Caroline von Schelling, Band 1


An Lotte Michaelis.

Clausthal d. 9ten Nov. Dienstag um 10 Uhr Morgens 1785.

Laß mich bey Dir freyen Athem schöpfen, liebe Lotte. Ich darf mich bey Dir ausruhn, Dein lezter Brief berechtigt mich dazu. Du kanst Dir vorstellen, in welcher häuslichen Unruhe wir bisher gelebt haben, unsre Burg war so lebhaft, wie wenn eine ritterliche Hochzeit gefeyert würde. Alle Augenblik stieß der Thurmwächter in die Trompete, die Zugbrücken musten niedergelaßen, die Herrschaften hereingelaßen werden, balsamirt, getränkt, gespeißt, gebettet, und noch ists nicht ganz vorbey, denn — wie nenn ich ihn nun den namenlos sonderbaren Helden mit dem Schweinskopf im Schilde, der Alte ist noch mit einem Bedienten da, und hat seine Familie nur voran nach Catlenburg geschickt, weil er mit seinen Lumpen noch nicht fertig werden konte und noch alte Zeitungen, Gevatterbriefe rc. in großen Kisten dastehn, die eingepackt werden müßen säuberlichst, samt allen Abfallsell in Papier, Bindfaden, stumpfen Federn, von 40 Jahren her. Es ist nicht auszusprechen, wie sich der Mann beträgt, ich halt ihn oft grade zu für kindisch, und der hartnäckige furchtbare Eigenwillen bey solchen Panzenstreichen! Alles alte Geschirr Z. B., was er so lang er hier ist gebraucht zu haben glaubt — denn manches, als Taßen und dergleichen zerbrechliche Waare, hat man ihm nur heimlich wieder neu hinsezen müßen, daß ers nicht gemerkt hat — will er durchaus mit nehmen. O wer bringt mir die Begebenheit mit dem zinnernen Nachttopf in ein komisches Gedicht — den er durchaus, so verunstaltet er gewesen seyn soll, nicht fahren laßen wolte, sondern wolt ihn oben im Wagen über den Häuptern seiner Töchter anbinden, ihn brauchen im Nothfall, der oft kömt, und sich so süß diese Bequemlichkeit vormahlte, bis man ihm zu verstehn gab, daß Damen in dem Wagen mit säßen, und der blinde Heße hatte gar nicht daran gedacht. Man schriebe sich heiser, wenn man die Qual, die lächerliche Qual schildern sollte, die seine Angehörigen durch ihn ausstehn. Früh um drey Uhr wekt er alle Welt, wundert sich über den unmäßigen Schlaf, alles soll aufstehn; um 5 Uhr geht er hier schon aus dem Hause seine Siebensächelchen vollends einzupacken. Einen alten Tisch hat er, wirklich von Anno 40 her, unter den sich seine älteste Tochter ehedem Häuschen gebaut, und die hat einen Bindfaden im Spiel dran geknüpft, der nicht abgenommen werden durfte. Was ist das? ists nicht ächte Empfindsamkeit? Ferner ist er aufs drollichtste sparsam, und dann wieder übermäßig freygebig — kurz es ist kein Ende da zu finden. Es ist überhaupt eine Familie, die, so viel ich von ihrer Geschichte aus den Erzählungen der Mutter weis, ins dritte, vierte Glied hinauf, durch übel angewandte Kraft sich unglücklich gemacht hat. Es fehlt keinen an Talent, an Verstand, aber alles ist ausgeartet, nirgends ists in den rechten Strom geleitet, und das erbt fort von Vater zu Sohn durch Erziehung, die frey seyn soll und zügellos ist, und stets ein Pralen mit Stärke und allmächtigen Willen dabey, daß man weinen möchte über die sich brüstende Thorheit. War die Mutter tugendhaft, so ist sie sehr interreßant durch das gehäufteste Ungemach, war sies nicht, so wird sie wenigstens so bitter gestraft, daß der Fehler vergeßen werden sollte. Die beyden Mädchen könten erkräglich seyn, troz ihres falschen Witzes, von dem Marianne die Tasche voll Proben hat, wenn sie nicht so unausstehlich Waschweibermäßig medisant wären. Bitter muß die Abreise von einem Ort seyn, wo man 38 Jahr wohnte und keine Thräne einem nachgeweint wird — wo fremde Personen sich allein in den lezten mühseeligen Augenblicken unsrer annehmen müßen, denn ohne uns wär das Wirthshaus der einzige Zufluchtsort für sie gewesen. Man bekümmerte sich gar nicht um sie. Stißers mögens oft versehn haben, aber diese Gleichgültigkeit zeugt doch in Augenblicken, wo das härteste Herz sich erweicht, von Herzen härter wie hart. Wie ich sie abfahren sah, ihnen nachsah — wenn Du einst diesen Ort verläßt, dacht ich — wie wirds dann seyn? so, ganz so, wohl gewiß nicht, aber Du wirst schütteln den Staub Deiner Füße, und doch mit leichtem Herzen die Höfe hinter Dir sehn. Ich Thörinn, mich so lebendig in Gefühle zu versetzen, die ach! so viel zu früh kommen.

