... Daß doch die alten Onkels und Tanten immer und ewig alles Unheil stiften müßen. Ich wolte, sie ließen endlich einmal die liebe Jugend in Frieden die mühselige Lebensbahn durchwandern, quälten die Leute nicht mehr und begäben sich zur Ruhe. Stell Dir vor, da hat der arme Link so einen alten Abscheu von Onkel, der unglücklicher weise sein Vormund seyn muß, und noch überdies sein zeitliches Glück so ziemlich in Händen hat, denn er ist reich. Der läst sich einfallen, alle Briefe von Links Freund aus Göttingen aufzufangen, und entblödet sich nicht allein sie zurückzuhalten, sondern möchte ihm auch gar zu gern mit eigner hoher Hand eine liebe Frau geben. Wahrhaftig es ist unausstehlich! Ist je ein solcher Frevel erfunden worden? ... Was wird draus werden? Nächstens werd ich Euch ein Avertissement eines Romans, betitelt: Der alte Onkel, schicken, den ich auf Subscription und Praenumeration herauszugeben gedenke, troz Herr Wezels Gefahren der Empfindsamkeit! Ich lache wohl drüber, aber freylich wie einer der mit Thränen in den Augen den Mund zum Lächeln zieht. Du frugst mich, liebe Louise, ob ich an Linken geschrieben hätte. Nein, das würde weder mit meiner Pflicht, noch mit meinen Grundsäzen bestehn können. L. correspondirt blos mit seinem Freund, der ihm wohl Nachricht von mir giebt, aber dem ich weder etwas an ihn, noch er etwas an mich aufträgt. Weiter werde ich mich nicht einlaßen. Ich bin nicht so romanhaft gesint, daß ich dächte, L. oder keinen, und da ich das nicht bin, so würd ich schlecht zu handeln glauben, wenn ich weiter ginge. Beste theure Louise, ich will nicht meine guten Eltern, meinen geliebten Bruder betrüben, nicht meiner Schwester Fehler durch mein Beyspiel rechtfertigen, nicht meiner Louise Freundschaft unwerth handeln, und wäre die Stimme der Leidenschaft auch noch so stark, so würd ich mich dennoch besiegen, denn die Redlichkeit meiner Gesinnungen und gutes Herz sind mir mehr wehrt als zeitliches Glück. So denk ich jezt, und Gott erhöre mein ernstliches Gebet, daß ich immer so denken möge. — In Gotha habe ich Link kaum genant, ich wollte, mochte nicht mich meinen Ideen zu sehr überlaßen, auch bitt ich Dich, antworte mir lieber nicht hierauf, denn es erneuert nur immer ein Andenken, daß ich, wo nicht ganz unterdrücken, doch nicht zu lebhaft werden laßen sollte. Also auf lange lange Zeit leb wohl, Lieb! Du warst gut und liebenswürdig, und Dein Schicksaal müße glücklich seyn!
