Caroline von Schelling, Band 1


An Lotte Michaelis.

Clausthal d. 12. Oct. 1784.

Du kanst mir so viel und so lang von Deinem Schmerz reden, liebes Mädchen, und ich bin arm an Antwort, denn Dein Gegenstand ist unerschöpflich, und unfruchtbar mein Trost. Bist Du zufrieden, wenn ich mit schweigenden Mitleid zuhöre, und Dich zu Deiner Beruhigung, zu Deinem Wohl bitte fortzufahren, und mir jede geheimste Empfindung Deiner Seele zu schildern, als wenn Du mit Deinem eignen Selbst sprächst? Es wird Dir unendlich gut thun; das Herz füllt und erleichtert sich wechselsweis, es athmet freyere Luft, es saugt reinere ein. Um das innigste Gefühl des Kummers, der in seinen Klagen selbst die süßeste Belohnung findet, um die Wehmuth, die entzückende Wehmuth, diesen Schatten des verlohrnen Geliebten, der uns schwärmerischer, feiner, beschäftigt, wie der Geliebte selbst, möcht ich Dich beneiden. Und sieh, wie leicht sich wahre Liebe in Begeistrung der Tugend auflöst, wie sanft sie sich in diese verschmelzt. Liebe kan der nächste Schritt zur Tugend werden. Aber oft, meine Lotte, das kan ich Dir nicht verhehlen, oft verwechselt die glühende Einbildungskraft den Gegenstand, sie sagt dem geistigen Wesen, daß sie nicht unterscheidend hell erblickt, nach, träumt sich in die Gefilde des Lichts und der Vollkommenheit hinein, und wacht auf, eh wirs glaubten, über den ersten besten Stoß. Jezt ist Deine Faßung, der Zustand Deines Gemüths, wie sie seyn sollen und nicht anders seyn können, aber wirst Du im Stand seyn, diese Anstrengung daurend zu machen? Es ist unglaublich, wie unvermerkt sich das mindert, wie eine angespannte Empfindung nach der andern allmählich erschlaft, und die lebhaft zerreißende, lebendige, Vorstellung in leichten Nebel sich hüllt. Und wird mit dieser Bezaubrung nicht auch Dein heiligster Vorsaz verschwinden? Wie wenig uns idealische Tugend kostet, weis ein jeder. Es ist ein schönes unnüzes Rauchwerk, das in glänzenden Feuer zum Himmel lodert. Aber wenn die Stunde der Versuchung wiederkomt, der Du wahrscheinlich noch nicht auf immer entgangen bist, ist sie dann genug Dich ‒ vor den Klippen der Eitelkeit zu schüzen, denen Du durch Handlung entgehn must. Jezt wäre sies, wo Dein Feuer Dich unbewußt zur That triebe, nur — das kan so nicht bleiben, so wahr Du ein Mensch bist. Drum bitt ich Dich, mein bestes geliebtes Mädchen, such es nicht zu unterhalten, sondern nimm Deinen ganzen Verstand zu Hülfe, um Dir selbst jene Wahrheiten recht anschaunlich zu machen, damit, wenns nun gedämpft ist, Du doch etwas festes davon trägst. Sonst bist Du ewig der unglückliche Raub Deiner eignen Fühlbarkeit, das elendeste Wesen, das durch Dich selbst stets hin und her geworfen wird. O Lotte, das Du doch auf immer dem grösten und hülflosesten aller Leiden, nicht eins mit sich zu seyn, entgehn möchtest! Das muß ich Dir offenbaren — Jezt werden Deine Briefe heilig verwahrt, aber wenn Du je unwürdig würdest sie geschrieben zu haben, so stell ich sie Dir zum Zeugen gegen Dich auf, dem ins Gesicht zu sehn ich lieber ans Ende der Welt fliehn würde. Ja ich erlaube Dir, stolz drauf zu seyn; seys auch werth, so und ihn geliebt zu haben. Wenn ächte Tugend die Frucht davon würde, mit welcher Wonne wirst Du dann an diese Zeiten zurückdenken, auch wenn die Jahre, mit denen die Jugend unaufhaltbar entflieht, die Leidenschaften mit sich hinwegnehmen.


Lieb ist eine frühe Rose,
Blüht nur in des Lebens Mai —

Laß sie Dir, meine geliebte Schwester, unverwelklich seyn!

Prüf Dich aufrichtig, gutes Mädchen, ob sich das Aufwallen Deines Gefühls nicht zu sehr auf einsame Stunden einschränkt. Versteh mich recht; ich glaube nicht, daß Du ihn zu irgend einer Stunde eine Minute vergißt; aber hats auch einen wirklichen Einfluß auf Dein Betragen im Großen und Kleinen? Wenn die Hm Hms vor Deinen Augen lustwandeln, thust Du denn auch nichts, gar nichts, was Deiner Eitelkeit behagt? Du wirst die Regung derselben nicht vernichten können, denn das ist eine sehr unwillkührliche Erbsünde, die uns nicht mehr Schande macht wie Zahnweh oder Krähenaugen, Du must nur keinen Schritt vor oder rückwärts thun, der dieser Neigung schmeichelt. Du wirst nicht umhin können Dirs lieb seyn zu laßen, wenn die Schleyerhaube gut steht, nur must Du Dich hüten nicht an eine einzelne Person dabey zu denken.

Ich wolte Dir nur einige Winke geben, liebe Seele, wie uns unsre Heiligkeit betrügen kan.

Dein Brief scheint mich in Voraus zu wiederlegen, sonst wollte ich Dich noch errinren, in Deiner Betrübniß alle Art von Affectation zu vermeiden. Laß Dirs ganz einerley seyn, ob die Leute glauben, Du seyst gleichgültig oder fühlbar oder standhaft. Jede Rücksicht darauf entehrt das verschloßne Heiligthum Deine Caroline darf hinein blicken — das dankt Dir mein ganzes Herz. Glaubst Du, daß Deine Liebe, jedes bischen Gute, waß ich Dir thun kan, und alles, was Du künftig thun wirst, mich nicht unaussprechlich freut? Du täuschest Dich nicht, wenn Du in diesem Busen allein die Zärtlichkeit findest, die mit Dir klagt über das verlohrne Gut. Wie hast Du mich Tag und Nacht beschäftigt, und Er wo mag er seyn? Ahndet er das Andenken, das ihm geweiht ist? Möcht es auch ihn wie ein schüzender Engel umschweben.

Bogenende.