Nicht als ob ich Ihren Becher spröde von mir gewiesen hätte — nein, mein lieber Freund, ich habe ihn getrunken, gekostet, bis auf den lezten Tropfen — deswegen schwieg ich nicht, allein ich war, ich weiß nicht, vielleicht zu glücklich, um Ihnen aus Bedürfniß zu antworten, und hatte noch immer nicht genug Eigenliebe oder nicht genug Vertrauen, um es Ihretwegen zu thun. Dann wollt ich Ihnen auch sagen, ob Ihre Prophezeyhungen eingetroffen wären — jezt weiß ich schon seit langer Zeit nicht wo Sie sind, auch nicht wo Sie dieß erreicht, zu dem ich aber eine besondere Veranlaßung habe, und mich also nicht durch diese Ungewißheit abhalten laße. Dieser Anlaß ist nur eine Idee, man muß aber so wenig Ideen verschließen wie möglich. Sie kam mir und meinem Bruder zugleich. Der Erbprinz von Caßel lebt hier unter der Führung eines gescheuten Mannes, des Herrn v. Dörnberg, außer diesem und einem Cavalier hat er einen Lehrer, der den Prinzen von Jugend auf gehabt hat, mit dem man indeßen wohl wechseln mögte, wenn sich ein anderer darböte. Der Prinz ist 13 Jahre, wahrscheinlich bleibt er eine sehr kurze Zeit hier, und geht dann nach der Schweiz. Was glauben Sie, würde diese Stelle nicht zu klein für Sie sein? Versteht sich, daß die Besoldung honnet wäre, daß Sie einen Titel bekämen, und Aussicht aufs künftige. Eigennützig bin ich nicht, ich wünschte kaum Sie hier zu sehn, sondern daß sich die Ausführung des Projekts? verzögern könnte, bis der Prinz Marburg verläßt, denn wie Meyer hier ausdauern würde, das seh ich nicht ab. Es ist ein kleiner, eingeschränkter und ohne Zweifel sehr langweiliger Fuß, auf dem der Prinz lebt, er selbst noch ein Kind, dem man biblische Geschichten erzählt. Der Ort hat keinen Vorzug als den einer schönen Lage, er wär für uns eine wüste Insel, und dahin könnt ich Sie mit mir nicht einladen. Ich höre außerden, daß Sie den Vorsatz haben, nach Italien zu reisen, und davon will ich Sie nicht abwendig machen, wenn man das vereinigen und Sie bei Ihrer Zurückkunft hierher kommen könnten — das wäre mein Plan. Mein Bruder glaubt, es müße früher etwas daraus werden, wenn es gelingen sollte. Schreiben Sie mir Ihre Meinung, dann redet mein Bruder mit Dörnberg, deßen Ohr er sich auch schon über diesen Punkt geneigt gemacht hat, und wenns möglich wäre, kämen Sie hernach selbst. Das ist der Entwurf des Luftgebäudes, mit dem ich mich gern beschäftige, weil Sie mir werth sind, dem ich aber eben deswegen mistraue, weil man im Lauf der Welt Unglauben aller Art einsaugt. Sie schweigen vors erste darüber, um so mehr wenn Sie die Ausführung wünschen. Dörnberg ist der einzige, durch den die Sache anhängig gemacht werden könnte, und den haben wir hier. Mein Bruder grüßt Sie, er macht sich bei mir ein Verdienst aus seinem guten Willen, Sie können sich vorstellen, daß ich ihm nicht wiederspreche, allein mir aus dem Meinigen — nicht einmal aus der Uneigennützigkeit, mit der ich allem entsage, was Sie nicht glücklich machen würde, wenns mir auch viel Freude gäbe — keins bei Ihnen mehr. Immer wünsch ich, daß Ihnen der Vorschlag bald zu Händen kommen mag.
