Caroline von Schelling, Band 2


An Schelling.

Braunschweig d. 15ten –24. Oct. 1800.

Tu m’étonnes avec ton françois, mais je ne sens pas la moindre tentation d’y tomber aussi. Ta facilité est grande en toutes choses, si tu voulois seulement en mettre un peu plus dans ton existence. Tu es trop abattu, mon ami, malgré qu’il y en ait de quoi, il ne faut jamais être aussi triste que son sort.

O Du Lieber, wenn ich nur erst wüste, wie Du meine armen Briefe aufnimmst. Morgen bekömst Du erst einen, diesen aber geschwinder. Morgen fahr ich nach Söder, das Wetter ist etwas günstiger. Nächsten Dienstag werd ich daher schwerlich schreiben können.

Ich habe jetzt Augustens Bild nicht, es blieb zum Copiren in Göttingen und ich vermisse es sehr. Hättest Du es nur, damit es Frieden über Dich ausgösse, was meine Worte fast nie konnten. Ich bin auch so weit gekommen, daß mich deucht, ich habe keine Worte mehr, ich kann keine mehr brauchen, nur Zeichen. Wir können blos über unsre Lage etwas verabreden, aber nicht reden. Wenn wir erst wieder beysammen sind, wo alles geordnet seyn wird, dann laß uns einander auch viel mit andern Dingen beschäftigen und im Allgemeinen uns vergessen. Du wirst sehn, daß ich noch lernen kann, obschon es mich gar nicht interressirt, daß ich es weiß, sondern nur, daß es überhaupt gewußt wird. – Wie hast Du denn Deine oekonomische Einrichtung getroffen? Das Essen soll am besten bey Meders seyn – und wie ist mit dem Wein? So bald Schlegel kommt, solst Du Deine Bouteillen haben. Deine – in dem Moment komt Dein Brief vom 13ten Oct., an mich nahmentlich addressirt. Es ist etwas beruhigendes darinn, aber ich weiß ja freylich nicht, ob ich ihm trauen kann, und daß Du, schon so besorgt um mich und das Schicksal Deiner Briefe, noch immer warten mußt, ehe Du Nachricht von mir bekommst – erst Morgen Mittag –– das macht mich fast unsinnig, ich habe diesen Morgen im Bett schon darüber geweint. Sey nur künftig nie bange, daß Deine Briefe nicht richtig ankommen. Du kanst versichert seyn, daß hier niemand mich bewachen will. Das ist eine ganz falsche Idee, die Meinigen können nichts für und nichts gegen mich thun. Ich bin blos bey ihnen und sie lieben mich. Die Kinder meiner Schwester sind erfreulich, der Knabe besonders sehr schön, er heißt August. Luise selbst ist weit gesunder, frölicher und hübscher wie vor dem Jahr. Mit ihr allein hab ich von Augusten gesprochen, die Mutter denkt mich und sich durch Schweigen zu schonen. Wiedemann ist trocken seiner Natur nach.

Du beantwortest mit leider in dem eben erhalten Brief ein paar eben aufgeworfne Fragen nicht. Es ist doch verdrießlich mit dem Essen, denn wie soll ich es selbst machen, wenn ich nun hinkomme, da Rose nicht kochen kann? Bin ich gesund genug, so will ichs ihr gern lehren. – Ich habe Dir unter meinen Gründen des Aufschubs meiner Rückkehr meine Gesundheit nicht angeführt, weil ich nicht so sehr an die Gefahr denke – nur das sehr üble Wetter unterwegs und eine zu schnell wieder unternommene fatigue von 4 Tagereisen könte mir schaden. Ich bediene mich der China.

