Caroline von Schelling, Band 1


An Lotte Michaelis.

Marburg 1789.

Anfang fehlt.

... Winterabende nach dem Tacitus gegeben hätte.” Bey dem Achill von Ulyßes unter den Weibern entdeckt, errinerte sie, daß der König von Preußen diese Geschichte in einer Gruppe von Statuen besitze. Dann kam ein Stück aus einer englischen Ballade, wo ein Mädchen mit dem schönsten Ausdruck von Schmerz zwischen Vater und Mutter sizt, darunter steht —


My Father urg’d me sear my Mother did nae
speak
But she loockd in my face that my heart was
like to break.

Dann der Tod von Lord Robert Manners in der Schlacht vom 12ten Aprill. Sie hat sein Monument gesehn. Wir kamen zu Dir — das ist ein liebes Geschöpf, sagte sie — es ist das Ebenbild meiner Schwester — Lottchens? Und da sezt ich ihr alle Aehnlichkeiten aus einander. Bey den Wegdwoods bemerkte sie, daß Göthe seinen Kopf in Italien in eine Gemme hat schneiden laßen, Merk hat einen Abdruck davon genommen, ihn nach England geschickt, wo man nun auch mit Göthens Kopf siegelt. Meine Stickerey gefiel ihr sehr, sie wünschte mir Glück zu den Talent. Nach 8 Uhr wurde sie errinert wegzugehn Ich habe ihr einen Kopf zu sticken versprochen, wenn sie mir die Mannheimer Briefe, die das Beste seyn sollen, was sie geschrieben hat, schenken wollte, da sie Philipp Miss Lony geschenkt hätte. Das war das erstemal, daß ich eines Werks von ihr erwähnte. Sie wollte es mit dem Beding thun, daß ich ihr meine Meinung von Miss Lony sagte — zum Glück hatte ich sie noch nicht gelesen, denn ich muß mich sicher auf etwas wahres, an etwas zu loben besinnen, was mich sicher nicht interreßirt. Ich hätte das Recht freymüthig zu seyn, sagte sie mit viel Feinheit. Sie frug mich einigemal, ob ich ihr auch in der That gut wäre — worauf sie einigen Werth zu legen schien. Freytag Abend nahm ich von ihr Abschied. Es waren Studenten da, Theologen, schlechte Gesellschaft — La Roche sagte mir, da sizt nun meine Mutter und zieht sie doch alle an sich, und keiner glaubt weggehn zu dürfen, weil er sich einbildet der favorisirte zu seyn. Morgen komt sie wieder, und bleibt wenigstens, bis Merk zurück komt. Eins fällt mir noch ein, sie hatte sich gescheut Schillern anzugreifen — da hatte ihr jemand gesagt, sie schriebe ihm Riesenideen zu, und darauf hin könte sie schon vieles wagen. Ist das nicht sehr wahr?

Wenn sie zurückkomt, muß ich sie allein sprechen, um noch ausführlich über meine Lotte mit ihr zu reden. Ich begreife Dich so ganz, und am besten das, daß ich Dir zu viel seyn würde. Das macht auch, daß ich Dir nicht viel über Dich sagen kan. Wenn ich eine Zeitlang die Größe Deines Verlustes angestaunt habe — so verschwindet sie mir — es ist ein simples Menschenschicksaal, in dem der Mensch nicht versinken muß. Ich erhebe mich aus der Tiefe Deines Grams zu der Möglichkeit, daß Du noch manches durch die Wirksamkeit Deines Kopfes und Deiner Fähigkeit genießen kanst. Wohl ihm, daß er eins über Dich vermocht hat: leben zu wollen — nicht für Dich, aber für unsre Eltern, man muß doch so wenige mit sich unglücklich machen wie möglich, und sind sie es nicht schon genug? Marianne weiß alles, aber Ihr sprecht doch wohl nicht darüber? Mariannens Lage ist sehr sehr unangenehm. In dem einen Fall hielte sie es dort nicht aus, aber ist es möglich, daß er sich ereignen kan? Ein Besuch, aber doch kein Aufenthalt. Wenn er sich nur nicht in Mannheim, der verderbtesten Stadt Deutschlands, etablirt! O daß Therese sich einmal überwände — ich weiß nichts mehr von ihr, wenn sie es nicht thut, und doch wird das nicht ganz zerstört werden können, was ich in ihr anbete. Ihre Laster sind die Ueberspannung ihrer Kräfte.