... Jeder neue Brief von Lotten macht sie mir immer lieber. Ich kan das nicht beschreiben, welche Freude ich über ihre Beßrung empfinde, sie belohnt mich beynah für die trüben Stunden deren mir das arme irrende Mädchen so viel gemacht hat. Wenn sie will, so kan sie sehr gut werden. Heute habe ich einen Brief von Therese Heyne gelesen, der mich beynah wieder mit ihr ausgesöhnt hat. Er war an Lotten, sie werden immer offen in unser Haus geschickt, nachdem meine Mutter Mad. Heyne ihre Besorgniß mitgetheilt hat, daß durch ihre Töchter, die ganz auf Hockels Seite sind, Lotte etwas von diesen erfahren möchte. Vielleicht bekömst Du ihn auch zu lesen, denn ich weiß eben durch die Briefe von Theresen, daß Dein Mann welche davon gesehn hat. Er wird Deinen Beyfall haben, so wie er den meinigen ganz hatte. Das war eben die Seite, durch welche Therese mich blendete. Sie hat auch wirklich diese Grundsäze, das glaub ich immer behaupten zu können. Aber jezt wird sie zu sehr vom Wirbel fortgerißen, als daß sie sie so wie sonst ausüben könte. Man verzeiht ihr nur ihr sehr freyes Wesen eher, weil es in ihren Temperament zu liegen scheint. Sie spricht unaufhörlich und immer wizig, daher wird sie einigen unerträglich und blendet manche. Jm Ganzen ist man ihr nicht gut, aber sie hat verschiedne declarirte Anbeter. Heimliche Schritte wird man ihr aber nicht Schuld geben können, doch würde ihr Ruf auch nicht sich so erhalten haben, wenn sie das Ansehn ihrer Mutter nicht schüzte, da diese die Tochter eines Mannes ist, von dem beynah die Universität abhängt, in Hannover viel Freunde hat und überdem eine würdige Frau ist. Mit Damens hat die Heynen so wenig wie die Blumenbach Umgang, aber sie sind bey allen möglichen öffentlichen Belustigungen und versäumen sie nie, Heynens sind jedesmal die ersten, die dabey genant werden. Sie haben also blos mit Herrens Umgang, die auch meistentheils in ihr Haus freyen Zutritt haben. Das verleitet, fürchte ich, Theresen Schritte zu thun, die sich nicht mit ihren ehemaligen Reden reimen. Aber bey allen ihren guten Grundsäzen, hat sie viel Falschheit und — ich will nicht so streng seyn zu sagen, ein böses Herz, aber doch auch nicht die geringste Gutherzigkeit. Da ich noch so vertraut mit ihr war, warnte mich mancher vor sie, man bat mich so oft ihr nicht zu trauen, aber Du weist, wie ich bin, ich vertheidigte sie immer mit dem grösten Feuer, man konte mich nicht bittrer kränken, als wenn man mir übel von ihr redte. Hätt ich nur gefolgt. Sie hat mich nunmehr Mistrauen gelehrt, aber die Erfahrung ist mir sehr sehr theuer zu stehn gekommen. Sie brach mit mir plözlich unter dem unbedeutendsten Vorwand, ich war untröstlich, und ob ich gleich auf meine Unschuld hätte stolz seyn können, so gab ich ihr doch die besten Worte. Umsonst, sie antwortete mir mit der bittersten Verachtung! Da erhob sich das Gefühl meiner selbst, ich ward aufgebracht. Und nun lockte sie mich wieder durch Freundlichkeit, um mich wieder zurückzustoßen. Das geschah vor einem Jahr. Seitdem kamen wir gar nicht zusammen, sie wählte sich eine andere Vertraute, und ich hätte sie vergeßen, wenn ich da nicht aufeinmal, durch Lottens Brief an Hockel, den wir fanden, entdeckt hätte, waß sie gegen mich im Sinn hatte. Sie war mit dieser nachgrade bekanter worden, und da sonst Lotte nicht einmal mit mir zu Heynens gehn durfte, weil sie Verführung für die jüngere Tochter Marianne befürchteten, so ward sie nun der Gegenstand der Zuneigung weil sie, da ich unmöglich ihres Betragens wegen auf ihrer Seite seyn konte, auch nicht auf der meinigen war. Lotte bekam also den Auftrag aus meinen Papieren Theresens Briefe zu suchen, und wenn sie sie zurückhätte und nicht eine ähnliche Rache befürchten dürfe, so wolte sie die meinigen an sie auszubreiten suchen, Hockel war mit in dieser Verschwörung. Ich sank nieder, wie ich den Brief las — o meine Louise, wie gern dankte ich dir in diesen Augenblick, daß Du fern von Falsch meine wahre Freundinn bist, ich kans nicht, glaub aber nur, daß mein Herz ihn fühlt. — Denselben Tag schrieb sie mir ein Billet und forderte ihre Briefe zurück, denn da sie alle verbrannt waren, hatte Lotte keine finden können. Meine Mutter antwortete für mich, daß ich keine mehr hätte. Nun brach das ganze Ungewitter auf mich los. Therese und Hockel mit seinen Anhängern suchten mich auf alle ersinnliche Weise zu stürzen und aufs empfindlichste zu kränken. Ach es gelang ihnen nur zu gut! Wenn gleich nicht das erste, aber das lezte ganz. Ich habe alles gelitten, was nur eine jugendliche Seele leiden konte. Es zerrüttete meinen ganzen Körper. Ich unterlag bald meinen Schmerz, aber O Religion, Du Trösterinn der Allertrostlosesten! Dir dank ichs daß ich nicht verzweifelte, und nun wieder zu einen Grad von Ruhe gelangt bin. Gott beßerte mein Herz und zog mich zu sich.
