 Am 22. August wurde ein Attentat auf Coligny verübt, das ihn nicht lebensbedrohlich verletzte.19 Am Abend des 23. August beschloss allerdings der königliche Rat, Coligny und weitere führende Evangelische umbringen zu lassen. Wie dieser Beschluss zustande kam, ist nicht eindeutig: Wahrscheinlich spielte die Angst vor einer Racheaktion evangelischer Adliger, die Soldaten vor Paris stationiert hatten, eine Rolle, vielleicht auch die Hoffnung, so neue Kriegshandlungen verhindern zu können.20 Jedenfalls stand dahinter wohl allein die Absicht, bestimmte einflussreiche Personen töten zu lassen.21 Als königliche Truppen das in der Nacht zum 24. August, dem Bartholomäustag, umsetzten,22 verbreitete sich in Paris allerdings das Gerücht, der König billige die Auslöschung aller Evangelischen. Das löste eine Welle von Morden und Gewalttaten aus.23 Karl IX. erklärte zwar, die Hinrichtung Colignys und seiner Parteigänger sei aufgrund einer Verschwörung erfolgt und ändere nichts an der Geltung des Friedensedikts.24 Dennoch kam es in weiteren Städten zu Massakern an Evangelischen.25
Aus Sicht der Evangelischen erschienen alle diese Ereignisse als konzertierter, vom König befohlener Angriff.26 Ihr Vertrauen in die Krone war damit endgültig zerstört. Viele reagierten auf die Bedrohung mit Konversion oder Auswanderung. Andere sahen sich zu Widerstand gegen königliche Anordnungen berechtigt.27
Der vierte Religionskrieg (November 1572-Juni 1573)
Nach der Bartholomäusnacht flüchteten viele Evangelische in Städte, in denen die eigene Religion in der Mehrheit war.28 Besondere Bedeutung als Zufluchtsort hatte La Rochelle, das sich seit 1568 zur Hauptbasis der Evangelischen entwickelt hatte29 und ihnen im Edikt von Saint-Germain als Sicherheitsplatz zuerkannt worden war.30 Als Karl IX. den Gouverneur Armand de Gontout, seigneur de Biron, aufforderte, eine Garnison in La Rochelle aufzustellen, verweigerte der Stadtrat den Gehorsam.31 Daraufhin erklärte Karl IX. der Stadt am 6. November 1572 den Krieg.32
Biron und Admiral Escalin des Aimars begannen eine Belagerung La Rochelles zu organisieren. Das erwies sich allerdings als schwierig, da die Verteidiger Ausfälle machten.33 Die königliche Armee unter Henri de Valois, duc d’Anjou, traf erst am 11. Februar 1573 ein.34 Nun waren die Verteidiger zwar den Belagerern zahlenmäßig weit unterlegen,35 konnten ihnen aber aus der Befestigung heraus Verluste beibringen. Mehrere erfolglose Eroberungsversuche schwächten die königliche Armee.36 Im April erhielt La Rochelle zudem Unterstützung durch eine Flotte aus England.37 Die Belagerer konnten diese zwar abwehren,38 litten aber zunehmend unter Munitionsmangel, Krankheiten und disziplinarischen Problemen.39
Neben La Rochelle verweigerten weitere evangelisch dominierte Städte die Stationierung königlicher Truppen.40 Zu Belagerungen kam es jedoch nur in zwei weiteren Fällen: Sommières wurde ab Februar 1573 eingekesselt und kapitulierte im April.41 Sancerre wurde ab März ausgehungert.42 Im Süden Frankreichs hingegen konnten sich Montauban, Nîmes und eine Reihe weiterer Orte zusammenschließen und militärisch organisieren.43
Friedensverhandlungen und Erlass des Edikts (Juni/Juli 1573)
Im Juni 1573 war nicht nur absehbar, dass die Belagerung von La Rochelle nicht erfolgreich sein würde, sondern auch die Kosten wurden für die Krone zum Problem.44 Zudem war Henri de Valois, duc d’Anjou, im Mai zum König von Polen gewählt worden.45 Angesichts des dortigen Einflusses protestantischer Adliger war es für ihn wichtig, nicht als prinzipieller Gegner des evangelischen Glaubens zu erscheinen. Daher wollte er den Krieg rasch beenden.46