Sie haben mir Wahrheit gegeben, die für mich einen unwiederstehlichen Zauber hat. Es ist das Einzige, was mich täuschen könte. Der Mensch, welcher sie inniger liebt wie ich, muß ungeheure Fähigkeiten haben — oder steht unter allem Vergleiche. Wißen Sie aber, daß man sie geben kan ohne mehr wahr? zu seyn? Ich ziehe Sie nicht in Verdacht, doch gestehe ich — ich ergründete Sie noch nicht, und wollte, daß Sie mir so viel über sich wie über mich sagten. Was liegt denn am tiefsten in Ihrem Wesen gegründet? Herrscht der Leichtsinn Ihres Kopfs, oder der Ernst Ihres Herzens da, wo Ihre heftigste Leidenschaft spricht — wanken Sie zwischen beiden ich begriff Sie nie ganz und konte auch nicht, denn wie wenig kannt ich Sie durch mich selbst. Wie ich Sie kannte, interreßierten Sie mich aus meinem Geschmack — den viele Leute falsch nennen — und einer seltsamen Uebereinstimmung mit dem, was den leisesten, den halb unverstandnen Bildern meiner Phantasie schmeichelt. Ich hätte Empfindungen erregen mögen, wie Sie sie schilderten, und doch nicht die Ihrigen — denn mein Herz hatte sich von aller Wirklichkeit entwöhnt — ich wußte nicht mehr damit umzugehen. Das gab mir einen Ernst gegen Sie, den Sie nur erwiedern wollten, und so, daß ich ihn nicht für natürlich hielt, zurückgaben. Vertrauen hatte ich für Sie nur durch andere. Daß Sie meine Lage vollkommen richtig beurtheilten, wußt ich sehr wohl, aber ich konte auch darüber nicht offen seyn, weil ich den lezten Wahn zu retten hatte, der mir mein Schicksal erträglich machte, den lezten Wahn der Liebe: Zärtlichkeit. Zu delikat, zu gut, zu sanft diese wegzuwerfen — vielleicht auch zu sehr eingeengt — behielt ich sie bey, und sie lebt selbst noch in der Errinrung, ob ich gleich mit Schauer und Beben an jene Zeit zurückdenke, und von ihr wie der Gefangene von dem Kerker mit einer schrecklichen Genugthuung rede.
Hier leb ich seit 4 Monaten ohngefähr so, wie Sie es voraus sahn; ich habe den Sommer ganz genoßen und gehe dem Winter mit der Hoffnung der Frühlingsblüthe entgegen. Lotte ist bey mir, denn sie mochte Göttingen nicht mehr — von dem zu scheiden mir nichts kostete, so wenig wie Ihnen. Marburg hat wenig — aber doch nicht die tödtende Einförmigkeit und den reichsstädtischen Dünkel. Die Menschen nicht so cultivirt und geschwäziger, allein doch toleranter. Man liebt mich sehr, weil mein Herz ein Gewand über die Vorzüge des Kopfs wirft, daß mir beides Aeußerungen als Verdienst anrechnen läßt. Daß ich gehn kann wann ich will, macht, daß ich alles Ungemachs zum Troz bleibe — das ist die Art von Trägheit, welche der hat, der den Tod nicht fürchtet.
Ich habe mir ein Ziel meines Bleibens gesezt — dann weiter, wohin mein Genie reicht — denn ich fürchte, das Geschick und ich haben keinen Einfluß mehr auf einander — seine gütigen Anerbietungen kan ich nicht brauchen — seine bösen Streiche will ich nicht achten. Wünsche hören auf bescheiden zu seyn, wenn in ihrer Erfüllung unsre höchste und süßte Glückseeligkeit läge — auf Wunder rechnet man nicht, wenn man sich fähig fühlt Wunder zu thun, und ein wiederstrebendes Schicksaal durch ein glühendes, überfülltes, in Schmerz wie in Freuden schwelgendes Herz zu bezwingen.
Meine Kinder sind liebe Geschöpfe. Daß Sie kämen, Meyer — mit sanftem und festem Schritt käme Ihnen eine Freundinn entgegen in
Es ist gar nicht hübsch von Ihnen, daß Sie die erhabne französische Nation so bey allen Gelegenheiten herunter machen. wie in dem Aufsaz über eine Staatsschrift des General Loyd. Ich könte Ihnen gram seyn. Auch darüber, daß Sie so viel in Ihrem lezten Brief von Zwecken sprechen und andern Leuten Absichten unterschieben, an welche sie — sonst so toll und verdreht wie Sie wollen — gar nicht die Leute sind zu denken.
Gotter läßt Ihnen sagen, daß er eben in Weimar gewesen ist, und die Herzogin und Einsiedel viel nach Ihnen gefragt haben, und sich sehr huldreich über Sie auszudrücken geruhten. Gotter hat eine stolze Vastha Vasthi und eine demüthige Esther gemacht, die er dort vorlas.