Caroline von Schelling, Band 2


An Schelling.

Braunschweig Dienstag früh Januar 1801.

Lieber Freund, ich komme weit her schon an diesem frühen, Morgen und war dabey, wie sich die glühende Erde zuerst verhärtet hat und Blasen warf, aus denen die Berge wurden, welches alles mir sehr begreiflich scheint. Lieber Gott, wenn man sich die Materie einmal vorausgiebt, so hat man ein leichtes Spiel und kann sich die Dinge nach Belieben gestalten lassen. Mir liegt aber ordentlich die Materie schwer auf, in der ich mich bey dieser théorie de la terre und époques de la Nature herumarbeiten muß, welches doch sehr thöricht von mir ist, weil ich gewiß bin, daß meine Vorstellungen sich niemals solide werden über sie erheben können, sie werden wieder herunter flattern, wie Vögel müssen, wo die Luft zu leicht für sie würde, und wenn selbst Adler unter ihnen wären. Sag mir nur, wie weit seyd ihr denn darüber hinaus? Du mußt indessen dieß nicht so nehmen, als ob ich die Materie so roh sonderte, indem ich es beym Busson blos mit ihr zu thun habe. Ich erinnre mich sehr wohl des Geistes im Mittelpunkt und daß Licht Geist und Geist Licht ist. Dieses ist mir nicht begreiflich, aber glaublich, und durch den Glauben und die Imaginazion wirst Du mich auch leicht bis zum Zweck von allem End und Ziel führen können, nur die Sprossen der Leiter, die Demonstrazionen, die Folgerungen, das ist nichts für mich.

Und meinst Du also, daß ich je zu einer andern als poetischen Erkenntniß Deines Gedichtes gelangen werde?

Eine Menge Begriffe hab ich mir doch neuerdings eingesammelt, der Himmel gebe nur, daß mein Gedächtniß sie festhält. Mit einer Anhäufung von Thatsachen, welche hie und da einen Artikel im Buffon einer Compilation von Meiners ähnlich sehn machen, kann ich es nun vollends nicht beschweren, und frage blos, was er jedesmal beweisen will, dann schenk ich ihm von den Beweisen immer die Hälfte. Ich hab einen Verdacht, mein Freund, als wenn Du eben auch nicht gründlicher läsest. Jetzt will ich Die eine neue Thatsache erzählen, die Du vielleicht von mit zuerst erfährst; in dem schrecklichen Sturm von 9‒10ten Nov. ist die ganze Insel St. Thomas in Westindien untergegangen. So regt sich noch das Fantom des Jahrhunderts in Naturbegebenheiten, Pest und Krieg, ehe es Abschied nimmt. – Dieser Sturm muß doch einen unterirdischen Ursprung gehabt haben, eine Höhlung der Erde muß eingebrochen seyn und ihm Ausgang gemacht haben. Siehst Du, wie ich zunehme an Weisheit? Wenn ich Mittags mich um nähere Erläuterungen von diesem und jenem befrage, so lachen die Herren über mich, geben mir doch aber sehr ernsthaften Bescheid und Schlegel ermangelt nicht zu bemerken, wenn ich mich doch nur jemals einer Sache so ernstlich gewidmet hätte, die seine Beschäftigungen anginge! Was wäre das denn auch wohl gewesen, außer dem, was ich nicht zu lernen brauchte, der Poesie! – Und was ist

Bogenende.