Caroline von Schelling, Band 2


An Schelling.

Braunschweig Mittwoch Oktober? 1800.

Am lezten Postag kont ich nicht schreiben, lieber Freund, weil ich mir nicht merken lassen wollte, daß ich an einem ganz ungemeinen Schnupfen danieder lag ordentlich im Bette. Ich hoffe, Du wirst, weil es ein sthenisches Übel war, weiter über die Bekenntniß nicht jammern; ich bin schon ziemlich wieder hergestellt, so daß ich gestern Abend im Stande war in das Schauspiel zu fahren – mit ausgehn geb ich mich überhaupt nicht ab – um den Oedipe à Colone zu sehn, eine Oper mit Rezitativen, jedoch nicht tout à fait tragique, denn der Oedip geht zuletzt noch mit zur Hochzeit seines Sohnes und der charmante princesse Eriphile, die wirklich ein charmantes Mädchen und im 8ten Monat guter Hofnung ist. Ich wollte doch gar zu gern eine Anschauung von dem französischen ernsthaften Spiel haben, die denn auch tüchtig war und mir eine Stunde nachher noch in den Ohren weh that. Oedip und Antigone wurden von nicht schlechten Schauspielern gemacht, ist aber überflüssig zu sagen, wie sie die Griechheit zersezten und vermuthlich auch noch weit unter der pittoresken Leidenschaftsdarstellung eines Talma blieben. Und doch das Wenige, was aus dem Alten übrig geblieben war, nur blos die Erscheinung des Blinden von der Tochter geführt, es bewegte gleich die ganze Seele, und ich dachte an alles Liebste und Schmerzlichste und das eigne unter Fluch und Segen der Götter ruhende Geschick.

Donnerstag.

Das Theater hat unter den gewöhnlichen Dingen (denn ein Söder kann man nicht alle Tage haben) noch am ersten die Wirkung mich zu zerstreun. Da spricht doch niemand mit mir, ich brauche nicht zu antworten und selbst Comödie zu spielen. Gesellschaften sind mir unleidlich, die Erfahrung hab ich gestern Abend wieder bey der Nuys gemacht. – Allerbester Freund, gestern kam aber auch Dein Brief, und das war eine große Freude für mich. Es geht ja herrlich, ich wußte es vorher und wolte nur nicht viel davon reden. Du bist nicht grossprechend, fürchte nichts, ich weiß gewiß, daß alles so gewesen ist, ich habe Dich gesehn, wie Dich Dein Bruder sah, verklärt durch Kraft und Gelingen. Ja, Du bist wieder in die Schlacht gekommen, theurer Achilles, und nun fliehen die Troer. Die Unsterblichen haben Dich wieder geehrt und werden Dir das lange Leben obendrein geben. Das ist die wahre Rache, und ich triumphire ohne alle Schonung. Nichts von Bedauern, sie wäre gar nicht im großen Sinn der Humanität selber. Denn manche gedeihen in der Unterdrückung, dahin gehört Friedrich – es würde nur seine beste Eigenthümlichkeit zerstören, wenn er einmal die volle Glorie des Sieges genösse. Dir geziemt sie, Du weißt Dich in diesem Elemente zu bewegen – sollte mein Freund endlich aber übermüthig werden wollen, so wird er sich erinnern, daß er den bescheidnen Sinn seiner Freundinn damit von sich scheuchte, und weiter hat sie ihm bey dieser Gelegenheit, die für sie höchst ergötzlich ist, kein memento vorzuhalten. Was nun die Seite betrift, daß es ihren Muth stärken soll bald jenen Schauplaz zu betreten, so ist sie wunderlich und fühlte sich vielleicht noch weit unwiederstehlicher hingezogen, wenn sie dem Geliebten eine öde Laufbahn zu erhellen hätte, als eine....

Bogenschluß.