Caroline von Schelling, Band 1


An Lotte Michaelis.

Marburg Sontag Morgen 1789.

Ich habe noch beym Abschied mit Fr. von Roche gesprochen — zwar glaube ich nicht, daß wir sie bedürfen, denn wenn Dudie Reck selbst sehn kanst, so macht sich alles ohne Mittelsperson, wenn sie Dein Gesicht nicht abschreckt — wofür ich auch nach Deiner Schildrung nicht stehn möchte, wenn der Zug von Güte nicht der hervorstechende darin seyn zu sollen schiene. Ich finde diese Aussicht bey weiten die beste, die ich mir als möglich vorstellen kan. Es scheint unsern Eltern schmerzlich zu seyn ihre Einwilligung zu geben — und hier gewönne Dein Schritt am wenigsten das Ansehen, das sie zu scheuen scheinen. Du gehst mit ihr, weil Du gern reisen möchtest. Würde sich die Schlözern nicht glücklich schäzen eine solche Gelegenheit zu finden? Ich las der Roche die Stellen Deines Briefs vor, dem ihre Augen den Beyfall gaben, welchen sie nachher ausdrückte. Es war mir leid, daß ich sie außer dem ersten und diesem leztenmal nicht wieder allein sah — die Menge überlief sie. Vom Morgen bis an den Abend waren die nichtsnuzigsten unbedeutendsten Menschen in ihrer Stube — sie sagte jedem etwas — Sie hat einige Besuche gemacht, in Häusern, wo ihr Sohn aufgenommen ist, die übrigen Damen machten ihr die Cour. Ich finde das sehr menschenfreundlich und gar nicht stolz — die Leute haben doch noch Sinn dem Verdienst nachzulaufen. Ich konte mich nicht enthalten ihr zu sagen, daß ich das ganze Benehmen lächerlich und läppisch fände — selbst Jung sagte mir, es ist eine Neugierde, die gar keinen Werth hat. Sie tragen den Fluch der Celebrität, sezte ich hinzu, und das war recht sehr meine Meinung, denn ein wahrer Fluch ists doch, nicht unbemerkt durch eine Straße reisen zu können, nie seine eigne innige Privatperson vorzustellen, das Ziel allgemeiner Ansprüche zu seyn, lästige Erwartungen zu erregen, sich nicht in sich selbst hüllen, und dann dem Auge des Kenners hervorgehn zu können, wie die Sonne aus den düstern Wolken, keine Ueberraschung, keine unbereitete Freude — ich sind es tausendmal schmeichelhafter, interreßanter nicht berühmt zu seyn. Vielleicht schmeichelte mir das einen Tag lang, am andern würde der Ennuy schon überwiegen. Sie hat perorirt und empfindsame Complimente die Menge gemacht, oft die Unterhaltung sehr gut geführt, mit Wiz und Einfällen. Wenn sie Michaelis wiederkomt, so will sie einen ganz andern Train anfangen, und niemand sehn als wem sie und wer ihr gefällt. Ich habe abscheuliche Gesichter da angetroffen. Es giebt hier einen Ueberfluß von Menschen, unter so vielen müßen auch einige recht leidliche und angenehme seyn. Gestern Abend haben Schulers und Hausteins Thee bey uns getrunken, und wir haben einige Parthien, eine nach der Elisabether Kirche, und der heiligen Elisabeth Waschhaus, und nach dem Frauenberg verabredet, sticken auch Hüte zusammen; ich habe einen halb fertig, Weinlaub und Trauben, wozu mir ein hiesiger Mahler das Dessein recht hübsch gemacht hat. Die Trauben sind violett, und es sieht sehr lebendig aus. Philipp hat den Mahler in der Cur, da muß er mir etwas für zeichnen. Meine Stube duftet von gewürzreichen Nelken, mit denen mich meine Anbeter aus den niedern Claßen versorgen — keine Grafen und Herren — das Volk muß mir auch dienen, die Tischwirthe, Apotheker und Holzhauer beschenken meine Holdheit. Ich habe einen Lorbeerstrauch, den ich für einen Dichter groß ziehe, sag das Schlegeln — und ein himlisches Reseda Sträuchelchen — eine Errinrung — sag das Tattern — die Nelken sind meine Lieblingsblumen. Hab ich mich nicht ganz in den Ton der Roche geworfen?

12 Uhr. Da komt Dein Brief, den ich, ehe ich dies schließe kaum ruhig durchlesen kan.

Ich weis nicht wohin ich mich wenden soll, denn die heutigen Zeitungen enthalten so große unerhörte prächtige Dinge, daß ich heiß von ihrer Lektüre geworden bin. Ich freue mich über Deinen Besuch — sonderbar, daß ich ihn nicht sehn soll.

Jezt hab ich noch nicht für rathsam gehalten die Roche zum schreiben an die Recke aufzufordern. Wir warten wenigstens damit, bis sie in Pyrmont ist — am liebsten nach dem Empfang andrer erklärender Briefe von Blumenbach. Ich kan der Roche immer schreiben was ich will ‒ sie bat mich zu schreiben, welches ich nur in Geschäften thun werde.

Nun noch einiges. Schick mir doch ja bey Gelegenheit alle Aufsäze, zumal den Deinigen, den ich nicht habe. Schreib mir, ob der geköpfte Launay ein Verwandter des Lebendigen ist.

Volborth! ich glaubte, er würde wenigstens so klug seyn eine Frau zu nehmen, die lieber in ihrem Leben keine Mutter gehabt hätte, und nun schaft er sich so eine Erzschwiegermutter an. Er hat gesagt, daß er seiner Nicolai Gemeinde zu Liebe eine Frau nähme. Die Brüder meinen, dem gemeinen Besten zu Liebe, was wird die

Ende fehlt.