Mitte Juni begannen die Friedensverhandlungen.47 Der königlichen Kommission unter Leitung von René de Villequier standen Abgeordnete La Rochelles gegenüber, vielleicht auch Vertreter von Montauban und Nîmes,48 die Kontakte in die Stadt unterhielten und gegen Ende der Belagerung bereits Gespräche mit der königlichen Seite geführt hatten.49 Die evangelische Partei strebte eine Restitution des Edikts von Saint-Germain an, die königliche eine Einschränkung der Privilegien, die den Evangelischen damals gewährt worden waren.50 Letztlich einigten sich beide Seiten darauf, die Bestimmungen zur rechtlichen Gleichstellung Evangelischer beizubehalten, deren Recht zur Religionsausübung aber auf nichtöffentliche Gottesdienste in La Rochelle, Montauban und Nîmes sowie auf kleinere Anlässe in den Häusern Adliger zu beschränken.51
Ende Juni wurden die Verhandlungen beendet;52 am 6. Juli wurde die Belagerung von La Rochelle aufgehoben.53 Die Belagerung Sancerres dauerte bis zum 19. August an.54 Im Juli unterzeichnete der König im Schloss Boulogne das Friedensedikt; am 11. August wurde es im parlement von Paris publiziert.55
Rezeption und Bedeutung des Edikts von Boulogne
Das Edikt wurde durch diverse Drucke im Königreich verbreitet56 und fand durchaus Unterstützer: Hatten am Hof während der Belagerungen die Guisen dominiert, gewannen nun wieder um Frieden bemühte Persönlichkeiten wie François de Montmorency an Einfluss.57 Auf evangelischer Seite setzte sich Montauban bei den Bündnispartnern für eine Annahme des Edikts ein.58
Dennoch erwies sich das Edikt als nicht durchsetzbar: La Rochelle, Montauban und Nîmes - den einzigen Städten, in denen evangelischer Gottesdienst erlaubt blieb - wurde von ihren Verbündeten vorgeworfen, ohne Rücksprache eine für alle anderen Evangelischen nachteilige Regelung akzeptiert zu haben.59 Im August 1573 hielten südfranzösische Evangelische in Millau und Montauban Versammlungen ab und formulierten eigene Friedensbedingungen, u.a. die Rehabilitierung der im Zuge der Bartholomäusnacht Getöteten und das Recht, an weiteren Orten Gottesdienste abzuhalten.60 Der König lehnte dies ab, sandte aber Delegierte zu weiteren Verhandlungen.61
Eine Einigung zwischen der Krone und dem evangelischen Bündnis in Südfrankreich gelang jedoch nicht. Vielmehr hielt letzteres weitere politische Versammlungen ab und stellte Truppen auf.62 Am Hof gewannen gleichzeitig die Guisen an Einfluss, die jede Verständigung mit den Evangelischen ablehnten. Als deren Gegenspieler François de Montmorency unter dem Verdacht der Beteiligung an einer antiköniglichen Verschwörung gefangen genommen wurde,63 setzte der König auch dessen Bruder Henri de Montmorency, seigneur de Damville, als Gouverneur des südfranzösischen Languedoc ab.64 Daraufhin verbündete sich letzterer mit den dortigen Evangelischen.65 Der Konflikt mündete ab 1574 in Kampfhandlungen zwischen diesem Bündnis und königlichen Truppen. Durch das Edikt von Beaulieu, das diesen fünften Religionskrieg im Mai 1576 beendete, wurde das Edikt von Boulogne abgelöst.66
Unterzeichner und Unterhändler↑
Unterzeichner
Als königliches Edikt ist der Friede durch den französischen König Karl IX. unterzeichnet. Für den conseil des Königs zeichnet Nicolas de Neufville, für die Verlesung, Publikation und Registrierung im parlement von Paris sowie für die Kollation des Textes mit dem Original Jean de Hevez.
