Caroline von Schelling, Band 2


An Schelling.

Braunschweig Mittwoch früh März? 1801.

Mein allerliebster Freund, ich schreibe Dir gleich frisch auf der That nach Deiner artigen Sendung. Gestern hatten wir ein großes Concert hier im Hause (mit Quartetten) und ich hatte Dich immer vor Augen und im Herzen gehabt; ehe ich mich schlafen legte, übergab mir Rose noch die beyden Briefe von Dir, und so wie ich aufstehe, will ich Die dafür danken. Ihr Sinn ist doch liebreich, den kleinen Bitterkeiten zum Troz; Du irrst Dich, aber ich hoffe, Du wirst nicht etwa meynen recht zu haben. Denn wenn ich Dich gleich verlasse, so thu ich es doch ganz anders, wie Du vorgiebst Dir einzubilden, und ich habe niemals so fest und unauflöslich an Dir gehangen. Wenn Du mich von Dir losmachen wolltet, so würdest Du mein Leben mit zerreißen. Also was Du schwazest vom Wunsch frey zu seyn, und von der Möglichkeit, daß ich mein innrer Genius nicht eben zu Dir unwiederstehlich hinzöge, das ist alles Thorheit – denn eben zu Dir; ich habe es nie allmächtiger empfunden. Ich will blos dabey bleiben, was ich bin, was ich nicht ändern könnte ohne mich zu zerstören, mir treu, um Dir desto treuer zu seyn. Die Furcht Dein Misfallen zu erregen, und der zerrüttende Eindruck, den Dein Misfallen auf mich macht, die muß ich fliehen um der Liebe und meines heiligen unabänderlichen Grames willen, der solche Störungen nicht mehr erträgt – drum muß ich mich wenigstens in so fern von Dir trennen, daß Du nicht leidest durch meine Schulden, und blos das Freundesrecht habest zu tadeln, nicht beschämt für mich zu werden, und blos das Recht des Geliebten Gefallen an mir zu finden, nicht Gefallen an mir zu üben. O ich habe Dich schrecklich lieb, unbegreiflich lieb, und nun wird es erst ganz an den Tag kommen. Könnt ich Dir nur meinen Sinn einflößen, alle Spannung weghauchen, Dich selbst fest halten in Deiner Anmuth, bei Deiner leichtern Stimmung. Süßes Herz, Du bist auch liebenswürdig, der Himmel ist nur noch nicht klar. Wolken fliehen hin und her, der Sturm sagt sie vor das Angesicht der Sonne. Kein Clima giebt es auf der Erde ohne Wolken, aber nur im Norden steigen sie so unaufhörlich wieder empor, komm in mein Süden, komm, Du geliebtester aller Menschen. Gewiß, wenn Du Dich jetzt nicht mehr traurend an Unmöglichkeiten wendest, so können wir uns noch ein schönes Leben, bilden. Nimm unser wunderbares Bündniß, wie es ist, jammre nicht mehr über das, was es nicht seyn konnte, nicht die reine irdisch schöne beschränkte Liebe zweyer Wesen, die frey von allen Fesseln sich zum erstenmal begegnen um ihre Freiheit mit einander auszutauschen, ja nicht einmal ein muthiges Zerreißen aller vorher gegangener Bande, das sich die Liebe selbst in meiner Lage nie als Tugend hätte anrechnen können. Und doch, so zerstückt wie es den einfachen Wünschen dasteht, ist es alles in allem, als Freund, als Bruder, als Sohn und Geliebten schließe ich Dich an meine Brust, es ist wie das Geheimniß der Gottheit, gleich der Jungfrau, die Mutter ist, und Tochter ihres Sohnes, und Braut ihres Schöpfers und Erlösers. So laß es uns den endlich still und gläubig ansehen.

