Caroline von Schelling, Band 1


An Luise Gotter.

Göttingen den 3. Aprill 1784.

... Eure Reise in unsre Gegenden ist die leichteste Sache... und Dein Mann muß mir das Versprechen halten sie einst mit

Dir zu machen. Wir wollen ihm auch ein Hüttchen auf der Spize des Brocken gegen Aufgang der Sonne bauen... Wir haben ein artiges Haus, insofern wenigstens, daß es äußerst bequem ist und so freundlich, wie sichs thun läßt, ausgeschmückt wird, und wenn ich ein Schild aushängen möchte, so sollte es gewiß der Tempel der Freundschaft seyn, aber ich liebe das affichiren nicht. Beyde Flügelthüren werden aufgemacht, wenn Ihr komt. Wenn Ihr müde seyd darinnen zu verweilen, so kan ich Euch außer demselben manches angenehme zeigen. Führe Dich, außer Bergwerke und Gruben, in das Haus des Generalsuperintendent Dahme ein, deßen Frau eine Engländerin und meine Cousine ist. Eine Familie, die durch englische Einrichtung und englische Liebenswürdigkeit der Gegenstand der Bewundrung eines jeden und der Neugierde der Fremden ist... Alsdann siehst Du schöne Gegenden; in Ermanglung der Schweizer. Man nent ja den Harz die Schweiz im kleinen, und Lichtenberg versichert, Clausthal habe die gröste Ähnlichkeit auf den ersten Blick mit Bath in England... dann lernst Du meinen Böhmer kennen, und ich möchte so gern aus Deinen Munde Beyfall hören. Er ist, wie mir buchstäblich so gesagt ist, der Liebling des Harzes, und was wirst Du Dir für eine Idee von ihm machen, wenn ihn eine gewiße ansehnliche dicke Madam, die sich ihm mit ihren ganzen Gewicht wiedersezte, jetzt unwiederstehlich nent? Das bahnt mir den Weg zum Wohlwollen meiner künftigen Mitbürger, und so der Himmel sein Gedeihn dazu giebt, will ich ihn, so viel ich kan, gehn... Die Spittlern traf ich nicht, aber morgen will ich ihr danken und zugleich von ihr Abschied nehmen, denn sie geht auf ein halbes Jahr nach Schwaben in ihr Vaterland, und ich sehe sie nicht wieder. Wenn Du die liebenswürdige Frau kentest, so würde Dirs sehr natürlich vorkommen, daß mir bey dem Gedanken Thränen in den Augen stehn. Sieh! sie ist das Ideal der Frau, die ich meinem Bruder wünschte, und würde das seinige erfüllen. So viel Verstand und Naiveté, frohen Sinn, Güte des Herzens und Selbständigkeit habe ich kaum beysammen gesehn, und in ihrer Figur liegt das alles mit der grösten Anmuth gezeichnet. Ein schönes schwarzes Auge und ein schlanker Wuchs sind das hervorstechende. Doch ich komme ins Beschreiben, und da hat der Erzähler und der Hörer so wenig Genugthuung von, sonst müst ich Dir noch viel von ihrem Mann sagen, der sie übermäßig liebt. Der feinste, beynah spizfindige Kenner des menschlichen Herzens, aber menschenfreundlich, voll Wißenschaft und Wiz, das mag genug seyn. Ich bin so glücklich, daß mir beyde sehr gut sind. Sie und ich kamen in dem ersten Augenblick unsrer Bekantschaft zusammen; sie ist nur zwey Jahr älter wie ich, und gefiel sich im Mädchenzirkel, den sie eben verlaßen hatte. Spittler verlangt, ich sollte einen Nachmittag ganz allein hinkommen, eh er weggieng, weil er mir ein Collegium über den Ehestand lesen wollte. Ich hab es aber versäumt und muß nun unvorbereitet in den verfänglichsten aller Stände treten. Hab ich viel verlohren oder komt man mit guten Glück am besten fort? Er komt ganz gewiß mit seiner Frau nach Clausthal mich zu besuchen, und zu horchen, wies steht. Denn unter uns, er ist der Meinung der Gemahlinn des Grafen Lindenhall in der unversehnen Wette, die Dich Dein Mann so übermüthiger oder unvorsichtiger weise einst spielen lies. Er behauptet, jede gute Frau beherrscht ihren Mann auf erlaubte weise. Ich habe ihn gebeten ganz davon zu schweigen, weil ich mich so klein dabey dünkte beherrschen zu wollen, und er meint, das sey sehr fein philosophirt.