Du wirst Mariannen gesehn haben, sie ging ungern von hier und ich hatte mich sehr an sie gewöhnt, und an ihre Fehler auch. Blumenbachs Besuch machte uns Vergnügen. Es ist nicht zu leugnen, daß er ein bischen embarrassirt war, und daß er fühlte, er hätte glücklicher seyn können, aber ich kan mir das Zeugniß geben, daß ich dies Gefühl durch nichts zu verstärken gesucht habe, und nichts in meinem gewöhnlichen Betragen änderte, als daß ich mit Böhmer nicht soviel tändelte. Noch weiß ich nicht, ob mir nach so viel Geräusch die Stille lieb ist; ich muß mich wieder daran gewöhnen, und wie unglücklich wär ich, wenn ichs nicht könte, wenn ich immer Gesellschaft bedürfte, um heiter zu seyn. Mit Trauer sehlich den Schnee, die Scheidewand zwischen mir und der Welt; es ist so ganz wieder das Gefühl vom vorigen Winter; so entblätterten sich die Bäume, so schwärzten sich die Tannen, und der Wind rauschte an meinem einsamen Zimmer, die Wolken wallten in tausend Gestalten über uns hin — ich lebte nicht in der Gegenwart, sondern in der Hofnung des Frühlings und deßen, waß er bringen würde — das war der einzige Unterschied. Jezt hab ich mein Kind, jezt genieß ich des Guts, auf das ich harrte, und welch ein Kind! Meine Auguste ist ein reizendes Geschöpf. Das wird auch Marianne eingestanden haben. sie war nicht wohl, aber es ist schon alles wieder gut. Wenn Du thust, wie Du sagst, so habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Möchten Deine Hofnungen wahr werden! Verbirg sie um sie zu pflegen, laß Dir durchaus nichts von einer genauern Bekantschaft mit Meyer merken, vorzüglich gegen Heynens. Ich warne Dich dringend davor. nenn seinen Nahmen nicht, es wird um desto mehr Würkung thun, weil mans bisher nicht an Dir gewohnt ist, und die Verschwiegenheit also aussieht, als wär kein Geheimniß da. Sage Mariannen nicht, daß Meyer zu Böhmers komt. Glaube mir, der alte Heyne würde ihn wohl zu hüten suchen. Marianne hat mir nie ganz frey ihre Meinung von Meyer gestanden, und das ist bedenklich, ohngeachtet ich nicht grade glaube, daß sie ihn liebt. Noch am lezten Tage entfuhr es ihr, daß sie M. nicht für aufrichtig halte, er könte ganz anders sprechen, als sich nachher fände, daß er dächte. Kurz Du hast gewiß alle mögliche Ursach äußerst vorsichtig zu seyn. Vernunft, Du bedächtlicher Genius, walte über Lotten!

Vielleicht hör ich diesen Nachmittag mit der Post noch etwas von Euch.

Die Post ist gekommen, bringt mir aber von Dir weiter nichts mit, als daß Du nicht schreiben magst. Das soll Dir vor dies mal denn hingehn. Du bist in der Assemblée gewesen? Meyer hat mit Mad. Heyne gespielt. Du hast Dich doch nicht verrathen? Ich kan nicht läugnen, Mutter schreibt mir, daß du Mittwoch Abend noch nach Tisch zu Böhmers gingst. Du hast es selbst erkant, daß dieser Schritt äußerst fehlerhaft war, und ich will nichts weiter hinzufügen, als bleib Dir selbst treu. Lebe wohl, meine liebe Lotte.

Caroline Böhmer.