Caroline von Schelling, Band 2


An Luise Wiedemann.

Murrhard d. 19ten Jun. 1803.

Es war mir sehr willkommen von Dir Nachricht zu erhalten. Seitdem Du schriebst, sind aber die Zeitangelegenheiten beträchtlich vorgerückt und die Franzosen bereits eure nächsten Nachbarn. So hat denn Hannover doch seinem Schicksal nicht entgehen können! Was mich sehr beruhigt, ist, daß diese Gäste nicht bis zu Euch vordringen können, und dann, daß alles, was die Universität betrifft, für neutral erklärt ist, also die beiden Pensionen der Mutter wenigstens gesichert sind.... Wie ich aus Jena reißte, glaubte ich in der That nicht, daß es mit dem Krieg etwas seyn würde. Es ist mir übrigens lieb, daß es sich nicht vorher entschied, da wir abzureisen einmal entschlossen waren, wenn wir auch nicht nach Italien gelangten. Noch ist es nicht ausgemacht, ob es uns so gut werden wird, aber wir befinden uns hier indeß vortrefflich, und ich wünschte herzlich Dich und die Kinder auch dabey zu haben. Was würden die gefüttert und genudelt werden und mit den welsche Hünerle, Gänserle, Entele und Kückele um die Wette flücke seyn!

Ehe ich mich auf andre Details einlasse, muß ich von Loder sprechen. Ihr werdet wissen, daß er nach Halle geht. Fromman schreibt es uns; er läßt sich weiter nicht verlauten, ob schon laut geworden ist, auf wen man zunächst für Jena denkt. Ich glaube für mein Theil, daß Goethe alles anwenden wird Sömmering hinzubringen, außer dem wüste ich doch niemand als Wiedemann. (Autenrieth ist möglich, aber nicht wahrscheinlich). Wird Wiedemann gerufen, so bedenkt euch in so fern wohl, daß er es nur unter ganz gleichen Bedingungen mit Loder annimmt, indem der Ruf der Universität so entschieden im Sinken ist, daß man dieserwegen nichts sich abdingen lassen kann. Dir will ich auch noch entdecken, daß Schelling nicht wieder hingeht, daß Du also auch auf mich nicht rechnen kannst, und es überhaupt für jetzt mit dem in Jena aus ist, was ihm in Ermangelung jeder öffentlichen bedeutenden Anstalt in den letzten 10‒15 Jahren allein das große Übergewicht gab, nemlich mit dem Königreich in der Philosophie. Ferner darf ich Dir sagen, daß, wenn ihr wünscht an einem andern südlicheren Ort über kurz oder lang euch anzusiedeln, sich eine andere Aussicht dazu zeigt, wo Schelling das Möglichste beytragen wird, euch mit uns zu vereinigen. Dieses alles als unverbrüchliches Geheimniß, nur damit ihr wegen Jena euch besinnt und auf keinen Fall rasch zugreifet. Denn freylich, daß es Wiedemann doch lieber seyn müste Lehrer zu seyn bey seinen Kenntnissen, als ausübender Arzt und Accoucheur, das kann ich mir denken.

