Caroline von Schelling, Band 1


An Lotte Michaelis.

Clausthal. Montag Abend 20. März 1786.

Mich deucht, ich sehe hier den Winter mit leichteren Herzen kommen, als den Frühling. Der Winter darf nun einmal rauh seyn, und die Natur im Winter arm und kalt. Auch seh ich die Hälfte des Tages über nichts von ihr, und bin die andre Hälfte ungestört ich, in meiner Stube. Der Frühling macht mir Heimweh; es ist immer die Jahrszeit süßer Schwermuth; but, as there is no occasion for a sweet one, so wird dann eine bittre draus. Doch wer weiß, was das für tausend kleine Ursachen sind, die mich diesen Abend unzufrieden machen und mit denen die wärmere Sonne nichts zu schaffen hat. Ich weiß es selbst nicht. Meine eigne Last drückt mich. Es geht mir immer so, wenn ich einmal lange nicht über mich nachgedacht habe, und halte dann Révue, es findet sich so vieles zu verbeßern, die edle Thätigkeit ist so schlaff geworden, und man merkt dann, wenn mai wenigstens unpartheyisch mit sich umgeht, daß beynah alles, was uns Mismuth macht, eigner Mangel derselben war. Hernach wird es wieder beßer — man ist wieder beßer ‒ bis man von neuen sinkt — und sich von neuen erhebt. Ich freue mich, daß ich das erste bald wahr nehme; aber weil ich weiß, wie leicht es ist mit sehenden Augen blind zu seyn, so warne ich Dich so oft, meine liebe Schwester, welches Di mir nicht übel nehmen mußt; das würde nichts helfen, ich laße nicht ab Dich zu errinren, so lange Dein Schicksaal unsicher ist. Quälen will ich Dich nicht, nur möcht ich wohl, daß Dir Deine Freuden dann und wann ein wenig zittrig schmekten, damit die Sicherheit des Genußes Dich nicht zu weit führe. Misfallen habe ich ja weiter gar nicht geäußert. Nimm Dich nur ja immer vor der argen Welt in Acht; ich sehe nicht recht ein, wie das noch geschehn kan, da Jhr so muthwillig seyd, und es kömt doch so viel darauf an.

Am Mittwochen hatten wir noch eine große Schlittenfahrt, zu der uns Fr. von Reden einladen ließ. Wir fuhren vor dem Amthause weg, es waren 17 Schlitten, aber der Aufzug freylich nicht so glänzend, als wenn Vorreuter Fahnen tragen. Die Wahrheit ist, daß wir gar keine Vorreuter hatten, und die Schlittenéquipage hier, dafür daß man so viel fährt, überhaupt sehr unhonorig ist; es sind Z. B. nie Federquäste auf den Pferden, und wie neulich ein solches paßirte mit einem Fremden, erzählten sichs die Damen wie die Geschichte vom grünen Esel. Dafür war unser Weg der reizendste, den man sich denken kan; er ging in einem Thal hin, und durch eine Allee von grünen Tannen, die in der Nähe immer sehr grün aussehen, die Ferne schwärzt sie nur. Dazu war das Wetter sehr gut, und wir kamen in ¾tel Stunden in einem neu gebauten Hause mitten im Walde an. Da fanden wir Musik und eine prächtige Bewirthung, alles was man verlangte, ja wir blieben sogar des Abends, und Fr. von Reden hatte alles mit hinausgenommen bis auf silberne Leuchter und Wachslichter. Gegen Abend wurde ving-tun mitunter sehr hoch gespielt, die Reden hat gewiß 3-4 Louisd’ors verlohren. Ich brach ab, weil ich nicht hoch spielen mochte, und das niedrige ennuyirt neben jenem. Wir brachten unsre Zeit ganz erträglich hin; ich sprach lange mit Ußlar von Göttingen. Er ist kein übler Mensch. Die Reden machte, und wollte machen, eine sehr gute Wirthin. Er war verreißt....

d. 22sten März.

Hätte nicht brauchen in Vorrath zu schreiben, da die Donna erst Morgen weggeht. Sie wird hinunter geregnet werden; wir haben heut ordentliche Gewitterschauer gehabt; und bey Sonnenuntergang die prächtigste Erleuchtung, auf die die Sonne traktiren kan. Aber ich für mein Theil bin nicht wohl, ich stäche die Feder lieber unter die Nachtmütze als daß ich sie zwischen Fingern halte — ja diese Begierde wird so leidenschaftlich bey mir, daß ich ihr nachgeben — Abschied von Dir nehmen muß. Nur das noch, ob Du nichts zu lesen für mich hast? Ich vertrockne seit einiger Zeit, weil alle meine Bücherquellen sich verstopfen. Marianne schickt nichts — Blumenbach ist ein Gevatter Johannes — Mad. Volborth hab ich den Kauf aufgesagt — Du? und so gehts mir wie dem, der Gäste laden wollte, und alle entschuldigten sich. Sans comparaison mit den Blinden und Krüppeln, nun bitt ich Meyern, erstlich um etwas amüsantes gut zu lesen, wenn man auf dem Sopha liegt. Das muß kein Foliant seyn, sondern was man mit einer Hand hält. Wohl möchtich neuere französische Trauerspiele, kleine Romane, Memoires oder auch etwas ernsthafters. Gott! er muß es ja wißen. Mir ist alles willkommen, waß ich noch nicht gelesen habe. Zweytens möcht ich etwas zu lesen, wenn man auf dem Sopha sizt und einen Tisch vor sich hat, als ältere englische Geschichte aus Alfreds Zeiten; und den 4ten Theil von Plutarch (die andern hab ich gelesen). Alles auf einmal will ichs nicht. Bey der nächsten Gelegenheit kömt auch Winkelmann und Oßian wieder. Betreib dies ein bischen für Deine Schwester; es ist unverantwortlich, daß man mich so gleichgültig zum Aschenbrödel werden läßt. Mach es Meyern wichtig. Bekomm ich nichts, so glaub ich nicht an Deine Gewalt über ihn. Die Drohung zeigt Dir wenigstens, daß es mir mit meinem Wunsch ein Ernst ist.

Mir ist wirklich übel zu Muth. Ich muß mich ausziehn. Leb wohl, meine Liebe, liebe mich, folge mir, und sorg für mich.

Caroline.