Eine Einladung wie die Deinige, meine immer gleich geliebte Freundinn, durft ich nicht mit leeren Worten des Danks beantworten, deswegen habe ich warten müßen, denn erst jezt kan ich Dir etwas entscheidendes darüber sagen; es wiederspricht zwar meinen Wünschen nur zu sehr, und Dein freundschaftliches Herz wird nicht damit zufrieden seyn, aber ich weiß auch, daß es in der Ursache, die unsre Zusammenkunft verhindert, Gründe auffinden wird, um dem Geschick zu verzeihn. Ich komme nicht zu Dir, ich darf alles, was Du mir so liebreich anbietest, Dein Haus, Deine Gesellschaft, die Freuden der Errinrung der ersten glücklichen Jahre meiner Jugend, die eine so ganz andre Zukunft zu weißagen schien, ich darf sie nicht annehmen, weil ich eine andre Reise zu machen habe, und welche die ist, das erräthst Du leicht. Mein Bruder bot mir sein Haus an, sobald ich meine Heymath verlohren hatte; der Zustand, in dem ich war, und die Wünsche meiner Eltern, denen ich leicht nachgab, weil ich nicht die Kraft haben konte zu überlegen, zu einer Zeit, wo ich sie alle aufbieten muste, um dem Unglück zu wiederstehn, machten, daß ich damals wenig Rücksicht darauf nahm, und es ihm vors erste ganz abschlug. Wie ich aber nach und nach die Verhältniße in einem helleren Licht zu sehn anfing, wie ich in alle diejenigen zurückkehrte, die man mit einem Herzen, das jenseits seines Grams nichts mehr erblickt, so leicht vernachläßigt, und die wiederholten Bitten meines Bruders hinzukamen, da reifte der Entschluß, den ich nun gefaßt habe. Ich glaube, er ist gut, und das muß mir manches Opfer versüßen, daß ich ihm bringe. Dort kan ich nüzlicher und thätiger und freyer seyn für mich, und was mich eigentlich bestimmt, für die Erziehung meiner Kinder. Sie sind das einzige, worauf ich sicher rechnen können muß, sie sind meiner Glückseeligkeit nothwendig, und ich fühle, daß sie ein mir anvertrautes Gut sind, das ich also nie nach meinen Convenienzen behandeln darf. Erziehung ist nach meinen Begriff nicht Abrichtung, das ist ein Zweck, den ich durch Streuge allenthalben erhielte ‒ es ist die Entwicklung der angebohrnen Anlage durch die Umstände ‒ und diesen getraue ich mir hier, wo ich meine Kinder nicht allein habe, wo sie unter dem Einfluß des Beyspiels stehn, nicht so entgegen arbeiten zu können, daß sie würden, was ich aus ihnen machen möchte ‒ meine Kunst, die eigentlich keine Kunst ist, sondern nur eine gewiße Unthätigkeit, welche höchstens vor bösen Gewohnheiten zu bewahren und die ersten entscheidenden Eindrücke zu lenken sucht, traut sich das nicht zu, und so will ich lieber den freyen Boden wählen, wo sie gedeihn muß, wenn Kinder ihren Eltern gleichen, als mich der Gefahr aussezen sie misglücken zu sehn.
