Caroline von Schelling, Band 1


Joh. Franz Wilhelm Böhmer an Caroline.

Clausthal d. 5ten Jun. 1784.

O liebes herrliches Mädchen! wie hats mich gekränkt, daß ich Dir durch die Forsterschen Klagen so viel Bekümmerniß habe machen müßen. Ich konnte es voraussehen, wie der Brief Dich schmerzen würde; wie gerne hätte ich Dir kein Wort davon gesagt, denn ich war gewiß überzeugt, daß Du unschuldig wärest; aber ich durfte Trebras und Forsters wegen nicht Verdacht einer Indiskretion. Beruhige Dich nun auch, liebes Mädchen; Du sollst nicht unschuldig leiden, und sey versichert, daß Du nichts von der Liebe und Hochachtung verlohren hast, die das Trebrasche Paar für Dich hegt, vielmehr habe ich bey dieser Gelegenheit erst recht erfahren, wie sehr sie Dich lieben.

Eben bekomme ich einen Brief von Dir mit der Post. Wie glücklich bin ich, daß ich so diese Briefe von Dir erhalte! ‒ Kaum kann ich die Feder noch halten; ich zitterte am gantzen Körper und mein Herz erlag fast unter der Gewalt der Empfindungen, die es bestürmten, bis ein gewaltsamer Durchbruch von Thränen mir Erleichterung verschaffte. Noch nie habe ich die Vergänglichkeit aller irdischen Freuden so lebhaft gefühlt als in diesen Augenblicken — Caroline! Du wärst im Himmel und Du würdest meine Seele mit hinauf zu Dir gezogen haben. Wäre auf Erden noch wohl etwas im Stande gewesen mich zu erfreuen? Von dem höchsten Gipfel irdischer Seeligkeit, den ich bald erreicht zu haben glaubte, wäre ich, wenn mich Gottes Vaterhand nicht gehalten hätte, wenigstens in einen solchen Zustand versetzt, worin ich unfähig gewesen wäre, irgend ein Vergnügen zu genießen. Seine Vaterhand verehre ich auch mit kindlicher Dankbarkeit bey diesem traurigen Vorfall. O laß uns ihm leben, bestes Mädchen! Durch ihn und in ihm werden wir ewig glücklich seyn....

Wenn Du es so sehr wünschest, daß ich 6 Tage nach der Hochzeit in Göttingen bleiben soll, so muß ich meine Einrichtung anders machen. Ich dachte den Freytag in Göttingen zu seyn, und den Sonntag nach der Hochzeit wieder in Clausthal. Wenn Hr. Schlözer aber an keinem andern Tage den Ball, den er Dir zu Ehren anstellt, geben kan als am Sonnabend, und durchaus muß getantzt werden, so komme ich wohl um 2 Tage später, lasse mir allenfalls hier das Maaß zu meinem Kleide nehmen und darnach das Hochzeitskleid in Göttingen machen, so daß es den Sonntag fertig ist, wo ich auf den Fall in Göttingen einzutreffen gedächte. Uebermorgen will ich Dir bestimmte Nachricht schreiben. Heute habe ich noch nicht Musse gehabt es gehörig zu überlegen.

Ich hatte mir Hofnung gemacht, daß ich Deinen lieben Hrn. Vater völlig gesund antreffen würde; aber erfahre heute zu meiner Bekümmerniß, daß er noch so weit von der völligen Wiederherstellung entfernt ist. Möge der Himmel geben, daß er an unserm Freudentage doch um ein merkliches besser sey.

Ich muß schließen, weil es zu spät wird. Schlafe sanft, liebe Caroline.