Es ist immer ein eigner Gram für mich, wenn ich ohne Plan bin, es sey im Großen oder Kleinen, ich mag keine Nadel abstricken ohn den Eifer und die Aussicht etwas fertig zu bekommen, und hinterher zu denken, ich habe wirklich was gethan — da kan ich ordentlich deliberiren, was ich thun will, das am nöthigsten ist und mit einiger Anstrengung vollendet wird. Bin ich zwecklos, so ist mir wie denen, die gewohnt sind, sich von Sonnenaufgang bis Untergang zu schnüren, und ungeschnürt nicht wißen, wo sie den Leib laßen sollen. Komt nun noch der Pfal im Fleisch dazu, daß ich etwas thun will, was ich nicht mag, und habe doch nicht die Macht es zu forciren — und — Deiner Barmherzigkeit seys zu Gemüth geführt, auch kein angenehmes verzweifeltes Mittel, als lesen, sticken rc. im Haus, so bin ich ein elendes Geschöpf, das mit Gleichgültigkeit das Morgenlicht durch die Vorhänge schimmern sieht, und ohne Satisfaction sich niederlegt. Nachdem ich diesen meinen Trab Euch vorgelegt, kom ich zu der betrübten Application, daß dies alles seit 3 Tagen mein Fall war. Geschäfte waren geendigt, und andre, die Vorbereitungen sind zu einer gewißen Kindtaufe, mocht ich nicht anfangen, weil ich wuste, gestern und heilt unterbrochen zu werden. Schreiben wolt ich einen Brief — weh weh weh über Leute, die das wollen; an die Offeney solt er, und mein Herz war ein unwirthbares Eyland. Der Anfang liegt da, ein Ding zum Weglaufen, ich kan ihn nicht schreiben, außer in einem schreibseeligen Rappel, wo ich die Briefe Duzendweis expedire. Zu lesen hatt ich nichts mehr. Auch mein Gustav war rein alle; ich laße ihn ungern von mir, so mauche recht vergnügte Stunde hat er mir gemacht. Ich hoffe, Du hast mich bey Meyer nicht vergeßen; ich erwarte viel diesmal. Wennfolgendes Buch auf der Bibliotheck wär, so möcht ichs sehr gern. Mémoires de Louise Juliane, Electrice palatine, par Frederic Spanheim. 4to. Leyden 1645. Schreibs doch auf und schicks ihm noch diesen Abend. Von Dir bekomm ich auch wohl etwas. Garve behalt ich und leg einen halben Gulden dafür bey, nicht weils etwa einen Talgfleck bekommen hätte, sondern weil es an guter, wahrhaft philosophischer, nicht zu gespanter, noch dehmühtiger Stimmung des Gemüths zu einer Streitschrift ein Muster ist. Anton Reiser, auf den ich laure, wird wieder ein Herbstnebel seyn.
Möchte Dir dies Jahr in der behäglichen Ruh verfließen, mit der Du es zu beginnen scheinst, und beym Anfang des künftigen lebhaftere Erwartungen, als das Sandwüstenbild verräth, an seinem ersten Morgen Dich ermuntern. Meine Wünsche sind mäßig, aber eben so viel mehr gesagt, wie ein feurigerer, als die Locke in den Eimer Waßer zu tauchen mehr hieß, als in den Ocean.
Du wirst aber bey jeden ernsthafteren gefühlvollern Nachdenken finden, weil es uns ins Allgemeinere leitet, daß die schönsten Farben der Zukunft in dergleichen Bilder übergehn — daß das Gefühl einer gewißen Nichtigkeit sie am Ende alle auflöset. Lotte, wir wären elend — wenn nicht aus Kleinigkeiten unsre Glückseeligkeit zusammen gesezt wär, deren Summe eitel ist, aber die im einzelnen doch fähig sind uns ganz zu beschäftigen. Denn aus jener Stimmung, wo die Seele in sich zurück kehren zu wollen und im Begriff schien, ihre Tiefen und unser Wesen zu ergründen — ruft uns doch so leicht das mindeste zurück, eine Stimme, ein schneller Blick, der auf ein Band fällt, auf ein etwas — und das leitet uns wie ein Blitz zurück auf die Gegenwart, auf Annehmlichkeit und Abwechslung des Lebens. Geschmack und Freude daran leben auf. Es ist so — weiter weis ich nichts davon. Gestern hab ich tracktirt, und da war mir der Braten wichtiger wie Himmel und Erde. Ihr habt auch Fremde gehabt, und zwar Meyer, und da hast Du sicher nicht an dürre Wüsten gedacht. Unter Ilsemann, der bey mir saß, dacht ich mir immer Meyer, weil ichs von Louisen eben erfahren hatte, er wär bey Euch. Das war höchst drollicht. Zumal da dieser politische Kannengießer sich jezt Airs giebt, denn denk! es war im Vorschlag ihn zum Profeßor zu machen; auf den wolt er schon einlenken, wolte reformiren in seiner Apothekenschnappsstube, und die jungen Trunkenbolde thaten ihm alles zum Poßen. Hardenberg hatte neulich Musikanten hinbestellt, wie in eine Schenke, da hat er gepustet! In Hannover hat man, wie das Rescript sagt, convenabler gefunden ihn zum Bergchymisten zu machen. Es wär auch ein Schimpf für Göttingen, wenn einer, der nie auf einer Universität war, Profeßor geworden wär.
