Caroline von Schelling, Band 1


An Luise Gotter.

Göttingen am 30. Sept. 1783.

... Noch in aller Eil ein Wort, meine Liebe. Göthe war hier, und ich hab ihn nun gesehn. Er hielt sich zwey Tage hier auf. Am ersten waren wir mit seinem Anblick zufrieden, weil wir uns nicht träumen ließen, daß er so weitläuftige Besuche geben würde, der folgende Tag war zu einer kleinen Reise aufs Land bestimmt, die einige Herren veranstaltet hatten, uns jungen Damen in die schönsten Gegenden vom ganzen Hannöverischen Land einzuführen. Wir fuhren mit schwerem Herzen weg, und die liebe Sonne am Himmel freute uns nicht. Alles Schöne, was wir sahn, konte ihn uns nicht vergeßen machen. Da ward denn ein bischen geschwärmt, aber nicht tragisch, versteht sich. Ich machte mir unter andern weis, wir wären hieher gegangen seine Gegenwart zu feyern, wir konten uns ihm nicht so ganz nahen: daß er uns lieb gewonnen hätte, wie Werther das Pläzchen am Brunnen, wollten ihm also entfernt huldigen, wie Werther Lotten, da er sich auf die Teraße warf, die Arme nach ihrem weißen Kleid ausstreckte — und es verschwand. Wie wir Abends zu Haus kamen, war er bey Böhmers und bey uns gewesen, und unsre Väter aßen bey Schlözer, wo Göthe war. Da ging ein Wehklagen an.

Jedermann ist zufrieden mit ihm. Und alle unsre schnurgerechten Herren Profeßoren sind dahin gebracht, den Verfaßer des Werther für einen soliden hochachtungswürdigen Mann zu halten.