Vor einigen Wochen habe ich bey Therese Heyne mit Meyer und Friederike Böhmer dejeunirt, und wenn wir einmal zusammen kommen, so kans freylich laut genug werden. Wir besahen Meyers Portefeuille, eine Sammlung von Gemählden der besten Künstler, die er auf seinen Reisen antraf. Angelica Kaufmann ist auch dabey. Eine ähnliche Merkwürdigkeit habe ich eben in Lenardo und Blandine vom Baron Göz radirt gesehn. Hat man es schon in Gotha? Gotter wird sich daran erquicken. Wenn die Zeichnung nur nicht so unrichtig wäre, und statt des Gefühls das Lächerliche zuweilen rege machte. Das Ganze ist herrlich und ein uniquer Einfall. Durch Hofrath Schlözer und Meyer habe ich sehr viel vom Baron von Götz gehört. Er soll im guten und bösen Verstande das gröste Genie seyn. Aus seinem Werk sieht man eine schaffende Einbildungskraft hervorleuchten, wie sie in ganz Europa nicht mehr existiren miß. Therese und ich, wir geben uns dann zuweilen ein Rendésvous im Geist, denn was der eine merkwürdiges kluges oder besonders Dummes ließt, wird sogleich zum andern geschickt. Sie strickt mir jezt ein paar Strümpfe, weil ich in dem Stück nicht so fleißig gewesen war wie Madam Louischen, und zum Abzeichen komt der Cameelskopf aus le diable amoureux oder Biondetta hinein, damit ich, wie ich ihr gesagt habe, sie erkennen, und wißen kan, was es bedeutet, wenn mir das Tanzen in die Füße kömt. Wir haben uns sehr wizige Billetchen über dies Sujet geschrieben...

Sag mir doch, ist eine gewiße Charteke: Schattenriße teutscher Frauenzimmer genant, schon zu Euch gekommen? Es ist freylich unter aller Critik und der Verfaßer aller möglichen Verachtung werth. Aber es bleibt immer für Frauenzimmer, die niir unbekant ihr eigenthümliches Verdienst behalten, und nur im häuslichen Zirkel zu leben begehren, höchst ärgerlich von einem seichten Kopf fürs Publikum hingestellt zu werden; sich bis zur Satyre loben, und auf die plumpeste Weise tadeln zu laßen. Ein gewißer Müller, ehedem Informator beym Hauptmann Schroeder in Lüneburg, ist der Verfaßer und hat die Damen allerseits nicht weiter gekant, als wie man gewöhnlich mit jemand, den man bey Tisch am dritten Ort sieht, Bekanntschaft macht. Er schreibt jezt ums Brod in Dresden. Mich deucht, es wird überhaupt Mode, daß solche Leute Privatpersonen zur Schau ausstellen, um die angebohrne Neugier, die uns für alles, was um und neben uns in Nachbarhäusern vorgeht, interreßirt, zu locken. Böhmer brachte mir das Buch in einer Gesellschaft, wo die Meiners war, ich muste vorlesen, und wir kamen nicht aus dem Lachen. Das Apollonische Haar ist zum Sprichwort geworden; und da er ihre Schönheit in den Göttinnenrang erhebt, kanst Du Dir vorstellen, wie es mit den andern steht... Hofrath Heyne wolte seiner Frau eine Galanterie machen und legte es auf ihren Schreibtisch, der in seiner Stube steht, und horchte hoch auf, wie sie beym Durchblättern ganz leise für sich hin le coquin! sagte... Jedermann fürchtet sich vor dem nächsten Theil.

Von unsern Koppe habe ich noch gar nicht mit Dir geredet. Wir verlieren und Ihr gewint einen herrlichen Prediger, der aussieht wie der Jünger Johannes. Ich würde mich nicht drüber trösten, wenn ich hier bliebe. Sie ist eine artige kleine Frau mit dem besten Anstand und einen allerliebsten Phantasie Gesichtchen. Du wirst Dich wundern, wie sie grade eben so niedlich und klein ist wie — verneigen Sie sich, Madam Louischen — wie Du.

Liebe Freundinn, hast Du mir wirklich die ganze Zeit über ruhig zugehört ohne mich zu unterbrechen? Kein Wörtchen Gegenrede? Ach Du schläfst! Nun so ruh sanft. Geschwind will ich Dich noch einmal küßen, und mich dann leise von Dir schleichen. Adieu, in der Thüre werf ich Dir noch einen Kuß zu.

Caroline Michaelis.