Ich weiß wohl, daß mir dies nach meiner Natur und schon als Weib viel leichter wird. So wie Du in das Bewußtseyn tratest, waren Deine Forderungen an das Schicksal die eines Herrschers, recht bestimmt, von keiner Einschränkung wissend, vielleicht dennoch beschränkt – Du wolltest ein ungetrübtes jugendliches Glück, Du jugendlich Herz, wie es auch so einem herrlichen Menschen ziemet, wenn Du nur nicht noch so viel herrlicher wie herrlich gewesen wärest. Wie ich in mit selber erwachte, da machte es sich so, daß ich lange, lange glaubte, in der Wirklichkeit wäre das Glück niemals zu Hause, und nichts, was dem innern Daseyn eigentlich entspräche. Und durch diese erste Erziehung bin ich immer ein wenig bescheiden geblieben. Die Resignation hat mir Tiefe gegeben, und die erste Liebe eine ganz unaussprechliche Heiterkeit, ob sie schon selbst fast nicht in die Wirklichkeit gehörte. Nun begnügst Du Dich, wenn es seyn muß, jedoch in Bitterkeit, und ich in reicher Dehmuth. Du kannst und sollst gar nicht seyn wie ich – aber erkenne nur die Sache, wie sie steht von beyden Seiten, und nimm von mir an, was Dein edles Gemüth nicht bezwingen, aber besänftigen, trösten, beruhigen möchte.

März 1801

Donnerstag.

Spotte nur nicht, Du Lieber, ich war doch zur Treue gebohren, ich wäre treu gewesen mein Lebenlang, wenn es die Götter gewollt hätten, und ungeachtet der Ahndung von Ungebundenheit, die immer in mir war, hat es mir die schmerzlichste Mühe gekostet untreu zu werden, wenn man das so nennen will, denn innerlich bin ich es niemals gewesen. Dieses Bewußtseyn eben von innerlicher Treue hat mich oft böse gemacht, hat mir erlaubt mir wagend zu erlauben; ich kannte das ewige Gleichgewicht in meinem Herzen. Konnte mich etwas niedreres vor dem Untergang bewahren in meinem gefahrvollen Leben als dieses Höchste? Und wenn ich mir Verzweiflung bereitet hätte in der Verzweiflung der von mir Geliebten – ja, ich würde im Schmerz darüber verzweifeln, im Gewissen nicht, niemals könnte ich wie Jacobi ausrufen: verlasse Dich nicht auf Dein Herz. Ich müßte mich verlassen auf mein Herz über Noth und Tod hinaus, und hätte es mich in Noth und Tod geleitet. Das ist mein unmittelbares Wissen, daß diese Sicherheit sicher ist, und könnte sie in mir zerbrochen werden, so müßte sogleich die Vernichtung eintreten, für mich nehmlich. Denn eine Lehre ist das nicht und kann nicht mitgetheilt werden, eine unsichtbare Kirche wird es aber doch wohl seyn. Du siehst, ich nehme es mit der Treue im Großen – aber gewiß nicht um Dir zu entschlüpfen, nur weil mir das so nahe liegt; insofern ich mir treu bin, bin ich es auch Dir. Freylich wohl, so wie nach meiner Idee die Sünde nicht in den Handlungen liegt, so möchte auch die Treulosigkeit mir nicht in den Untreuen erscheinen, und Du bist also vielleicht schlecht zufrieden. Bist Du, mein Lieber? Nein, Du erkennst hierin den Punkt auch, der Hohes und Niedres scheint scheidet?, sonst hättest Du mir lezthin nicht so ernst zugestanden, daß Du keinen zuverlässigern Freund hättest wie mich – und jetzt so anmuthig mit Deiner Freundin über ihr untreues Haupt gescherzt. Diese wenigen Zeilen sind in der That recht bezaubernd süß – aber ich hoffe doch, unter Liebenswürdigkeit verstehst Du die Würdigkeit geliebt zu werden? Worauf bezieht sich aber die Erwähnung: Du glaubtest jetzt selbst, was man über diesen Punkt (der Nichttreue nehmlich versichert habe? Geht das mich oder mein ganzes Geschlecht an?

Blattende.