Caroline von Schelling, Band 1


Hardenberg an Caroline.

Freiberg, 27. Februar 1799.

Vor zwei Stunden, beim Frühkaffee, an einem stürmischen schneestöbernden Morgen erhielt ich Ihren Brief und sah mich plötzlich im Besitz der sonderbaren Lucinde, auf deren Bekanntschaft ich mich so lange gefreut hatte. Erst las ich Ihren Julischen Brief — das eine Dach war allein einen ganzen Roman werth. Denken Sie sich nur unsern prächtigen Kreis. Vor dem Jahre standen zwei noch so verwaist da. Einer schien auf glühendem Boden zu stehn. Er sah sich immer um, und wer weiß, was ein hellgeschliffenes Auge oft über ihm bemerkt haben würde. Jetzt hebt ihn eine freundliche Gestalt, wie eine Gabe von oben, weihend und dankbar in die Höhe, und ein irdischer, erquickender Schlaf hat seine Augen für eine andre Sonne wieder geschlossen. Also zurück m Lande der Träume und nun mit voller Seele bei Euch — treffliche Mitschläfer. Jetzt kann erst rechte Freundschaft unter uns werden, wie denn jede Gesellschaft nicht aus einzelnen Personen, sondern aus Familien besteht. Nur Familien können Gesellschaften bilden, der einzelne Mensch interessirt die Gesellschaft nur als Fragment und in Beziehung auf seine Anlage zum Familiengliede. Gewiß wird meine Julie ganz für Sie und alle passen. Aber ich bitte Sie um Verschwiegenheit. Noch weiß meine Familie nichts — auch ihre Eltern wissen von mir nichts. Der Erfolg hängt von Klugheit ab. Er ist mir ziemlich gewiß; nur muß ich der Erste sein, durch den mein Vater etwas davon erfährt. Ich bitte Sie also und Fichte inständigst, dort alles für sich zu behalten. Die frühe Verbreitung machte mir übleres Spiel.

Julie weiß nicht einmal, daß Sie etwas wissen. Die gute Ernst hab ich nicht ordentlich unterrichten dürfen, nur so seitwärts hab ich ihr etwas davon gesagt. Wir haben einen glücklichen Abend dort zugebracht — Thielemann’s, die beiden Mädchen und ich. Thielemann’s sind jetzt hier. Wir leben sehr vergnügt. Schade nur, daß mir jetzt keine Zeit zum idenreichen Müßiggang bleibt und ich so selten mich sammeln und auf meinen inneren Sprachorganen phantasiren kann. Ich fühle jedoch, daß diese Unterbrechung eine ruhige, weinichte Gährung befördert und ich nach geendigtem Lernen mit neuer, gebildeter Kraft zur alten Poesie und Philosophie zurückkehren werde, beide sind zur glücklichen Ehe unentbehrlich und ohne sie muß jeder Umgang in Uberdruß und Langeweile ausschlagen.

Rousseau hat die Weiblichkeit ausschließlich verstanden und alle seine Philosophieen sind aus einer nachdenkenden weiblichen Seele entstanden. Seine Apologie des Naturstandes gehört in die Frauenphilosophie: — die Frau ist der eigentliche Naturmensch — die wahre Frau das Ideal der Naturmenschen, sowie der wahre Mann das Ideal des Kunstmenschen.

Naturmensch und Kunstmensch sind die eigentlichen ursprünglichen Stände. Stände sind die Bestandtheile der Gesellschaft. Die Ehe ist die einfache Gesellschaft, wie der Hebel die einfache Maschine. In der Ehe trifft man die beiden Stände. Das Kind ist in der Ehe, was der Künstler in der Gesellschaft ist — ein Nichtstand, der die innige Vereinigung — den wahren Genuß beider Stände befördert. Die große Ehe, der Staat, besteht aus einem weiblichen und männlichen Stand, die man halb richtig, halb unrichtig den ungebildeten und gebildeten Stand nennt. Die Frau des gebildeten Standes ist der Ungebildete. Leider ist eben bei uns der Ungebildete weit hinter dem Gebildeten zurückgeblieben — er ist zur Sklavin geworden. O! daß er wieder Frau würde!