Unterhändler
Als Gesandte des französischen Königs Karl IX. waren an den Friedensverhandlungen beteiligt: René de Villequier; Blaise de Monluc; Albert de Gondi, comte de Retz; Jean d’Escars, comte de La Vauguyon; Armand de Gontout, seigneur de Biron; François de la Baume, seigneur de Suze; Jean de Chource; François de La Noue; Staatssekretär Bernard Fizes.
Seitens der Belagerten waren beteiligt: der Bürgermeister von La Rochelle, Jean Morisson, und der städtische Truppenführer Louis Gargouillaud, eventuell auch Vertreter von Montauban und Nîmes.67
In der Vorrede des Edikts werden neben Villequier, Monluc, Gondi, d’Escars, Biron und de Suze als im Auftrag Karls IX. am Friedensschluss Beteiligte genannt: der Bruder des Königs und Anführer der Belagerungstruppen vor La Rochelle, Henri de Valois, duc d’Anjou; der jüngere Bruder François de Valois, duc d’Alençon; Heinrich von Navarra; Henri de Condé; François de Montpensier, Prince Dauphin; Henri de Lorraine, duc de Guise; Leonor d’Orleans, duc de Longueville; Luigi de Gonzaga, duc de Nevers; Antoine de Crussol, duc d’Uzes; Christophe de la Chappelle aux Ursins; Jean de Losse; Jean de Saint-Sulpice; Charles du Plessis, seigneur de Malicorne; Michel de Sévre, Prieur de Champaigne.
Als Berater des Königs werden dort zudem aufgelistet: die Königinmutter und langjährige Regentin Katharina von Medici; Charles de Guise, genannt Kardinal von Lothringen (Lorraine); Louis de Guise, Kardinal von Guise; der Kanzler René de Birague; Jean de Morvillier; Louis de Saint-Gelais, seigneur de Lanssac; der seigneur de Limoges; die Präsidenten des parlement von Paris, Christophe de Thou, Pierre Seguyer und Pierre Hennequin; Paul de Foix; Philippe de Hurault, comte de Cheverny; die seigneurs von Mande und Roissy.
Inhalt↑
Die Vorrede des Edikts blickt auf die Belagerung von La Rochelle und auf die Friedensverhandlungen zurück. Der Hauptteil regelt die Duldung des durchgängig als »vorgeblich reformierte Religion« (»religion prétendue réformée«) bezeichneten evangelischen Glaubens insbesondere in La Rochelle, Montauban und Nîmes sowie generell im Königreich. Abschließend werden Veröffentlichung, Registrierung und Befolgung des Edikts angeordnet.
Der in fünfundzwanzig Artikel gegliederte Hauptteil enthält die folgenden Bestimmungen:
Die Erinnerung an alle Konflikte, die sich seit dem 24. August 1572 zugetragen haben, soll ausgelöscht sein; es ist verboten, deswegen Gerichtsprozesse anzustrengen (Art. 1). Provokationen werden als Störung des öffentlichen Friedens geahndet (Art. 2).
Die »katholische und römische Religion« (»Religion Catholique & Romaine«), wie der alte Glaube im Edikt genannt wird, soll an allen Orten des Königreichs wieder etabliert werden. Alle, die während des Kriegs Häuser, Güter oder Einnahmen von Geistlichen oder anderen Altgläubigen in Besitz genommen haben, sollen sie zurückerstatten (Art. 3).
In den Städten La Rochelle, Montauban und Nîmes ist die Praxis des evangelischen Glaubens in Häusern und an anderen im Besitz von Gläubigen befindlichen Orten erlaubt, hingegen nicht in der Öffentlichkeit (Art. 4). Anderenorts ansässige Evangelische dürfen in ihre Häuser zurückkehren und sich an allen Orten des Königreichs aufhalten. Adlige und Personen mit obrigkeitlichen Befugnissen, die seit dem 24. August 1572 auf seiten der genannten Städte gekämpft haben, genießen in ihren Häusern Gewissensfreiheit und dürfen dort Taufen und Hochzeiten abhalten, wenn daran neben Eltern und Paten maximal zehn Personen teilnehmen. Ausgenommen von letzterer Regelung sind der Hof und die im Umkreis von zwei Meilen liegenden Orte, außerdem die Stadt, prévôté et vicomté von Paris und die im Umkreis von zehn Meilen darum herum liegenden Orte (Art. 5).
