Wenn ich sagen sollte, ich wäre während Deines Stillschweigens ruhig gewesen — so müst ich die Angst meines Herzens um Dich verläugnen, doch ich will Dich damit nicht quälen. Erlaube mir nur, liebe Lotte, Dir nochmals zu wiederholen, daß Du nicht vorsichtig genug seyn kanst. Aus verstärkten Gründen bitt ich Dich darum. Wolt ich auch gern kein Mistrauen in Meyer setzen, so schwindet doch die Wahrscheinlichkeit von andern Seiten oft so sehr, daß mir aller Muth sinkt. Aus einigen vorbeygehnden Gesprächen mit Mariannen hörte ich, daß M. durchaus sein ganzes Vermögen verlohren und nur 300 rh. Besoldung hat. Er würde, ließ man sich verlauten, in 8 oder 9 Jahren noch nicht heirathen können. Man kan das ohngefähr wißen, übrigens spricht sie nie nachtheilig von ihm, aber immer so, als wenn er ganz von ihrem Hause abhinge, und das ist traurig genug. Vermeide nur ums Himmelswillen alles, was die Sache zu öffentlich macht, nenn ihn ja nicht, geh vor allen Dingen nie wieder auf die Bibliotheck, unter keinen Vorwand, denn das legt man so aus, als gingest Du zu ihm, und aus diesem Licht sieht es der alte Heyne an, der es, wie ich bey Gelegenheit merkte, weiß. Wirst Du mir nicht übel nehmen, wenn ich noch die Bemerkung mache, daß es viel gesagt heist, wenn man einen gar nicht zu sehn glaubt, den man in Gesellschaft sieht? Daß es viel ist von verstohlnen Blicken zu sprechen? Wenigstens ist das nicht der Ton der Freundschaft, und Du must Deinen Verhältniß nicht diesen Nahmen beylegen.
Du liebes Mädchen verlangst immer äußerste Schonung und Nachsicht von mir, und ich habe sie gern, wenn ich nur könte. Seh ich aber, daß Dein Leichtsinn, Deine Leichtgläubig
keit sich um nichts bekümmert als um das gegenwärtige Vergnügen, ohn Ueberlegung, ob es wahr oder falsch, ob der Grund Deines eingebildeten Glücks auf flüchtigen Geschmack oder ernsthafte Absicht gebauet ist, was am Ende draus werden wird, wenn nichts draus wird, wie es dann mit Dir steht, und über das alles so ganz uneingedenk der Sorge Deiner Eltern, des Kummers Deines Vaters, wenn er einst aus der Welt geht und Dich ohne Bestimmung zurückläßt — so muß ich grade zu warnen. Wenn Du unserm Vater noch Freude machtest, wie wolt ich Dir danken! Seine Lage ist vielleicht jezt nicht die angenehiste, der Einnahmen werden weniger, er ist kränklich, der geringste Verdruß könte ihn umwerfen. Es gilt hier kein Tändeln der Liebe, meine Schwester, es ist sehr ernstlich gemeint, und alles, was Du mir zu Meyers Lobe sagst, muß gegen eine einzige solche Betrachtung verschwinden, wenn Du ein Herz hast Vater und Mutter zu lieben. Ich erschrecke, wenn ich mir Deinen Zustand aufs künftige denke, sobald dies wieder, wie alles vorhergehende, leeres Amusement seyn soll; Du bist jezt in einem Alter, wo es Dir mit jeden Tage schweerer wird glücklich zu werden. Wär dies die erste Geschichte dieser Art, so müste man bey einem Mann gar nichts anders als eine Verbindung auf Lebenszeit voraussetzen können, aber glaubst Du denn, daß er von dem Vergangnen nichts weiß? Er muß alles wißen, und wenn er es auch aus dem günstigsten Licht betrachtet, Dich schäzet und Dir gut ist, so wird er doch weniger streng über seine eigne Neigung denken, und sich allenfals einbilden, daß er sie ohne weitere Verbindlichkeit, und ohne die Furcht des rechtschaffnen Mannes, dem Ruf eines Mädchens zu schaden, befriedigen könne. Denke nur einen Augenblick ohne jene wilkührliche Verblendung über Dich nach, ob er einem
Mädchen, die vor einem Jahr heftig liebte, verzweifeln wolte, tausendmal schwor nie einen Mann mit Wohlgefallen wieder ansehn zu können, herrliche Vorsätze faste, von Tod und Tugend sprach — und jezt — seinen halben Gefühlen entgegeneilt — ob er einem solchem große Schonung schuldig zu seyn glauben kan? Meinst Du, er weiß das nicht? Du hast es ihm selbst im Anfang Eurer Bekantschaft merken laßen, und Therese hat sicher nicht geschwiegen. Noch eins, beste, hätte Therese gewust, er will, wenn er einst kan, sie hätte Dirs gewiß in ihren damaligen Rausch gesagt und nachher geschrieben; er gestand Dir einmal, sie wüste nicht alles, fürchtete er sich es ihr zu entdecken? und warum empfalst Du mir so viel Vorsicht, wenn ich ihr darüber schriebe? Du wilst alles glauben, meine beste, er weiß nicht, waß er will, Ausflüchte, Schwanken von allen Seiten, Ihr fürchtet Euch beyde aufs klare der Sache zu kommen, weil Ihr im Grunde ahndet, daß alles umsonst ist.
Wird mein Geschwäz etwas helfen, das Du schon so oft gehört haft ohne mehr oder weniger zu thun, als was Deinem Herzen gut dünkte? Du wirst Dich wieder über mich beklagen, Leidenschaft vorwenden, ihn loben, hoffen wollen, und über die Oberfläche hinwegschlüpfen.
Wie müde mächst Du mich, beste Lotte! Ich mag Dir nicht sagen, wie ich Tag und Nacht an Dich denke und oft sehr traurig bin? Ich liebe Dich wahrhaftig, sonst must Du mir doch zugeben, daß es kein Verbrechen wäre, die Geduld zu verlieren, wenn unsre schwersten Sorgen durch Dich gehoben werden könten, und Du an nichts denkst wie an Dich.
Daß Fritz ihm nicht ganz gut ist, hat weiter keinen Einfluß auf mich. Er würde ihm auch gut seyn, wenn er nicht für Deine Ehre zu viel fürchtete.... Meister hat heut zum erstenmal in seinem Leben an mich geschrieben, und mir seine Wonne verkündigt.
Wilst Du mir nicht böse seyn, liebe Lotte? Ich schreibe spät in der Nacht, auf Augustens Stube, sähst Du sie schlafen, Du würdest der Mutter verzeihn.
Suche doch so viel wie möglich Mama aufzuheitern, die wegen unsres Vaters Kränklichkeit niedergeschlagen zu seyn scheint.
Schick mir, wenn Du so gut seyn wilst, 8 Ellen Blonden à 1 gr. die Elle. Adieu, liebe Lotte.