Caroline von Schelling, Band 2


An Schelling.

Braunschweig Sontag Nachmittag 1. März 1801.

Deine Freundin ist ganz allein und kommt zu Dir. Sie möchte gern nicht daran denken, daß Du vielleicht schmerzlich damit beschäftigt bist ihr zu schreiben, und was Du ihr wohl antwortest, aber eine andre Zuflucht sucht sie nicht vor dem Denken an Dich als Dich selber, und keine andre Brust ihren armen Kopf daran zu legen als die, welche sie vielfältig zerrissen hat. Und Du wirst sie aufnehmen. Laß uns reden, mein süßer Freund, von großen Dingen – liebliches Unterreden heilet bittres Weh. Ich kann nun schon die Stunden zählen, bis wann ich Deine Stimme wieder hören werde und in Deine Augen blicken. – Eben habe ich Fichtens Ankündigung gelesen. Ich kann nicht läugnen, die Stelle ist von der feinsten Zweydeutigkeit, ich habe sie mir nach allen Seiten hingewendet und kann sie nicht wegbringen. War sie denn Goethen nicht aufgefallen, ehe Du mit ihm darüber sprachst? Er als der große Gewaltige und ich als die kleine Frau wir rathen nun immer zum Frieden. Ausweisen muß es sich allerdings, allein es kann sich doch auch so spät ausweisen, daß Du viele Mühe davon hast. Um Dich mit ihm zu verständigen, dazu kannst Du sein Werk, daß er da so eisern hinzustellen gedenkt, nicht abwarten. Er will es hier nicht untersuchen; wo will er es denn untersuchen? Ich wünsche, daß Du ihm schon Deinem Vorsaz gemäß geschrieben haben mögest. Daß er verschweigt, was er im Briefe sagt, kann entschuldigt werden, mich däucht wenigstens, das gehört nicht sowohl in diese Ankündigung als in das Werk. Öffentlich mußt Du für jetzt nichts thun; wie könntet Ihr dann auch an eine gemeinschaftliche Arbeit denken? So wie ich die Sache einsehe, würde ich vermuthen, daß er Dich mit der Naturphilosophie wie in ein Nebenfach zurückweisen und das Wissen des Wissens für sich allein behalten möchte – Deine Theorie des Universums ZB. wie eine Meynung behandeln. Die Wahrheit zu sagen, ich helfe mir hier mit Sehn im Dunkeln, und brauchte Dir das nicht erst anzuvertraun, da Du es wohl merken wirst. – Was Du jetzt gleich im Journal als Darlegung Deiner neuen Ansicht auszuführen gedenkt, wird das schon umfassend genug seyn um ihm entgegengestellt werden zu können – nehmlich nur in so weit, daß man den Standpunkt Deines Idealismus ganz daraus abnehmen kann? Aus den Bemerkungen zu Eschenmayers Aufsaz muß ich das fast schließen. Es wird nachgerade immer nöthiger, daß Du auch so etwas Ewiges machst, ohne eben so darauf zu trotzen. – Das willst Du wohl nicht von mir erfahren, mein allerliebster Freund, ob Du Dich schon beynahe so ausgedrückt hast – wie weit Fichtens Geist reicht. Mir ist es immer so vorgekommen, bey aller seiner unvergleichlichen Denkkraft, seiner fest in einandergefügten Schlußweise, Klarheit, Genauigkeit, unmittelbaren Anschauung des Ichs und Begeisterung des Entdeckers, daß er doch begränzt wäre, nur dachte ich, es käme daher, daß ihm die göttliche Eingebung abgehe, und wenn Du einen Kreis durchbrochen hast, aus dem er noch nicht heraus konnte, so würde ich glauben, Du habest das doch nicht sowohl als Philosoph – wenn die Benennung hier falsch gebraucht seyn sollte, so mußt Du mich nicht darüber schelten – als vielmehr in so fern Du Poesie hast, und er keine. Sie leitete Dich unmittelbar auf den Stand der Produktion, wie ihn die Schärfe seiner Wahrnehmung zum Bewußtseyn. Er hat das Licht in seiner hellesten Helle, aber Du auch die Wärme, und jenes kann nur beleuchten, diese aber producirt. – Und ist das nun nicht artig von mir gesehn? Recht wie durch ein Schlüßelloch eine unermeßliche Landschaft. – Nach meiner Vorstellung muß Spinosa doch weit mehr Poesie gehabt haben wie Fichte – wenn das Denken gar nicht damit tingirt ist, bleibt denn nicht etwas Lebloses darinn? Das Geheimniß fehlt – sieh, ich ande das recht gut, wer fähig ist Geometrie zu fassen, der wird auch die Wissenschaftslehre lernen können, aber das ist eben die Begränzung, daß sie so rein aufgeht.

Lange habe ich mich nach einer tüchtigen Übersetzung des Plato gesehnt. Sollte sie aber wohl Schleiermacher so gut machen, wie Friedrich thun würde, wenn er arbeiten könnte?

Ich besah mir ein wenig den Tancred auf das, was Du davon schriebst; das wußt sich noch, er müste sich theatralischer wie Mahometh machen; recht dürftig ist denn doch der Voltaire immer in der Ausführung. Eine Rede der Amenaide hättest Du nur ganz für mich behalten sollen, wie sie unwillig ist, daß ihr Geliebter sie verkennt:

Ce coeur est aussi sûr que le sien invincible; Ce coeur était en tout aussi grand que le sien, Moins soupconneux sans doute, peutêtre plus sensible –

Ich kann mir ganz genau vorstellen, wie die Jagemann gespielt hat. Sie besitzt im Ganzen mehr Verstand und Energie als Talent, und man reicht damit zu dieser Rolle, wie auch zu Thekla, aus!