Was geht Dich das an? Laß uns von den Louisen sprechen. Das wenige, was ich bey der einen thun kan, ist bey der besten Gelegenheit geschehn, da sie mir selbst viel von einem Zank mit Busch schreibt, ein Ding, was ich nicht ausstehn kan, und wodurch, wie ich ihr auch sage, Marianne alle Achtung verlohren hat. Sie hat allen Leichtsinn ihres Alters; neben den heimlichen Freuden der Liebe nimt sie auch noch alles an, was Eitelkeit darbietet, und so gar keine Überlegung, daß das eine dem andern nachtheilig ist. Für sie ists gewiß nicht gut in Eurer großen Welt zu leben. Ich fürchte, sie wird auch erst durch bittre Erfahrung gescheut werden, denn hat sie nicht alles Segens ohngeachtet zehn Schritte vor einen gethan, so unbesonnen wie möglich? Noch der lezte, Rudlof zum Vertrauten zu habenwie wars möglich ihn zu thun? Mutter darf freylich nichts wißen, ich möchte ihr keine Unruhe machen, und könt ich auch Gutes damit bewürken, aber in Ansehung ihrer öffentlichen Aufführung muß sie doch nicht zu sorglos seyn, denn Aufsicht und Warnung vermögen gewiß etwas über Louise. Sie ist so leidenschaftlich nicht, die üblen Folgen aus der Acht zu laßen. Fahr Du auch ja fort, sie zu errinren, vorzüglich indem sie just im Begriff ist etwas albernes zu thun. Unsre andere Louise, fürcht ich, hast Du doch anfangs ein bischen dem Vorurtheil eines Mädchens gegen eine Frau aufgeopfert, und dadurch vielleicht gemacht, daß sie sich ganz in die Frau hinein warf, denn sie hatte außer Dir keine unverheyrathete Freundinn, und da fehlt es ihr an Eigenheit eine Rolle allein zu spielen. Hättest Du den Umgang gleich ganz mit der alten Cordialität fortgesezt, es hätte nicht ganz so kommen müßen, aber ich bemerkte selbst schon damals in Dir etwas wieder sie, was gegen die Hochzeit zunahm. Du schienst Dir vorher einzubilden, es werde nachher nichts mit ihr anzufangen seyn. Ich bitte Dich, suche Dich grade zu oder gradweise wieder mit ihr auf den alten Fuß zu setzen. Was kan auch in der offensten Erklärung liegen, was sie ihrem Manne wieder zu sagen Lust hätte, denn für ihn wärs nicht interreßant. Auch thut man das so leicht nicht, wenig Weiber werden eine Freundinn dem Mann verrathen, und auch Louise nicht. Doch bin ich selbst mehr für ein langsames Näher kommen; Erklärungen machen den einen Theil leicht heftig, und den andern dadurch bitter. Sag ihr manches, was Dir denkst, das ist schon ein Schritt. Tadle sie, wenn sie von Cartoffeln spricht, sag ihr, warum sie nicht just auf dem Fuß komt wie sonst, aber ohn ein feyerliches Ganzes draus zu machen. Es wird Louisen selbst wohl seyn, wenn sie mit Dir schwazen kan. Dann beurtheilst Du sie wohl in mauchen zu strenge — sieh, es ist und bleibt unmöglich, daß eine Frau ist wie ein Mädchen. Bey dem ausgezeichnetesten Geschöpf wird es einen Unterschied machen, nur auf eine andre Weise, wie soll es nicht bey einem gewöhnlichern seyn, dem der Zwek des Weibs vielleicht Hauptzweck des Menschen wird. Glaubst Du nicht Z. B., daß Therese ganz partheyisch ihres Mannes sich annehmen würde? Daß sie vieles durch ihn gut findet oder schlecht?
Man kan wie Louise im Anfang ein kindisches Interreße für den Haushalt haben, mit Eifer davon reden um sich zu unterrichten, und da er in der That keinen geringen Einfluß auf das Leben hat, so ist der Diskurs auch keines wegs so fade — ach, wie er auch mir ehedem schien! Louise treibt es vielleicht zu weit — Deiner lebhaften Beschreibung nach wenigstens — aber es kan nur Embarras und Schuzwehr seyn, da sie nicht weiß, was sie sagen soll, nachdem Du ihr nichts mehr zu sagen hast. Schwester Louise hat auch mehr an der Verkältung schuld, ohne ihre Schuld — sie ist Dir Gesellschaft, wenn Du außerdem andre gesucht hättest, doch mir ist, als hätt ich das schon verhandelt. Kurz, laß mir Wischen nicht stecken. Von wegen des Prädicats alter Weiber, das sagt nicht viel. Unterhaltung hatte Louise nie in einem hohen Grad, ihr Reiz war der Reiz des Mädchens und des naiven Mädchens, sie hat den einen verlohren, wagt sich nicht mehr an den andern, und so hat sie wenig verlohren, und der Reiz ist doch davon! Von der Sündlichkeit des gesuchten Anzugs ließen sich beyde Meinungen, mit gehörigen Übertreibungen und Einschränkungen unterstüzt, behaupten. Es ist ein bischen Familienart bey ihr, im Guten zu weit zu gehn. Doch halt ich auch für wahr, daß der Anzug der Frau darin unterschieden ist, daß man damit vorzüglich auf den Charakter Rücksicht nimt, den man selbst zu behaupten wünscht, nicht so sehr auf andrer Beyfall.
Thu, was Du kanst, mein liebes Mädchen. ich muß in einer halben Stunde in den Clubb und bin noch nicht frisirt.
Sag der Schlözern, diesmal könt ich das Geld noch nicht schicken.