Dazu kam noch die ewige Besorgniß wegen Lotten, und die unnenbaren Arten, durch die sie mich täglich kränkte, die im Grund Kleinigkeiten sind, aber ein fühlbarers Herz tief rühren. Denk Dir also meine entsezliche Lage, ach liebe Louise, wie manche Nacht hab ich durchweint, wie oft erblickte ich das Licht des Tages ohn ein Auge geschloßen zu haben. Die Reise zu Dir gab mir wieder neues Leben, und befreyte mich zugleich von einen Theil meines Kummers. Ich will auch nun nicht mehr klagen, ich habe doch viel Freunde in Familien, und da ich nicht mehr im rauschenden Zirkel von Götttingen bin, und nicht den mindesten Anlaß geben kan übel von mir zu reden, so wird Meiner Feinde Rache von selbst unkräftig werden. Ich habe nie von Theresen übel gesprochen, und werde es nie thun, aber ich weiß, daß sie sogar im Gespräch mit Studenten meinen Nahmen aufs bitterste schmäht. Äußerlich ist sie, wenn wir von ohngefähr wo zusamen kommen, sehr freundlich. Wie oft fält mir dann Leisewizens Schildrung einer solchen Lage in Guidos von Tarent Munde ein. Sie hat nun wieder neben Lotten eine neue Freundinn; die nach mir folgte, ist schon wieder vergeßen. Über Blumenbach und seine Frau spottete sie sonst, auch wo keine Ursach war, jezt ist sie mit Leib und Seele die ihrige. Friedericke Böhmer ist zu sehr meine Freundinn, überdem ist der Contrast was Schönheit betrift zu groß, als daß sie ihr gut seyn könte, denn das Therese häßlich ist, das ist die allgemeine Stimme.
Wer war nun Anstifter alles des Unheils? Link war der unschuldige Urheber, er, der sein Leben gegeben hätte mir zu dienen. Es war gut, daß er bey allen diesen Scenen nicht mehr hier war, er wäre rasend geworden, und um sich zu rächen hätte er uns beyde unglücklich gemacht. Sie glaubte, er mache ihr die Cour, weil er sich mit ihren Wiz amüsirte, das schrieb sie mit so deutlich wie ichs Dir hier sage. Sie fand sich nachher betrogen und war ihm gut — —
Ich möchte ihm wohl gram drum seyn, wenn ich nur könte. Bey dem allen glaube ich, daß Therese, ohne diese unselige Anlage zur Falschheit, mit etwas Dämpfung ihrer zu großen Lebhaftigkeit ein vorzügliches Mädchen seyn würde. Sie hat ihr Gefühl für Religion, so lang ich sie kante, nie verläugnet, aber wozu kan nicht verschmähte Neigung und Mangel an Gutherzigkeit verbunden, fähig machen. Ich werde nicht unversöhnlich seyn, aber ich fürchte sie ists, denn wer beleidigt hat, verzeiht dem andern Theil eignes Unrecht schwerer, als der Beleidigte jenem das seinige....