Caroline von Schelling, Band 1


An Luise Gotter und Wilhelmine Bertuch.

Göttingen den 16. ‒18. Aprill 1782.

... Morgen erwart ich Lotten, ich kan nicht läugnen, daß mir das Herz schlägt, wenn ich dran denke; ich habe diese ganze Zeit her nicht so eigentlich dran denken mögen, aber nun muß ich wohl. Wie wird das werden? Wie werde ich mit ihr leben? wie wird sie sich künftig betragen? Von dem allen weis ich noch kein Wort. Ich kenne Lotten nicht mehr, sie ist mir jezt eine fremde Person, mit der ichs aufs Gerathewohl probiren muß, und doch liegt meiner künftigen Ruhe so viel darann. Du schriebst mir im Vorbeygehn, Wilhelmine, sie hätte Deinen Beyfall nicht, und das ist mir freylich keine gute Vorbedeutung. Bedauert immer meine Lage ein bischen, sie ist nicht die annehmlichste.

Diese Woche ist mir desto annehmlicher verfloßen. Ich habe Caßel gesehn. Mad. Schlözer reiste ihren Mann dahin entgegen, und nahm mich mit. Ich hatte eine gewaltige Freude drüber, die Tage vorher aß, trank und schlief ich nicht, und ich fastete und wachte nicht vergebens, denn es waren ein paar himmlische Tage. Schon die Zusammenkunft der beyden Eheleute wäre der Mühe werth gewesen, aber Caßel zu sehn, was seit so langer Zeit mein Tichten und Trachten gewesen war, das verlohnte sich der Freude wohl. Im Hinweg wohnten wir auch in Münden einem merkwürdigen aber traurigen Schauspiel bey, der Einschiffung der Truppen nach Amerika. Welch eine allgemeine mannichfaltige, grause Abschieds Sceene. Was sie mir vorzüglich war, das läst sich begreifen. Die Gegend um Münden ist so romantisch, daß sie zu solch einer Sceene geschaffen zu seyn scheint. Dir, liebe Luise, brauch ich nicht zu sagen, wie mir Caßel gefallen hat, nur machte mich der Gedanke unwillig, daß der Landgraf in Münden Menschen verkaufte, um in Caßel Palläste zu bauen. Wir logierten auf dem Königsplaz. Die Collonnade, wo ich die Wachparade aufziehen, und auch, mit allen Respect gesprochen, das Vieh den Landgrafen sah, hat mir vorzüglich gefallen. — Schlözer kam mitten in der Nacht. Diese Zusammenkunft zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern nach so langer und gefährlicher Trennung war ein schöner Auftritt, den gesehn zu haben ich um nichts hingeben möchte. Seine Reise ist ohne den geringsten Unglücksfall abgelaufen, nur wir werden ihn wahrscheinlich verlieren, denn der Kayser hat ihm 4000 rh. Besoldung und den Adelsbrief angeboten. — Unsre Rückreise war äußerst lustig. Es war nichts als Lachen und Jauchzen, Postillons, Bedienten, und alles theilte die Freude. Wir hatten auch verschiedne lächerliche Abendtheuer. Wir zogen endlich gar prächtig in Göttingen ein: 3 zu Pferde vorauf, dann unser Wagen mit 4, die römische Reisegesellschaft mit 6 Pferden, und ein Cabriolet machte den Beschluß. Unser Gefolge vermehrte sich so, daß beym Absteigen vor dem Schlözerischen Hause über 100 Menschen versammlet, Schlözer fast ins Haus getragen wurde und wir uns mit Mühe durchdrängen musten, und hier erscholl ein freudiges Willkommen! überall....

Wir bekommen jezt die Grosmannische Schauspieler Gesellschaft hieher. Ich freue mich die schöne Frau wiederzusehn. Man schreibt und erzählt mir von Gotha aus Wunderdinge von Ifland und der Räuber Sceene. Jch hätte Deinen Mann dabey sehn mögen, er sah zum Theil sein Werk.

... d. 18. Aprl. Lotte kam gestern Abend ohngeachtet des schrecklichen Wegs und einer fürchterlichen Nacht, in einer wahren und wahrhaftigen Mörder Grube und Räuberhöle mitten in einem Diebswalde zugebracht, glücklich an. Ihr Äußerliches hat sich gar nicht verändert außer einer gothaischen Sprache, daß wir hier alle Maul und Nase aufsperrn.