Auf eine Nachricht von Schlegel fuhr ich erst am Sonntag nach Söder. Wiedemann begleitete mich, es sind 4‒5 Meilen von hier, wir waren Nachmittags um 5 Uhr da und fanden Schlegel schon im Gasthof, wo ich abtrat, wo Brabeck aber schon Ordre gegeben hatte ihn zu benachrichtigen, sobald ich ankäme, weil er mich früher wie S. erwartete. Er schickte uns darauf auch gleich seinen Wagen, und empfing uns am Eingang seines Fenschlosses, wo der Abend verplandert wurde, weil es zum Sehen zu dunkel war. In den Gasthof ließ er uns nicht wieder, wir wurden gar herrlich einlogirt. Frau von Brabeck ist viel jünger wie er, er heyrathete erst, nachdem zwey ältere Brüder starben und er den geistlichen Stand verlassen müste, der ihn aber zum Kunstmann gebildet hat. Sie war sehr artig und man trug große Sorge für meine Gesundheit mit Madeira, Alicante und dergl. Denn am ersten Abend war ich sehr matt und fürchtete fast, ich würde um allen Genuß der Reise kommen; die Nacht stellte mich ganz her, und mit klaren Augen konte ich am Morgen in die Herrlichkeit schauen. Du Lieber haft so freundlich gewünscht den Anblick von der Ausstellung bey Goethe mir verschaffen zu können – wie viel schöner noch wär es gewesen diesen mit einander zu theilen. Brabecks Gemählde Sammlung ist auserlesen, kein Stück ist gleichgültig, fast alle vortreflich und einige von der höchsten Schönheit. Nimm nun dazu, daß Du diese Kleinode in der anmuthigsten Fassung findet, auf einem Landhause, dessen Einrichtung von aller Pracht und Ueberladung frey in einem reinen, harmonischen Sinne angeordnet ist, und alles den Charakter einer recht durchsichtigen Heiterkeit trägt. Brabeck hat das Gebäude nicht neu aufführen können, da sein Vater es erst gebaut hatte, aber er hat es ganz umgewandelt und Stelle für Stelle mit einem Zauberstabe berührt, nur die Capelle ist noch in ihrer alten – nicht Einfalt sondern – Ungestalt geblieben und bis jetzt aufgespart worden. Wenn die fertig ist, hab ich ihm eine neue Wallfahrt dahin versprochen. Ich will Dir nichts beschreiben, das ist langweilig. Architectur, Stuckatur und Gemählde, das ist besonders, was Söder macht, und das Merkwürdige dabey, daß die ganze Verzierung und das Ameublement von Landleuten verfertigt worden ist, die Brabeck zu Handwerkern, ja zu Künstlern zu bilden sich bemühte, was ihm wunderbar geglückt ist. Das Unternehmen ist gewiß in Deutschland einzig, und blos Brabecks eigne Betriebsamkeit, wie alles seine eigne Idee ist. Es ist keine Spiegelfechterey, Söder ist sein Werk, und er hat ächten Sinn. Demohngeachtet, wie viel fehlt ihm um der Oheim zu seyn. Man möchte ihn lieber nicht zum Führer haben, weil er mit unaufhörlichen Geräusch von der stillen Ubereinstimmung des Ganzen zu überzeugen strebt und jede kleine Absicht und Verdienst ins helle Licht rückt, die schon genugsam für sich reden würden. Das giebt nun ein kleinliches Wesen bey einer so seltenen Größe und Reinheit der Anschauung. Wir haben ihm den Wilh. Meister empfolen, es wird gewaltig auf ihn wirken, wenn er von dem Hause des Oheims lieset. Die Grosheit wird ihm indessen schwerlich eingeimpft werden können. Ostentation hat er übrigens gar nicht, es ist nur die unbändige Freude an seinen Hervorbringungen. Er ist auch nicht adelstolz und nur bemüht dem, ders versteht, die Sache recht aus Herz zu legen. Uns hat er nun nicht verlassen, alle Gemählde sind von der Wand heruntergenommen und auf die Staffeley gebracht, er schleppe sie selbst mit herzu, nun kanst Du denken, wie prächtig ich alles gesehn habe, denn der Stuhl für mich durfte auch nicht fehlen. Seine Gemählde sind nach den Gegenständen geordnet, nemlich alle Landschaften, Bildnisse, historische Composizionen in besondre Zimmer, welches für eine Gallerie von nicht grössern Umfang mit sehr passend und unterrichtend schien. Unter den Landschaften sind 5 Ruisdaels von der seltensten Schönheit, einige Salvators, zu denen ich mich wieder wie zu dem in Dresden hingezogen fühlte, auch Vernets, welche ich noch nie sah. Dann besitzt er zwey Cabinetstücke, einen Raphael, ein kleines Bild, wo Simeon das Kind Jesus in dem Arm der Mutter schaut, und einen Coreggio, die Mutter mit dem Kind, das in wunderschöner Verkürzung und hingegebner Lage auf ihren Schooße gaukelt. In dem ersten erkennst Du im Kinde wie in einen embryo die göttliche Größe des Kindes auf dem Dresdner Bilde. Dieses Kind hat mich wenigstens überzeugt, daß das Bild von Raphael ist, woran doch auch Kenner nicht zweifeln. Der Correggio ist unglaublich schön, daß man ihn immer wiederzusehn wünscht, aber der Raphael bleibt gleich in der Seele wie ein ewiger Schatz. Ein Bild von Guercino, das eine Heilige vorstellt, wie sie ganz in die Lesung eines Buches vertieft ist, hätte ich ihm als liebsten weggenommen, denn so möchte ich Augusten gemahlt haben. Es ist eine ganz jugendliche Heilige in weltlichen Kleidern, die Form des Kopfs, die Flechten des Haars, der himmlisch jungfräuliche Ausdruck und Eifer des Lesens – wir würden uns endlich einbilden, sie wäre es; Du hast nie etwas graziosers gesehn. Die Erinnerung bewegt mir das Herz von neuem.

