Caroline von Schelling, Band 1


An Lotte Michaelis.

Clausthal d. 28 May 1786.

Du bist ein Unglücksvogel mit Deinen Frisuren! Gewiß, sie stehn unter dem Einfluß eines bösen Gestirns, der meinen armen Geldbeutel nicht wohl will. Aber Du bist doch unschuldig, meine Seele, nur ein Werkzeug in der Hand des unerbittlichen Schicksaals — nur um den Gram zu versüßen oder zu verbittern. Wie kontest Du wißen, ich hätte in diesem Lumpennest Crep gekauft... Und nun wolt ich, daß die Fee Cocombre allen Puz holte!

Wohin reißt denn Meyer eigentlich? wie ich verstehe, komt er so spät zurück, daß er Dich noch hier treffen könte. Anfangs sagtest Du von 3 Wochen, so müstens wenigstens 7 seyn. Innig freu ich mich auf Dein Kommen. Dann gut Wetter! und wir wollen den Harz durchlaufen. Diese Gegenden fangen an mir zu gefallen, da ich sie näher kennen lerne. Clausthal sieht von vielen Seiten äußerst hübsch aus — meine Sinnen freuen sich, auch diese Fluren, die mich sonst so schwarz dünkten, wie unsre Tannenwälder und der Schiefer, der unsre Häuser deckt im Regen — fangen an zu lächeln. Aber Sonnenschein wird dazu erfordert, und vom ersten Eindruck bleibt genug zurück, um dem Ganzen einen Anstrich von Schwermuth zu geben, den ich gern verwischen möchte. Was Meyer übrigens einst sagte, ist thöricht. Ich bin nicht unglücklich, wenigstens nicht durch meine Lage, ja was sag ich wenigstens? Bin ichs denn überall? Nennt ers ein Unglück eine Seele zu haben? So scheints mir beynah. Es war eine Zeit, wo Therese sich alle die unglücklich dachte, die sie liebte, daher schreibt sich das. Sie ist von dieser Grille zurückgekommen. Sie glaubt an Glückseeligkeit. Die meinige ist nicht überspannt, aber ich bin ihre Schöpferin, fiel mir auch in den ersten Zeiten wohl der Gedanke ein — warum must Du hier Deine Jugend verleben, warum Du hier vor so vielen andern; und vor manchen doch fähig eine größre Rolle zu spielen, zu höhern Hofnungen berechtigt? Das war aber Eitelkeit. Jezt sagt mir mein Stolz, was ich habe ist mir gegeben, diese Situation zu tragen, mich selbst zu tragen. Ich bin sehr zufrieden. Ich leugne es nicht, es im Anfang nicht gewesen zu seyn. Das klagte ich freylich Theresen. Viel kam mit daher, daß ich nicht gesund war, nie so sehr wie jezt, und das schwächt meinen Kopf, und Schwäche erzeugt bey mir immer glühende Phantasien. Die können nicht anders wie sich zur Traurigkeit neigen mit meinen sonstigen von entzückter Schwärmerey entfernten Gefühlen. Wie wenig Gegenstände giebts, wo die halbweg vernünftige Einbildungskraft sich an Freuden übt. Ich bin nicht mehr Mädchen, die Liebe giebt mir nichts zu thun als in leichten häuslichen Pflichten — ich erwarte nichts mehr von einer rosenfarbnen Zukunft — mein Loos ist geworfen. Auch bin ich keine mystische Religions Enthousiastin — das sind doch die beyden Sphären, in denen sich der Weiber Leidenschaften drehn. Da ich also nichts nahes fand, was mich beschäftigte, so blieb die weite Welt mir offen — und die — machte mich weinen. Da ist immer die Rede von schwachen Stunden. Weh mir, wenn in guten es mir an Freuden mangelte. So eingeschränkt bin ich nicht. Durch Interreße an Dingen außer mir, durch Betrachtung, durch Mutterschaft, durch alles waß ich thu, genieß ich mein Daseyn.

Genug, mein Schaz. Hör, ich lese noch in der Valiska, aber schick mir doch ja Archenholz das nächstemal. Ich sterbe, wenn ich ihn nicht kriege. Ist er denn in keinen Buchladen? keiner Leihbibliothek? Lichtenberg hat ihn recensirt, der muß ihn Z. E. haben, Heyne gewiß auch. Es muß sehr amüsant seyn.

Schreib mir doch den Verfolg von Luthers und Mariannens Liebe — es ist so interreßant. Vielleicht verführt er sie, wird abgesezt, sie flüchtet mit ihm, gehn nach Rom, werden katholikisch, die Priesterehe wird eingeführt, er wird Cardinal ‒ Pabst — Himmelsfürst — Leb wohl — leb wohl. Der Wind bläßt schrecklich. Hattet Ihr auch gestern Sonnabend Abends zwischen 7–8 Uhr auf einmal durch einen Windstoß einen plözlichen Heyderauch, der stank? Böhmer wolts gern wißen.

Caroline.