Wahrhaft und herzlich freue ich mich mit Dir darüber, daß der Ungarische Magnat nicht an das Tageslicht gekommen ist, und die Sache einigermaßen beygelegt wird. Ich möchte nicht dafür stehn, daß Podmanitzky nicht insgeheim sollte in Braunschweig gewesen seyn; wo er jetzt ist, davon habe ich, seitdem er dorthin abreiste, nicht gehört. Hufelands Benehmen und seine sehr weitläuftigen Erklärungen und Abwendungen von wegen der Abwesenheit und Krankheit seiner Frau, in welche er sich auch gegen Schelling ergossen, ließen uns schon hoffen, daß er selbst hoffte, das Übel noch abzuwenden. Die Hufeland wird einen verdrießlichen Stand in Jena haben – indeß sind alle solche Eindrücke vergänglich, und in Jena besonders verwandelt sich die Sonne so oft, daß es außer denen, die sich doch nie viel aus ihr machen werden, ungefähr das nehmliche seyn wird. Vors erste wird sie sich vielleicht an die Paulus anschließen. Diese hat sich ihren Bruder, der vor 5 oder 6 Jahr in Jena studirte und mit dem Lotte damals einen Handel angeknüpft hatte, zu ihrem Umgang mitgebracht. Er ist ein anerkannter Taugenichts und Spieler und hat die Tochter eines Balbier und Urinbesehers auf einem Dorf hier in der Nähe geheirathet des Geldes wegen; diese ganz gemeine Person ist auch mitgekommen rc. Die ganze Familie Paulus ist hier zu Lande mit der öffentlichen Verachtung beladen. Was ich übrigens von der Paulus in Bamberg gehört, damit will ich das Papier verschont lassen und Dir lieber unsere erfreuliche Zusammenkunft mit der Unzeline melden. Wir kamen Mittags nach Studtgard, der Weg dahin ist allerliebst, das ganze Land besteht aus kleinen Hügeln und ergözlichen Ansichten. Am Abend wurde Maria Stuart gegeben, Voß machte den Mortimer. Das Theater ist hübsch, eben so groß, nicht so düster und prächtiger wie euer Opernhaus, übrigens in der Anlage diesem sehr gleich. Die Schauspieler sind abominabel, aber die Unzelmann spielte die Maria noch weit herrlicher, als wie wir sie sahn. Wir konnten sie vor dem Schauspiel nicht sprechen. Im Schauspiel fügte es der eigensinnige Zufall, daß mir die einzige Nachbarschaft wurde, welche mir nicht vollkommen gleichgültig war. Huber saß vor mir. Ich wollte ihn nicht anreden, denn es war eigentlich meine Meynung Hubers nicht zu sehn, und zwar in so fern „er seinen Witz verloren“ und ich ihm über seine dumme Recension des Athenäum bittre Wahrheiten gesagt, die ich niemals zurücknehmen kann. Er folgte meinem Nichterkennen und sprach auch nicht. Am folgenden Morgen sprach die Unzelmann gleich mit uns von Hubers, lobte sie sehr, und ermahnte mich sie doch ja zu sehn. Sie wuste übrigens unser Verhältniß durch Schlegel, behauptete, Therese rede mit großer Wärme von mir usw. Ich sagte ihr, daß ich noch ungewiß sey, besonders da ich mich schon stillschweigend gegen Huber erklärt hätte – sie sagte, ich möchte wenigstens nicht erschrecken, wenn die Huber vielleicht augenblicklich ins Zimmer träte – indessen wir gingen weg, ehe sie kam – eine halbe Stunde drauf ließ mir aber Therese durch den Bedienten der Unzelmann sagen, sie würde zu mir kommen von dort aus. Dieses geschah, und nicht ohne die innigste Bewegung von beiden Seiten. Sie hatte diesen Entschluß gefaßt, sobald ihr die Ungelmann gesagt, daß ich ungewiß sey – Huber wußte nicht davon, sie wollte ihn noch zu mir senden, allein wir standen im Begriff wieder wegzufahren. Unsere kurze Zusammenkunft hinterließ doch einen beruhigenden Eindruck bey mir Sobald ich nach Studtgard komme, werde ich nun Hubers besuchen, und wir werden uns wahrscheinlich öfters während meines Aufenthalts in Cannstadt sehn, wo ich das Bad gebrauche. Dieses liegt nur eine kleine Stunde von Studtgard und in einer reizenden Neckargegend, wie Dir Wiedemann sagen kann. Huber hat an Schelling geschrieben und ihm sein Verlangen ihn und mich zu sehn bezeugt, und wie schwer es ihm geworden sey mir den Abend nicht zu sagen: „Liebe Caroline, wir kennen zu viel Leid und Freude von einander, als daß es nicht unnatürlich wäre, daß wir uns jetzt nicht erkennen“. Denn auf den ersten Blick haben wir uns wirklich erkannt. Außerdem machte Schellings Anwesenheit ein Vorspiel im Parterre, und es hatten sich so viele um ihn versammelt, daß die öffentliche Aufmerksamkeit gänzlich auf ihn gerichtet war; Huber setzte sich nachher erst dahin und wollte mich vermuthlich dadurch auffordern ihn zu erkennen. Unmöglich ist es jedoch, daß ich mich nicht mit ihm zanke, da er in so schlechten Grundsäzen ist. Von Therese ein mehreres, wenn ich sie erst mehr gesehen habe. Sie steht aber in Studtgard in großer Achtung und Ansehn, und lebt blos für ihre Kinder und ihren Heerd, wie Unzeline sagte. Ich kenne das. Unzeline ist und bleibt eine höchst verständige kleine Person. Ein Spaß war, daß sie Schelling (der einen großen dreyeckichten Hut führt alleweil) ihren großen dergleichen Hut schenkte, denn sie sich in Frankfurt eben gekauft hatte, um den kleinen Matrosen zu spielen. Es war einer von denen, die man zusammenlegen und also gut packen kann; er paßte ihm vollkommen, und wir haben einen gewaltigen Jubel damit verführt, besonders hier auf der Prälatur, wo sie sich todt wundern wollten, wie die Schauspielerin und der Philosoph für einen Deckel gerecht wären. – Denk Dir, die Unzelmann kommt künftige Woche von München nach Studtgard zurück und spielt die Johanne von Orleans! – Von Spittlers höre ich nur so viel, daß er außer aller Thätigkeit ist, von niemand anerkannt wird, und sie in aller Stille leben.

Im Anfang künftiger Woche gehe ich nach Cannstadt, wenn das Wetter sich bessert. Es regnet unaufhörlich, doch ist es waren, und auf dem Lande kommt mir auch das schlechteste Wetter noch schöner vor wie das gute zwischen Häusern und Mauern.

Ich habe nicht Zeit Dir mehr zu sagen, meine Liebe – sondern muß siegeln. Mutter macht mich traurig. Du thust wohl von der Reise nicht zu sprechen, besonders da sie doch ungewiß ist. Schreib mir, was Du von Philipp weißt. Leb recht wohl, wir grüßen euch herzlich