Begräbnisse von Evangelischen sollen von Amtsträgern des Bezirks angemessen geregelt werden (Art. 6). Falls Evangelische genötigt worden sind, sich zum Glaubenswechsel zu verpflichten, ist dies nichtig (Art. 7). Die Aufnahme in Universitäten, Schulen, Hospitäler und Armenhäuser soll unabhängig von der Religion erfolgen (Art. 8).
Evangelische Untertanen dürfen ihren Besitz verkaufen und sich an einem anderen Ort inner- oder außerhalb des Königreiches niederlassen, außer in Ländern, mit denen Frankreich sich im Krieg befindet (Art. 9).
Den Einwohnern von La Rochelle, Montauban und Nîmes und ihren Parteigängern wird die Rückerstattung aller Gelder und Güter erlassen, die sie seit dem 24. August 1572 beschlagnahmt haben (Art. 10). Ihnen und ihren Erben soll wegen der Militäraktionen, Rechtssetzungen und Bündnisverhandlungen keine Rebellion oder Majestätsbeleidigung vorgeworfen werden (Art. 11). Der König erklärt sie unter der Bedingung zu getreuen Untertanen, dass sie ihm Treue schwören, von Bündnissen inner- und außerhalb des Königreichs Abstand nehmen, ohne königliche Erlaubnis keine Truppen oder Gelder mehr sammeln und außer den im Edikt genannten unbewaffneten Versammlungen keine Zusammenkünfte abhalten. Zuwiderhandlungen werden als Verstoß gegen königliche Befehle bestraft (Art. 12).
Kriegsgefangene und anlässlich des Kriegs aus Religionsgründen Festgesetzte sollen ohne Lösegeld freigelassen werden. Bezahlte Lösegelder dürfen jedoch nicht zurückgefordert werden (Art. 13).
Evangelische sollen nicht stärker mit Abgaben belastet werden als Altgläubige (Art. 14).
Alle rechtlichen Festlegungen, die seit dem 24. August 1572 gegen die Evangelischen in La Rochelle, Montauban und Nîmes ergangen und nicht beiden Parteien zugestellt worden sind, werden aufgehoben. Prozesse sollen auf den Stand vor dem 24. August zurückversetzt werden. Betroffene sollen ihre Güter zurückerhalten, ungeachtet zwischenzeitlicher Enteignungen, Verkäufe oder Schenkungen (Art. 15). Die Erben derjenigen, die in den genannten Städten zu Tode gekommen sind oder im Krieg auf deren Seite gekämpft haben, sollen in den Besitz ihres Erbes kommen (Art. 16). Alle Amtsträger in La Rochelle, Montauban und Nîmes, die aufgrund ihrer Religion oder des aktuellen Kriegs abgesetzt worden sind, sollen wieder eingesetzt werden. Die Amtsträger anderer Orte sollen sich gemäß der publizierten königlichen Deklarationen verhalten (Art. 17).
Rechtsstreitigkeiten in Zivil- oder Strafsachen, bei denen die Parteien unterschiedlichen Religionen angehören, sollen in erster Instanz vor den zuständigen Richtern verhandelt werden. Im Falle einer Appellation an das jeweils zuständige Parlament will der König unverdächtige Richter bestellen, jedoch nur ein Jahr lang ab Publikation des vorliegenden Edikts und mit Ausnahme des Parlaments von Toulouse in Bezug auf Montauban. Zu persönlichem Erscheinen ist niemand verpflichtet (Art. 18).