Ich könte doch auch für die Zukunft nicht ruhig daran denken, Töchter, die keinen Schuz haben wie ihre Mutter, auf einer Universität erwachsen zu sehn. Marburg ist zwar auch eine, aber es hängt ganz von mir ab, in wie fern M. es nicht seyn soll, ich erwarte überhaupt nichts von dem Ort, und es ist blos der, wo das Haus meines Bruders liegt, wo ich mehr Einsamkeit, Freyheit und Ruhe finden werde. Die Freude, die ich diesem Bruder mache, selbst der Nuzen, den ich ihm leisten kan, ist ein Bewegungsgrund, der schon hinreichend wär, ohngeachtet er mein erster nicht ist. Dir braucht ich vielleicht nur diesen anzuführen, aber hier, wo man nicht ganz begreift, warum ich eine ganz angenehme Situation mit einem offenbar weniger angenehmen Aufenthalt verwechsle, will man ihn nicht gelten laßen, und ich kan doch nicht wohl einen andern nennen. Es wird mir auch schwer von hier zu gehn, das leugne ich nicht, Göttingen ist eine Stadt, von der im Allgemeinen nicht viel tröstliches zu sagen ist, allein in keiner von so geringen Umfang wird man so viel einzelne merkwürdige gescheute Menschen antreffen, und ich konte diese einzelnen genießen, und brauchte mich an den Ton des Allgemeinen nicht zu binden, wenn ich dafür leiden wollte, was sich nach Weltlauf gebührt. Ich hatte ein bequemes Leben, ich mag aber kein bequemes Leben haben, wenn es nicht ewig dauern kan. Kurz, das Loos ist nun geworfen — zwischen Ostern und Pfingsten werde ich abreisen. Was aus unsern Wiedersehn wird, das wißen die Götter! So offen, wie jezt alles vor meinen Sinnen da liegt, so jeder Möglichkeit unterworfen, verzweifle ich an nichts, ich erwarte aber auch nichts — was mein Wille kan, das wird er — und was die Nothwendigkeit fordert, werd ich ihr einräumen, doch niemals mehr ihr geben, als sie wirklich fordert. Es ist mir nicht wahrscheinlich, daß ich Dich nicht bald einmal sehn sollte, und wo und wie und wann es geschieht, wird es uns sehr glücklich machen, und geschäh es noch so spät, nicht weniger wie heute.
Dein Mann, meine liebe Louise, könte Dich wohl einmal hierher bringen, und es würd ihn für sich selbst nicht gerenn. Ich will zwar keinen schönen Geist und Dichter nach Göttingen einladen, wo eine wahre Auswandrung seit kurzen vorgegangen ist, es muß also nicht ihr gelobtes Land seyn, wie könte man das auch da vermuthen, wo Wißen allein interreßant macht, und sich eine Menge Leute vorbereiten, nicht um interreßant zu werden, sondern um zu eßen zu haben. Bürger, deßen Bekantschaft ich ganz kürzlich gemacht habe, denn ich bin ein Jahr mit ihm hier gewesen ohne ihn nur zu sehn, er führt, wie er selbst sagt, ein Bären Leben, und komt selten aus seiner Höhle hervor, Bürger wird auch wohl weggehn; er und Meyer wißen noch nicht wohin, vielleicht nach Berlin. Meyer hat mir geschrieben, und wie er versichert, weiß er nichts von seinem künftigen Aufenthalt, als daß es nicht Schweinfurt seyn würde. Ich wünschte, daß es ihm wohl ginge, aber das wird der frommen Wünsche einer seyn. Mad. Forkel ist sicher in Berlin, und ein gewißer Herr Seydel ist ihr sodann dahin gefolgt — er ist der Unglückliche unter vielen andern, die gleiches Recht dazu hätten.
Die Genesung unsres Königs ist eine äußerst erwünschte Begebenheit. Prinz August befindet sich ebenfals sehr wohl, und es wird nun bald in Hières so warm werden, daß er wieder zurückkommen muß. Könt ich nur einmal die balsamische Luft eines so milden Himmelstrichs einathmen, nur einmal im Regen der Orangenblüthen spazieren gehn, ein muntres Volk sehn, oder das Schauspiel wärmerer Leidenschaften, als unsre gemäßigte Zone aufkommen läßt — auch fromme Wünsche! — doch eröfnet mir das Leben mit meinem Bruder eine etwas weitre Außicht, ich komme den Rheingegenden näher. Es ist doch betrübt zu wißen, daß man noch gar nichts schönes gesehn hat.
Lebe wohl, meine liebe Freundinn, bis der Zufall günstiger ist. Grüße Deinen Mann und Schwiegerin recht herzlich von ihrer alten Bekantin. Ich möchte wohl wißen, wie Ihr mich fändet, wenn Ihr mich sähet. Eines wird sich immer gleich bleiben — die sanfte Zuneigung, mit der ich die Deinige bin.
Ich lege Dir ein Gedicht bey, das meine Kinder ihrem Grosvater an seinem Geburtstag mit einen von mir gestickten Kopf des Aesculap, unter den die unter das Gedicht geschriebne Inschrift stand, überreichten. Beydes von Schlegel.