Dein Mann ist ein falscher Prophet, meine liebe Louise, und Du hast mich mit Deinen schönen Beyspiel zu trüglichen Hofnungen verleitet. Du weist, Beste, wie froh Du mich durch die glückliche Geburt Deines Gustav und die liebe Gevatterschaft gemacht hattest; aber noch eh die entscheidende Stunde kam, ward die heitre Aussicht durch den unerwarteten Tod zweyer Töchter unsrer Freunde Dahmens, von denen die eine mein Liebling war, schon sehr verdunkelt. Die lezten 14 Tage über, eingeschloßen in meinem Zimmer vom bösen Wetter und der Furcht vor Ansteckung; zwar wohl Freuden, aber auch Leiden der Mutter im Voraus fühlend — so kam endlich der Tag, der mich in tausend langwierigen Schmerzen und Augst selbst zur Mutter machte. Die lezten Augenblicke vorher trieben meine Anstrengung aufs höchste, denn ich fürchtete, das Kind sey todt — diese Vorstellung, vereint mit dem Anblick des lezten gebrochnen Strahls der Sonne, der in das gegenüberstehnde Bett fiel, als wolt er es zu Thränen einweihen — o es war Zeit, daß sie unterbrochen ward. Dann folgte ein nur zu kurzer Rausch der Freude, der sich durchs ganze Haus verbreitete — mein Mann, außer sich über das gerettete Leben seiner Frau und seines Kinds, die arme Lotte, die ich einige Tage nicht gesehn, in der Wonne ihres Herzens, kniend vor meinem Bett — ich deßen alles genießend. Ich fiel in einen Schlummer aus den ich ohne Besinnung erwachte, und nun folgten 14 fürchterliche Tage und Nächte, die ich unter einem heftigen Nervenfieber zubrachte, während welcher ich, ohngeachtet einer starken Neigung zum Schlaf, kein Auge schließen durfte, ohne von Zuckungen und schrecklichen Phantasien geweckt zu werden; wo Böhmner oft für mein Leben, und ich für meinen Verstand fürchtete, deßen Zerrüttung ich mir in äußerster Traurigkeit bewust war; wo ich überall Trauer sah, selbst mein liebenswürdiges Kind mir keine Freude machte, außer der betrübten Genugthuung, über daßelbe gebeugt, weinen zu können! Aeußerst schwach an Leib und Seele must ich Ruhe und Bewegung gleich scheuen. Es ist vorbey, und Gott sey Dank, der mich durch die Bemühungen meines Mannes gerettet, für den sich bey dieser Gelegenheit meine Achtung und Zärtlichkeit durch die vielfachen Beweise der seinigen und die Standhaftigkeit, die er nie verläugnete, selbst in der dringendsten Gefahr nicht, noch verdoppelt hat. Ich bin sehr langsam wiederhergestellt, und hab erst seit wenig Tagen das volle Gefühl der Gesundheit wiederbekommen. In dieser Zeit haben mich meine Eltern besucht, und die jungen Meyers auf ihrer Reise nach Hamburg. Es hat der armen Kranken nicht an Aerzten jeder Art gefehlt, und könte Liebe heilen, hätt ich bald, wie durch ein Wunder erschüttert, wieder umher gehn und wandeln müßen. Aus dem Gustav ist nun eine Auguste geworden, und das liebe Geschöpf bittet durch ihre Güte und Schönheit stillschweigend, mit ihr doch zufrieden zu seyn; auch ist mir für mich eine Tochter, bey der das Mutter Herz gewiß sympathetischer schlägt und mit der ich mich früher beschäftigen kan, lieber, und der Vater? — ach er vergaß gern die Wahl.
Ich war noch sehr krank, wie ich Deinen Brief erhielt, meine beste Louise, allein er hat seines freundschaftlichen Zwecks nicht verfehlt, und war mir durch seinen ganzen Inhalt äußerst angenehm. Möge der Himmel Dir durch Deine übrigen Kinder ersezen, was er in Paulinen Dich leiden ließ, und diese arme Kleine bald in eine süße Ruh übergehn laßen. Das Gefühl des Verlusts ist doch um so vieles weniger schmerzhaft, wenn man dahin gebracht ist, ihn für Wohlthat anzusehn, die Errinrung weniger bitter, als wenn in der vollen Blüthe der Gesundheit, im reizendsten Genuß des Lebens der Liebling unsres Herzens dahin stirbt. Wie zerreißend mag die Empfindung seyn, mit der wir dann die Vorsehung fragen — warum? Wie wiederstrebend gesellt sich dann das Bild des Todes zum Andenken des Lebenden. Du bist Stuffenweise zur Ergebung geleitet — sie wird Dir nun nicht schwer werden — der Blick, mit dem Du Dein Auge gegen die Vorsehung wendest, kan nur Dank für überstandnen Kummer verrathen. Es ist hart zu scheiden, wenn noch die schönsten Hofnungen uns beseelten, sind sie aber schon zu Grabe getragen — wolten wir mehr als eine wehmühtige Thräue über dem Monument vergießen?
Könt ich doch Augusten mit meinem kleinen Patchen zusammenbringen. Mein guter Bruder hat mir zwar auf Michaelis eine Reise nach Gotha vorgeschlagen, allein ich darf nicht dran denken, da ich Böhmern ohnedies bald auf einige Wochen, die ich in Göttingen zubringe, verlaßen werde. Meine Schwiegermutter ist jezt wieder hier in der Nähe im Bad, und mit ihr geh ich dorthin; ich freu mich übermäßig drauf, und man freut sich dort auf mich, und mein Kind. Auf dem Weg, der vor Catlenburg vorbeygeht — so heißt das Feenschloß des Amtmann Reinbolds — denk ich die Sturzen zu sehn. Bis dahin mach ich noch einige Spazierfahrten nach Gittelde zu Mad. Böhmer, Louise B. und dem Hofrath. Der Sommer, der so langsam gekommen ist, wird geschwind und unter manchen Abwechslungen verfliegen. Das Ende deßelben ist mit einer Treunung bezeichnet, deren ich mich kaum zu erwähnen getraue.
Außerordentliche Schicksaale sind für Theresen gemacht — sie haben ihren Grund in ihr selbst. Gott wende sie zum Besten!
Schwachköpfig war ich auch noch, meine gute Louise, wie ich die ausgefüllten Endreime laß, aber dem ohngeachtet stand ich nicht einen Augenblick an zu entscheiden, wer von diesem und jenem Verfaßer sey. Liebchens himmlische Gestalt lies sich in des einen Mund nicht verkennen; und das ziemlich satyrische Gesicht nicht im Auge des andern. Solte die Herzogin wohl sehr gnädig beym Empfang des leztren ausgesehn haben?
Ich muß Abschied von Dir nehmen, meine theuerste Freundinn. Sobald ich kan, bin ich wieder bey Dir. Vergiß indeßen Deine Caroline nicht.