Doch wieder zur Lucinde. Die erste Bekanntschaft ist gemacht. Ich theile Ihnen Spuren des ersten Eindrucks mit. Friedrich lebt und webt drin. Vielleicht giebt es nur wenig individuellere Bücher. Man sieht das Treiben seines Innern, wie das Spiel der chymischen Kräfte in einer Auflösung im Zuckerglase, deutlich und wunderbar vor sich. Tausend mannichfaltige, helldunkle Vorstellungen strömen herzu und man verliert sich in einem Schwindel, der aus dem denkenden Menschen einen bloßen Trieb, eine Naturkraft macht, uns in die wollüstige Existenz des Instinkts verwickelt. An romantischen Anklängen fehlt’s nicht — indeß ist das Ganze und das Einzelne noch nicht leicht und einfach und rein vom Schulstaub genug. Ich prophezeie mir wenig Gutes von der Aufnahme. Sollte dieser Roman nicht voreilig, wie vielleicht ein Milchbruder, sein — ein wenig zu früh, nach bürgerlichen Gesetzen, das Licht der Welt erblicken? In zehn Jahren würde man „die Bekenntnisse des Ungeschickten“ um des Autors willen vielleicht mit Wärme und Nachsicht aufnehmen. Jetzt ist alles noch unreif. Die Herzensergießungen des Jünglings darf der Mann, aber nicht der Jüngling zeigen. An den Ideen ist übrigens nichts auszusetzen; indeß manches am Ausdruck, der mir nicht selten dem Krates abgeborgt zu sein scheint. Nun aber ist das Postulat: Sei cynisch! noch nicht gäng und gäbe — und selbst sehr innige Frauen dürften die schöne Athenienserin tadeln, daß sie den Markt zur Brautkammer nähme.

Vergleichungen mit Heinse können nicht ausbleiben. Sollte dies nicht eine Lektüre nur für den Meistergrad in der Loge der Sittlichkeit sein?

Die Skizzen müssen in der Fortsetzung noch häufiger werden — die kleine Wilhelmine ist allerliebst — auch der Prometheus. Mehr dergleichen und dann der Titel: Cynische Phantasieen oder Satanisken. Viele werden sagen: Schlegel treibt’s arg — nun sollen wir ihm auch noch das Licht zu seinen Orgien halten. Andre: Die Stimme vom lieben Sohn haben wir nicht gehört; dies ist ein falscher Messias des Witzes — kreuziget ihn! Noch Andre: Da seht die Göthische Erziehungsanstalt — der Schüler über seinen Meister, aus Venedig ist Berlin geworden. Richter wird einen rechten Greuel haben. Der züchtige Richter wird Feuer vom Himmel rufen. Indeß bin ich gewiß, daß er im Grunde über diesen Blick in seine eigne Phantasie erschrickt — denn er ist ausgemacht — ein geborner voluptuoso.

In mir regt sich viel dafür und viel dagegen. Ich weiß, daß die Phantasie das Unsittlichste, das geistig Thierischiste am liebsten mag; indeß weiß ich auch, wie sehr alle Phantasie wie ein Traum ist, der die Nacht, die Sinnlosigkeit und die Einsamkeit liebt. Der Traum und die Phantasie sind das eigenste Eigenthum, sie sind höchstens für zwei, aber nicht für mehrere Menschen. Man darf sich nicht dabei aufhalten, am wenigsten ihn verewigen. Nur seine Flüchtigkeit macht die Frechheit seines Daseins gut. Vielleicht gehört der Sinnenrausch zur Liebe, wie der Schlaf zum Leben — der edelste Theil ist es nicht, und der rüstige Mensch wird immer lieber wachen, als schlafen. Auch ich kann den Schlaf nicht vermeiden, aber ich freue mich doch des Wachens und wünschte heimlich immer zu wachen.

Die Idealisirung der Vegetation hat mich vorzüglich interessirt. Merkwürdig verschieden hat auf uns beide die höchste Liebe gewirkt. Bei mir war alles im Kirchenstyl oder im dorischen Tempelstyl componirt. Bei ihm ist alles korinthisch. Jetzt ist bei mir bürgerliche Baukunst. Ich bin dem Mittage so nahe, daß die Schatten die Größe der Gegenstände haben, und also die Bildungen meiner Phantasie so ziemlich der wirklichen Welt entsprechen. Soviel seh ich, unsre ersten Romane werden himmelweit verschieden. Der meinige wird diesen Sommer wahrscheinlich in Töplitz oder Carlsbad fertig Indeß, wenn ich sage, fertig — so heißt dies der erste Band — denn ich habe Lust mein ganzes Leben an einen Roman zu wenden, der allein eine ganze Bibliothek ausmachen, vielleicht Lehrjahre einer Nation enthalten soll. Das Wort Lehrjahre ist falsch — es drückt ein bestimmtes Wohin aus. Bei mir soll es aber nichts als Übergangsjahre vom Unendlichen zum Endlichen bedeuten. Ich hoffe damit zugleich meine historische und philosophische Sehnsucht zu befriedigen. Eine Reise nach Süden und Norden ist mir als Vorbereitung hiezu noch unentbehrlich. Norwegen und Schottland einerseits und die griechischen Inseln andererseits wären die nächsten Erreichungspunkte dieses Zwecks. Vielleicht bietet mir meine Handelschaft die Hände zur Ausführung dieses jetzt entferntscheinenden Plans.

Möchten doch auch Sie die Hände ausstrecken nach einem Roman! Wilhelm müßte die Poesie dazu besorgen. Es könnte ein schönes Doppelwerk werden. Auf die Elegie freue ich mich lebhaft. In der Mitte des April komme ich gerade nach Jena.