Caroline von Schelling, Band 1


An Lotte Michaelis.

Clausthal 1784.

Meine liebe Lotte, das will mir doch sonderbar verdünken. Während Böhmer nicht zu Haus ist, komt ein Brief von Deiner Hand an ihn adreßirt, ohn daß ich etwa noch ein Siegel inwendig fühle, so viel ich ihn auch befühlt und in den Händen herumgematscht habe. Schwesterlein, was kan das bedeuten? Ich sinne hin und her, wohl übers Land, wohl übers Meer — Du bist doch sein Liebchen nicht? Es kribbelt mir wunderbar am Herzen, ich huste auf, und kans nicht klein kriegen, muß warten, bis der Mann kömt. Da ist noch ein andrer Brief vom Canonikus Meyer angelangt, deßen Geheimniß ich eben so wenig begreife, er müste uns denn danken wollen, daß wir sein Liebchen 4 Wochen gespeiset und getränket hätten. Das kan Dein Fall nicht seyn — wir haben unsres Wißens kein Schäzchen von Dir beherbergt. Muß mich wahrhaftig gedulden, bis Böhmer kömt. Indeßen will ich noch eins mit Dir schnacken, Dir, damit ich mit keiner Undankbarkeit aus der Welt gehe, wenn der Brief en questionis etwa ewige Feindschaft unter uns hervorbringt, für Dein kuchichtes Andenken in Nordheim danken. Ich theilte selbiges unter die Dahmischen Kinder aus, jedes kriegte ein Herzchen. Hattest Du ein W. auch zu Deinen Andenken geschickt? O waß ich da für ein spizfindiges Gesicht bey mache, und das kleidet mir um desto spiziger, weil mein armer Mund ganz krank und dick und aufgesprungen ist, kan nicht eßen, nicht sprechen, nicht küßen, brauche Salben und Tränkchen. Es ist meiner Six arg genug, ich darf nicht ausgehn. Ich schrieb Dir doch schon vorige Woche, ich wolte Dir etwas vom Geber des Iflandischen Buchs sagen — eigentlich vom Geben des Buchs. Nun hör einmal zu. Mir verdeucht, es schickt sich nicht, daß Du irgend einen Commers mit W. hast, auch keinen Bücher Commers; es schickt sich nicht, daß Du überhaupt von ihm sprichst, Dir erzählen läßt so zum Zeitvertreib, waß er macht, Dich irgend um ihn bekümmerst. Ich sagte es auch den jungen Herrens in Nordheim — es ist wieder alle Feinheit, Herr W., wenn Sie sich nicht ganz von ihr entfernen — Sie dürfen ihr nicht einmal Bücher schicken — meinethalben könten Sie thun waß Sie wollen, wenn Sie nicht einst in einer Art von Verhältniß gegen sie gestanden hätten, nach deßen Bruch nothwendig Zurückhaltung eintreten muß, wenn Sie beyde Ihre Würde behaupten wollen. — Ja, versezte er nach dieser schönen Rede — Mamsell Lotte haben Bücher von mir holen laßen — Da kam ich freylich aus dem Text. Junge, sagt ich zu Philipp, was soll das Geplauder, das Geträtsche von W.? Du weist ja, daß Lotte nichts von ihm hören will und sollte — warum trägst Du ihr Bücher zu? — Ja, antwortet mir der Bengel, wenn ich nicht spreche, so frägt sie, und wenn ich keine Bücher holen will, schickt sie Dortchen. Was soll ich denken? Nichts böses, das versichre ich Dir, liebe Seele, nur das, daß Dir entsezlich unbesonnen leichtsinnig bist, und in diesen Fehlern alles Gefühl von Schicklichkeit ertränkst. W. trug sich Dir an — Du verwarfst ihn, weil Du einen andern liebtest, seztest ihn in des leztern Gegenwart mehr zurück, wie es sich mit guter Lebensart vertrug ‒ hättest gewiß damals nichts von ihm holen laßen, und nun der Geliebte ein 4 Wochen über Stock und Block gejackert ist — wie soll ich sagen? — Nun hält Dich das stärkere Interreße Deiner Sinne, die ihn sahn und hörten, nicht mehr zurück, Dich auch einmal um einen armen Schelm zu bekümmern, von dem Du weist, er seufzt für Dich — kanst ihm nicht mehr so gleichgültig begegnen, und wenn Du irgend ein bischen point d’honneur hättest, soltest Du das mehr wie je, weils aussieht, als wenn Du Dich ihm wieder näherst, da Dir der andere entschlüpft ist....