Die Einwohner von La Rochelle, Montauban und Nîmes sollen in den Genuss ihrer alten und der neuen Privilegien kommen; ohne ihre Zustimmung sollen dort keine Garnisonen aufgestellt oder Befestigungen gebaut werden. Sie sollen jedoch zwei Jahre lang jeweils vier vornehme evangelische Einwohner als Bürgen stellen. Diese wird der König unter den durch die Stadt Benannten auswählen und regelmäßig auswechseln. Sie sollen sich an einem vom König benannten Ort aufhalten, der mindestens fünfzig Meilen von den genannten Städten entfernt liegt und bei dem es sich nicht um Paris oder Toulouse handeln darf. Der König will in den genannten drei Städten unverdächtige Gouverneure einsetzen. Die Bewachung der Befestigungen bleibt Privileg der Einwohner (Art. 19).
Direkt nach Publikation des Edikts im königlichen Heer sollen die Waffen abgelegt werden; nur der König und sein Bruder sind davon ausgenommen. Alle Truppen sollen von den genannten Städten abziehen; errichtete Befestigungen sollen zerstört werden. Der freie Waren- und Personenverkehr in Frankreich soll wiederhergestellt werden. Einquartierungen sollen beendet und die requirierten Häuser und Schlösser den vorherigen Besitzern zurückerstattet werden (Art. 20).
Beschlagnahmte Gegenstände sollen den Besitzern zurückgegeben werden. Jedoch soll den Käufern für alle auf offizielle Anordnung verkauften Güter der Kaufpreis erstattet werden (Art. 21). Jeder darf in sein Haus zurückkehren und die Ernte des aktuellen Jahres nutzen, ungeachtet seit dem 24. August 1572 erfolgter Pfändungen. Ebenso soll jeder ausstehende Einkünfte erhalten, die von der Krone oder auf ihre Anweisung hin eingezogen worden sind (Art. 22). Konfiszierte Urkunden und Dokumente sollen den Eigentümern zurückerstattet werden (Art. 23).
Evangelische sollen an Feiertagen nicht arbeiten, nichts verkaufen und keine Läden öffnen. An Tagen, an denen die »katholische und römische Kirche« (»eglise catholique et Romaine«) den Verzehr von Fleisch verbietet, sollen Metzgereien geschlossen sein (Art. 24).
Königliche Amtsträger sollen dafür sorgen, dass die wichtigsten Einwohner der genannten Städte die Einhaltung des Edikts schwören, sich dabei gegenseitig überwachen und sich verpflichten, Übertretungen zu ahnden oder Zuwiderhandelnde der Obrigkeit zu übergeben (Art. 25).
Überlieferung und Textvorlage↑
Französischer Text
Handschrift
- Paris, Archives nationales, X1A 8630, fol. 470r-476r, registre [Archivkatalog]
Drucke
- 1) EDICT DV || ROY SVR
LA || PACIFICATION || des Troubles de
ce || Royaume. || Publié à Paris en Parlement le
vnziéme || iour d’Aoust, 1573.
Paris: Fédéric Morel 1573, 8 Bl., 4° (USTC 46691).
Benutztes Exemplar: Paris, BNF, Sign. F 46845(2) [Digitalisat] - 2) EDICT DV || ROY SVR
LA || PACIFICATION || des Troubles de
ce || Royaume. || Publié à Paris en Parlement le
|| vnziéme iour d’Aoust, 1573.
Paris: Fédéric Morel 1573, 14 Bl., 4° (USTC 1554).
Benutztes Exemplar: Paris, BNF, Sign. F 46845(3) [Digitalisat].
Textvorlage
Der Edition liegt Druck 1 zugrunde; Fehler werden nach Druck 2 korrigiert. Es ist nicht eindeutig, welche Ausgabe den Erstdruck darstellt: Druck 1 und 2 als die zwei eindeutig belegten68 Drucke des königlich privilegierten Druckers Fédéric Morel69 sind zwar unterschiedlich gesetzt, stimmen im Textbestand aber bis auf kleinere sprachliche und orthographische Varianten (die keinen Rückschluss auf eine Priorität zulassen) überein.
