Anfang fehlt.
... Du hast Schlözer und seine Tochter kennen gelernt. Was sagst Du zu dieser Reise, und zu der sonderbaren Erziehung? Ich wundre mich, daß ein Mann mit so viel feinen, durchdringenden, umfaßenden Verstand, zuweilen mit so wenig Vernunft handelt. Es ist wahr, Dortchen hat unendlich viel Talent und Geist, aber zu ihren Unglück, denn mit diesen Anlagen und den bizarren Projecten des Vaters, die sie zu der höchsten Eitelkeit reizen werden, kan sie weder wahres Glück noch Achtung erwarten. Man schäzt ein Frauenzimmer nur nach dem, was sie als Frauenzimmer ist. Ein redendes Beyspiel davon habe ich an der Prinzeßin von Gallizin, die hier war, gesehen, sie war eine Fürstinn, hatte viel Gelehrsamkeit und Kentniße, und war mit alledem der Gegenstand des Spotts, und nichts weniger wie geehrt. Dortchen wird eine andre Gallizin werden. Zumal da der Vater sehr reich ist, und alle seine Absichten durchsezen kan. Und nun diese Reise, die Vater und Tochter den dringendsten Gefahren aussezt; nach einem Lande, wie Italien ist, ein junges Mädchen, solte sie auch noch ein Kind seyn, ohne weibliche Aufsicht! Und der Vater, da die Reise durch Länder geht, wo er von der Nache der Jesuiten, denen er durch sein Journal wesentlichen Schaden gethan hat, alles befürchten muß, wenn ich alles andre nicht rechnen will; und durch die Schweiz darf er gar nicht einmal reisen, das weis er auch wohl. Er hat im lezten Heft von Lichtenbergs Magazin etwas eingerückt von Wasers Todt, das eine Revolte in der Schweiz hervorbringen kan, und unsre hiesigen Schweizer sind so wüthend aufgebracht gegen ihn, daß ich froh bin, daß er schon weg war, wie der
Aufsaz erst erschien. Alle seine Freunde, und vorzüglich mein Vater, thun ihm oft genug Vorstellungen, aber er ist taub, sein Wiz, sein beißender treffender Wiz verleitet ihn, er kan keinen satyrischen Gedanken unterdrücken, und wär er noch so bitter. Und doch hat er gewiß einen guten Charakter. ‒ Nikolai war denn auch hier, und was wars? freylich selbst der mir sagte, daß er einen Tag länger geblieben wäre um Dich spielen zu sehn. Sein Aeußerliches gefält mir sehr gut, aber ich halte mehr von seinem Verstande wie von seinem Herzen, der Sohn gefiel mir ganz wohl. Sie soupirten bey uns.
Der Auszug vom Göthischen Stück, für den ich Dir sehr danke, macht mich sehr begierig die Ausführung zu sehn, die aber freylich interreßanter seyn muß wie der simple Plan, wenn sie die Ehre haben soll mir zu gefallen. Wär Dirs nicht möglich mir etwas davon zu schicken, denn Deine Rolle hast Du doch wohl. Schade daß Göthe, der so ganz herrlich, so hinreißend schön schreibt, so sonderbare Gegenstände wählt; und doch kan ich weder seinen Werther, noch Stella, noch die Geschwister unnatürlich nennen, es ist so romanhaft, und liegt doch auch so ganz in der Natur, wenn man sich nur mit ein bischen Einbildungskraft hineinphantasirt. ‒ Sag doch Deinem lieben Mann, daß Meyer hier den Graf Eßer über alle Beschreibung schön gespielt hat, er ist vergöttert worden und man wuste ihm nicht genug Bewundrung zu bezeugen, es ist aber auch ganz seine Rolle, tausendmal hätte ich Deinen Mann hergewünscht. Zweytens sag ihm, daß ich mich neulich sehr über die Entdeckung gefreut habe, daß er einen gewißen Grafen Lichnovsky und Hrn. von Berg, beyde die besten unverdorbensten Seelen, kent. Berg ist auf Reisen gegangen. Man glaubte nicht, daß er sein Vaterland wieder sehn würde, aber seine Gesundheit stärkt sich. Der arme Graf, der mir seines ofnen, unbefangnen Charakters, und seines kunstloosen, gar nicht pretension machenden Verstands wegen vorzüglich interreßant ist, ist so schwächlich, daß man sehr um ihn besorgt ist. Er schäzt Deinen lieben Mann ganz außerordentlich, so kurze Zeit er ihn gesehn hat, und wünscht sehr Gotha noch einmal zu sehn....