Caroline von Schelling, Band 1


An Lotte Michaelis.

Clausthal 1784.

Einen sehr interreßanten Briefl Das muß ich gestehn. Nicht zu gedenken, daß er mich in die galante Welt der Köpfe einführt, zeigt er mir auch den Weg zum Herzen, zu diesen Schlupfwinkeln, indem er mir alle claßificirt, die daselbst eine gewiße Schwäche — ein jeder nach seiner Art — zu fühlen vermeinen, und dieselbe in Gestalt derer Hofmeistere und übrigen Jünklinke hegen und pflegen. Alles nach dem Leben geschildert gleich der Crayon Skizze mit den abgeschnittnen Haaren....

Nun mach mit mir eine Excursion ins Reich der Liebe. Vor 14 Tagen fuhren wir durch Goslar nach der Oker, einen Ort von einhundert Häusern, die am Fuß eines steilen waldigten Bergs liegen, und an der andern Seite von einen dicht vorbey fließenden Fluß begränzt werden. Wir besuchten einen Bekanten und logirten eine Nacht bey ihm. Der Weg nach Goslar ist schön und in der Mitte, wo man aus dem dicken Wald heraus, eine Aussicht in das Land bis über Halberstadt hinaus hat, entzückend. Aber Goslar — so wie Du die Nadelspizen der achteckigen Thürme von weiten erblickst, erstirbt die Natur, das Gras verdört, alles neigt sich erschmachtend zu Boden. Du fährst zwischen kahlen Bergen hinein, in ein Thor — wo die Liebe selbst vor schrecken ihren lezten Seufzer aushauchen müste, oder fürchterlich verzweifeln. Ich weis nicht, wie der Ritter Lauer dies Abendtheuer bestand; seine Mutter müste ihn denn in seiner holden Kindheit einmal in Lauge, statt in den Stix getaucht, und so fühllos gemacht haben. Unerreichbar hohe Mauern umgeben die Stadt, die man nie ganz, sondern nur stückweiß vor sich sieht. Klöster ohne Fenster und Kirchen ohne Zahl, und allenthalben 16eckige Wachtthürme, die wie Kettenhunde aussehn. In der Mitte, wo der Brand wüthete, stehn ganz gute neue Häuser, zwey Etagen, gewöhnlich noch mit Strohfenstern. Sie stehn wie bekant wieder an den alten Stellen, und also bald hier bald dort eins in Labyrinthischen Winkelzügen. Zu beyden Seiten sind hohe Fusbänke von ausgebrochnen Steinen, die Bürgermeister und Rath ihre schiefen Beine kosten müsten, wenn hier nicht alles organisirt wär wie der Wohnplaz. In der Mitte kein Pflaster, sondern tief ausgefahrne Erde mit naßen Schlamm ausgefüllt. So fährt man wenigstens eine halbe Stunde, eh man durchkömt, mit dem langweiligsten Gefühl, das alle Sinnen der Freude ertödtet und das Grab selbst unschmakhaft macht, ohne melankolischen Trost, den man sonst etwan in einen Nest der Eulen schöpft, ohn den, daß die Bewohner vielleicht gut, vielleicht noch interreßante Überreste der Ritter der vorigen Jahrhunderte sind, nein, es ist eine altmodische kleine lorkige Reichsstadt voller Prätensionen auf Modernität. Und hier wohnt Lauers Geliebte! Nun komt, Ihr lieblichen Tauben der Venus, und helft mir aus diesem Cloack in reinere Lüfte. Schon hol ich freyer Athem, und bin wieder am Schreibtisch, schreibend an Dich!

Hier an Ort und Stelle wär auch manches aus oben benamseten Reich zu vermelden, wird aber klüglich mit Stillschweigen übergegangen. Es komt ein bischen gröber wie Mr. Geisler, der die Liebhaber seiner Frau betrunken hinaus begleitet. Aber eben drum wirds meine Zunge und noch weniger meine Feder je erwähnen. Amen.