Die handschriftliche Überlieferung wird in der vorliegenden Edition berücksichtigt, indem die Edition in Barbiche u.a., Édits, III. kollationiert wird. Dieser Edition liegt die oben genannte Handschrift zugrunde.
Deutsche Übersetzung
Drucke
- 1) EDICT || Koͤniglicher Maieſtat || auß Franckreich / den Frieden
vnd Ver||trag ſo newlicher zeit den 11. tag Augusti die-||ſes jetzigen
1573. Jars / zu Pariß im Par-||lament publiciert worden / anlangendt. ||
Jetzundt auß Frantzoͤſischer ſprach || trewlich verteutſchet.
Heidelberg: Johann Mayer 1573, 8 Bl., 4° (VD16 ZV 18837).
Benutztes Exemplar: Halle, ULB, Sign. No 1467 d [Digitalisat]. - 2) EDICT || Koͤniglicher Maieſtat || auß Franckreich / den Friden
vnd ver-||trag / ſo newlicher zeit den 11. tag Auguſti di-||ses jetzigen
1573. Jars / zu Paris im || Parlament publicirt worden / || anlangende.
|| Jetzund auß Frantzoͤſiſcher ſprach || trewlich verteutſchet.
Nürnberg: Johann Koler 1573, 7 Bl., 4° (VD16 F 2394).
Benutztes Exemplar: Wolfenbüttel, HAB, Sign. 218.11 Quod. (7) [Digitalisat]. - 3) EDICT || Koͤniglicher Maieſtat || auß Franckreich / den Frieden
vnd Ver-||trag ſo newlicher zeit den 11. tag Auguſti die-||ſes jetzigen
1573. Jars / zu Pariß im Par-||lament publicirt worden /|| anlangendt. ||
Jtzundt auß Frantzoͤſiſcher ſprach || trewlich verteutſchet.
Frankfurt am Main: Nikolaus Basse 1573, 10 Bl., 4° (VD16 F 2393).
Benutztes Exemplar: Wolfenbüttel, HAB, Sign. Alv Li 200 (7) [Digitalisat]. - 4) Edict || Koͤniglicher Maieſtat || auß Franckreich / den Frieden
vnnd || Vertrag ſo newlicher zeit den 11. tag Auguſti || dieſes jetzigen
1573. Jars / zu Pariß im || Parlament publicirt worden / an-||langendt.
|| Jtzundt auß Frantzoͤſiſcher ſprach || trewlich verteutſchet.
Frankfurt am Main: Nikolaus Basse 1573, 8 Bl., 4° (VD16 ZV 30817).
Benutztes Exemplar: Berlin, SBB PK, Sign. Flugschr. 1573 12a [Digitalisat]. - 5) EDICT || Küniglicher Maiestat || auß Franckreich / den Friden vnd
Ver-||trag / so newlicher zeit den 11. tag Augusti dieses || jetzigen
1573. Jars / zů Pariß im Parlament || publicirt worden / anlangendt. ||
Jetzundt auß Frantzoͤsischer spraach || trewlich verteutschet.
Frankfurt am Main: [o. Dr.] 1573, 8 Bl., 4° (VD16 ZV 6071).
Benutztes Exemplar: Gotha, FB, Sign. Hist. 219/3 (16) R.