Freytag früh 24. Oktober.

Brabeck ließ uns nicht weg, wir musten 2 Tage bleiben, ich war recht gesund und konnte alles genießen, ja ich war aufgelegt genug, um mich einmal selber geltend zu machen und die erste Rolle zu übernehmen, was nicht ermangeln wird Dir einiges Vergnügen zu machen. Ich bin gewiß, Du würdest dort sehr artige Dinge von mir sagen hören. Mad. de B. selbst, nicht der Gemahl blos, ist mit großer Freundschaftlichkeit von mit geschieden. – Die Lage von Söder ist nicht außerordentlich, aber für die hiesige Natur immer gut genug, ein Thal mit Waldung umgeben, ohngefähr wie Bocklet. Der Blick aus den großen geschliffnen Fenstern ist doch sehr hübsch und macht – wie der Baron sich ausdrückt – eine grausame Harmonie mit der innern Freundlichkeit. Du mußt Dir denken, daß er das Deutsche spricht, wie es ihm in den Mund kommt, und dabey so durchdrungen ist von der Güte seiner Schöpfung, daß die naivsten Aeußerungen zum Vorschein kommen. – Vor dem Haus ist besonders ein unendlich grausam großer runder grüner Platz, von einer Wasserparthie eingefaßt, wo weiße Lämmer weiden, die sich in allen Spiegeln des durchsichtigen Hauses wieder vervielfältigen, und wenn die Sonne dazu kommt, meint man in einem großen von allen Seiten zart geschliffnen Chrystall zu Haus zu seyn.

Auf Brabecks Schreibtisch steht etwas, wo ich immer wieder hingegangen bin um es anzusehn – ein kleines antikes Stück, ein Altar mit Basreliefs mit meinen beyden Händen zu umspannen, und darauf eine in Holz geschnitzte ganze Figur der Mutter mit dem Kinde auf dem Arm, ein Skapulier über denselben hängend, von Albrecht Dürer. Es sieht so braun aus wie Meister Hans und ist eine Spanne hoch. Zum Entzücken schön gearbeitet und gedacht. Wenn wir beysammen gewesen wären, wir würden uns über alle Schicklichkeit hinaus daran ergötzt haben. Brabeck erzählte, ein Engländer (die er sehr verachtet, besonders als Kunstmann, wie er sich nennt, hätte ihm eingewandt, das sey doch gegen allen Geschmack, das heydnische und christliche so nah zusammen zu bringen – da wär ihm aus Ärger eingefallen zu sagen, ey seht ihr denn nicht, daß ich den Triumpf unsrer Religion damit andeuten will, daß ich die Madonna auf dieses piedestal stelle?

Du sieht, mein süßer Freund, daß ich mit einer Menge schöner Eindrücke wieder nach Haus gekommen bin. Wenn Da nur nicht allein wärst, und ich hoffen dürfte, daß Du nicht unzufrieden mit mir bist. Noch will ich Dir nichts gewisses versprechen, aber ich hoffe Dich sehr bald wiederzusehn und früher, wie ich dachte.