Ich habe Tatter an diesen Brief verwiesen, weil Du die Geschichte von der Roche vollständig haben solltest. Du nimst es nicht übel, wenn ich Euch beyde vereinige. Er theilt Dir dafür wieder mit, was er will.

Eben laßen mir Schulers sagen, daß sie gekommen sind. Diesen Nachmittag werd ich wohl Kronenbergs besuchen, denn mir ist nach einer ruhigen Nacht etwas beßer wie gestern, wo ich gar nicht wohl war. Bey der Nacht denk ich an die Schlafkammer; auch die hätte La Roche sehn dürfen. Es steht mein und meiner Kinder Betten und ein Nachttisch darinn, und alle Silhouetten — mit dem Schatten meiner Geliebten umringt — über meinem Ruhbett hängt die meines Vaters mit dem Kranz verwelkter Blumen und Lotte bey Werthers Grab, weil das in die Stube nicht gut genug war.

Le mal est fait, denn Schlegel hat seit Dienstag einen Brief — ich würde aber das Uebel doch begangen haben, wenn ich auch Deine Warnung gelesen. Er schrieb mir dreymal, und wie! Da Du am Donnerstag noch nichts von diesem ihn betroffnen Glücksfall erfahren hattest, so hoff ich, er geht ein wenig siller damit zu Werk. Ich habe sehr über Jetten gelacht — Schlegel und ich! ich lache, indem ich schreibe! Nein, das ist sicher — aus uns wird nichts. Daß doch gleich etwas werden muß. Es ist ein verwünschter Gedanke, den nur die schiefe Jette erzeugen kan. Mit der Post einen Brief von mir zu erhalten, den Triumph vor dem Königl. Großbritt. Postamt und dem wohlbestallten Briefträger soll er nie haben. Und der Inhallt soll die Gabe haben, ihn verschwiegen zu machen.

Cepog ist doch ums Himmels willen nicht in Marianne verliebt? Nach ihr wüste ich keine unglaublichere wie Lotte. Grüße ihn und Launay, wenn Du sonst nichts zu sprechen haft, und wer Dich frägt, dem antworte, daß ich über alle Erwartung vergnügt hier wäre. Frage Du mich nicht — und doch ist es wahr — ich finde, daß ich recht hatte zu gehn, und es ist ganz und gar nicht unangenehm hier zu leben.

Wie die Roche Thee bey mir getrunken hatte, ging ich noch mit Philipp nach Ockershausen, wo die Malzburg uns und Selchows ein kleines Souper gab, von dem wir erst gegen 12 Uhr wiederkamen. Die Selchow hat Verstand, sie sagt mannichmal Dinge, die Sinn haben, dann schwazt sie einmal nur, und macht verdrießliche Schmeicheleyen — et elle n’a pas un brin d’ame. Zwischen dem gnädigen Frl. und mir hat sich eine offenbare Sympathie entdeckt, denn wir lieben beyde die Genealogie und verheirathen die Prinzen und Prinzeßinnen des Calenders mit einander. Da ist ein Candidat, der ami des gnädigen Hauses, ein Mensch von Kopf, aber unerträglich eingebildet, um den sich die Conversation oft dreht, weil er eine Art von Draht ist, an dem man Blumen bindet.

Nun, meine liebe Lotte, das mag genug seyn.

Mittag.

Wenn meine Eltern zugeben, so kan ich kaum zweifeln, daß daraus etwas wird.

Ich will Dich nicht weich machen, meine theure liebe Lotte — es ist ein Vorurtheil zu wähnen, der Schmerz müße weh thun, unser Wesen auflösen, in Thränen zerschmelzen. Weine, wenn Du kanst, aber wolle nicht weinen. Ich muß schließen.