Textvorlage70
Der Edition liegt Druck 1 zugrunde. Es ist nicht eindeutig, welcher der fünf im Jahr 1573 erschienenen Drucke die editio princeps darstellt: Alle Drucke bieten die gleiche Übersetzung. Textabweichungen zwischen Druck 1 einerseits, 2-5 andererseits legen nahe, dass es sich bei den letzteren vier um eine Druckfamilie handelt, lassen jedoch keinen Rückschluss auf die Priorität zu.71 Der besonders sorgfältige Druck 1 stammt vom Heidelberger Johann Mayer, der oft im Auftrag des kurfürstlichen Hofs agierte,72 also aus einem Umfeld, das Beziehungen nach Frankreich unterhielt und oft Partei für die dortigen Evangelischen ergriff.73 Druck 3 und 4 hingegen kommen aus der durch Nachrichtenpublikation hervorgetretenen Offizin Nikolaus Basses in Frankfurt.74 Sie sind verschieden gesetzt; der Text stimmt aber bis auf kleinere orthographische Varianten überein. Der unfirmierte Druck 5, ebenfalls aus Frankfurt, folgt auch dieser Fassung, bietet aber spezifische, teils wenig sinnvolle Lesarten75 und stellt wohl nicht den Erstdruck dar. Noch eindeutiger ist letzteres bei dem von dem Nürnberger Johann Koler76 besorgten Druck 2, der charakteristische Lesarten77, eine gegenüber allen anderen Drucken abweichende Zeichensetzung und eine nur als Korrektur der Version von 3-5 verständliche Variante78 bietet, aber nicht die für 5 spezifischen Lesarten. Das legt eine Abhängigkeit von 3 oder 4 nahe. Ob Druck 3/4 oder Druck 1 Priorität zukommt oder beide Versionen auf die gleiche Vorlage zurückgehen, muss hingegen offen bleiben.
Literatur↑
Editionen
Französischer Text
Deutsche Übersetzung
Editionen der zeitgenössischen deutschen Übersetzung liegen bislang nicht vor.
Forschungsliteratur (Auswahl)
- Crouzet, Denis, La nuit de la Saint-Barthélemy. Un rêve perdu de la Renaissance, [Paris] 1994.
- Holt, Mack P., The French Wars of Religion, 1562-1629, 2nd ed., Cambridge 2005 (New Approaches to European History), S. 76-98.
- Jouanna, Arlette, Le temps des guerres de religion en France (1559-1598), in: Jouanna, Arlette u.a. (Hg.), Histoire et dictionnaire des guerres de religion, Paris 1998, S. 1-445, hier S. 185-214.
- Le Roux, Nicolas, Les guerres de religion 1559-1629, Paris 2009 (Histoire de France), S. 115-158.
- Sutherland, Nicola Mary, The Massacre of St Bartholomew and the European Conflict 1559-1572, London / Basingstoke 1973.
Vollständige Bibliographie
Fußnoten
Anm.: Pariser Protestant, 1569 hingerichtet wegen heimlicher Abhaltung evangelischer Gottesdienste
Anm.: Henri de Valois; bis 1576 Herzog von Anjou
weiterführende Informationen
Anm.: König Heinrich III. von Navarra; Henri de Bourbon
weiterführende Informationen
Anm.: Pariser Protestant, Sohn von Philippe de Gastines. 1569 hingerichtet wegen heimlicher Abhaltung evangelischer Gottesdienste
Anm.: Baron de La Garde-Adhémar, französischer Diplomat und Admiral
weiterführende Informationen
Anm.: Verhandlungsführer der königlichen Seite beim Edikt von Boulogne, später Mitglied des königlichen Rats von Heinrich III.
Anm.: Gouverneur von Paris, Marschall von Frankreich
weiterführende Informationen
Anm.: Franz. Herzog; Marschall und Connétable von Frankreich; Gouverneur des Languedoc
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Anm.: Parteigänger der altgläubigen Seite in den französischen Religionskriegen
Anm.: Hauptmann der königlichen Armee in den französischen Religionskriegen
Anm.: Bürger von La Rochelle, einer der Anführer der städtischen Truppen bei der Belagerung 1573
Anm.: Rat der französischen Könige Charles IX und Henri III
Anm.: prieur de Champagne, Berater der französischen Könige François II und Charles IX
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Anm.: Kardinal und Politiker, ab 1573 chancelier de France
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Anm.: Mitglied des Rats von Charles IX, in der Vorrede des Edikts von Boulogne (11.8. 1573) als Berater genannt
Anm.: Pierre (I) Séguier, président im Parlement von Paris ab 1554
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Anm.: ab 1568 président im Parlement von Paris
Anm.: Mitglied des Rats von Charles IX, in der Vorrede des Edikts von Boulogne (11.8. 1573) als Berater genannt
Anm.: Mitglied des Rats von Charles IX, in der Vorrede des Edikts von Boulogne (11.8. 1573) als Berater genannt
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