Caroline von Schelling, Band 2


An Luise Gotter.

Würzburg d. 4ten Jan. 1804.

Besser spät als nimmer, meine unvergeßliche Freundin – einen Brief von Julchen habe ich seit Monaten beantworten wollen, aber wahrhaftig nicht gekonnt. Durch öffentliche Nachrichten hast Du erfahren müssen, wo mich Deine Theilnehmung zu suchen hätte. Wir sind nicht nach Italien gelangt, noch liegt das gelobte Land vor uns. Vielleicht sind wir zu unserm Glück, wenn man es so nennen will, mitten auf der Reise unterbrochen worden, da Rom in diesem Winter von unaufhörlichen Regen überschwemmt wird, doch hat es mir, und freilich uns beiden, sehr weh gethan, die Hoffnung weiter hinaussetzen zu müssen und in Schwaben die Schweizergebürge, in Bayern die Tyroler Alpen vor uns liegen zu sehn, ohne hinüber zu können.

Bey unsrer ersten Durchreise durch Franken wuste Schelling schon, daß man auf ihn ein sehr bestimmtes Augenmerk für Würzburg und die neue Ordnung der Dinge gerichtet habe, doch verzögerte sich die lezte Entscheidung, weil hier so gar manches im Politischen zu entscheiden war, ehe es an eine Einrichtung für die Universität ging. Wir ließen es auch dahin gestellt seyn, und Deutschland lag uns so gut wie im Rücken, als er im Sept. aufgefordert wurde von München aus, seinen Weg nach Italien wenigstens durch Bayern zu nehmen. Wir gingen also über Ulm und Augsburg dorthin. Diese Reise und der Aufenthalt in München war, alles andre abgerechnet, äußerst angenehm. Wir waren fast 3 Wochen da, aber in den ersten drey Tagen hatte man sich schon Schellings versichert und ihn vermacht dem Anfang der Universität seine Gegenwart und seinen Einfluß nicht zu versagen; man versprach dagegen den baldigsten Urlaub für die Reise. Wir erfreuten uns bescheiden an den Schätzen der Münchner Gemählde Gallerie, da uns das Größere genommen war, und haben hier die deutschen Künstler kennen gelernt, die anche pittore sind – zu Deutsch – auch Maler! Der Freund Schelling und die Minister lebten in der allerhöchsten Zufriedenheit mit einander, und eine gewisse Rotte schlechter Scribenten, von denen wöchentlich in Bayern dicke Bücher oder kleine pasquillantische Flugschriften gegen S. zu erscheinen pflegten, im tiefsten Ärger. Von München reisten wir über Landshut, Regensburg, wo Schelling bey dem wohlbekannten Churerzkanzler speiste und ich fast auch – dessen Hauswirth und Domdechant, der Graf von Thurn, führte mich in ein brillantes Concert, wo der ganze Reichstag beisammen war – also über Regensburg – Nürnberg, was uns unsäglich interressirte, Bamberg, wo wir gern geblieben wären, hieher – wo es unsre Bestimmung seyn sollte zu bleiben. Doch machten wir nur einen kurzen Aufenthalt um einige Anstalten zu treffen, und kehrten noch einmal nach Schwaben zu den guten Eltern zurück, die sich gar sehr freuten, daß wir uns vors erste nicht nach Italien verirrten – die Mutter schrieb uns noch nach: Gott segne euch, aber nur bis München.

Im Anfang des November kamen wir hier wieder an, also in der ungünstigsten Jahrszeit, deren Einfluß ich nicht entging, so wohl ich mich den Sommer über befunden hatte; ohne alle Bequemlichkeit, denn ich habe in Jena alles verkauft, außer Betten und Wäsche, die ich noch nicht vorfand; fast ohne Wohnung, denn diejenige, welche uns von der Regierung zugesagt war, war nicht geräumt und nicht eingerichtet, weil einige Wochen über Ungewißheit obwaltete, ob nicht alles nach Bamberg verpflanzt würde. Nun kannst Du denken, ob ich Beschwerlichkeiten zu überwinden hatte, besonders da in den ersten 14 Tagen Schelling 2mal nach Bamberg zu unserm Curator, den Grafen von Thürheim, gerufen wurde, wohin mit meine Gesundheit nicht erlaubte ihn zu begleiten. Ich hatte übrigens doch meine Schwägerin bey mir, die den Winter bey uns zubringt. Nur bin ich noch in meiner häuslichen Einrichtung nicht weiter als zu einer provisorischen gediehn, meine Zimmer für mich, deren 4, ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und 2 große für Gesellschaft, in einer Reihe und durch Flügelthüren mit Glasscheiben verbunden, werden erst ganz in Stand gesetzt. Schellings Auditorium allein war fertig wie billig, ein hübsch dekorirter Saal, ganz anders glänzend wie der Jenaische und noch stärker besetzt.

Wie es in Jena ergangen ist, wird Dir nicht unbekannt geblieben seyn.


Es ging ein finstrer Geist durch jenes Haus
und schleunig that das Schicksal mit ihm enden.

Die Veränderlichkeit der menschlichen Dinge hat sich gar wunderlich erzeigt. Die Damen Hufeland und Paulus haben mir ihren Besuch gemacht, sind ganz charmant, ich gleichfalls, ohne allen Groll, ich weiß gar zu gut, wie viel – das heißt wie wenig, überhaupt der Haß und die Liebe von dergleichen Wesen werth ist, beides gilt mir keinen Kreutzer. Die Paulus wohnt in dem nehmlichen Gebäude mit mir, welches ein Schloß oder ein Kloster, eigentlich aber das ehemalige adeliche Seminarium ist, sie aber in einem ganz abgesonderten Flügel. Mündlich hätte ich manche Curiosität zu erzählen, schriftlich sind es indessen doch zu schlechte Raritäten.

Noch herrscht in Würzburg Spannung zwischen der neuen Regierung, dem alten Adel, der Geistlichkeit und der Philosophie, was über den Ackord, den das Ganze machen wird, über die Art der künftigen Societät nicht rein urtheilen läßt. Es liegt uns auch wenig an dem allen Schelling ist durch seine Stelle im Senat in die öffentlichen Angelegenheiten einzugreifen verpflichtet, das nimmt ihm leider viel Zeit, allein es ist jetzt heilsam. Er hat sich in einen hohen Grade, neben dem daß seine Vorlesungen das Gespräch des Tages sind, das Zutrauen der Leute überhaupt erworben, seine Persönlichkeit versöhnt ihm die Feinde selber. Es ist eine nicht zu verachtende Genugthuung für ihn, daß er eben an diesem Orte so ehrenvoll angestellt wurde, wo er die niederträchtigsten Widersacher hatte.

Wie sich die Bewerbungen um Würzburg gedrängt haben und noch drängen, ist nicht aufzuzählen. Die merkwürdigste ist die von Schütz gewesen, der sogar, nachdem er den Hallischen Antrag schon angenommen hatte, nochmals mit Vorschlägen in München sich einfand, die eben in den ersten Tagen anlangten, wie wir dort waren, und Schelling mitgetheilt wurden. Dieser hatte gleich zu Anfang erklärt, er würde nicht kommen, wenn Schütz angenommen würde, also bekam dieser nicht einmal eine Antwort, die übrigens die Unverschämtheit seiner Propositionen auch nicht verdiente.

So steht es nun mit Deiner Freundin. Du dürftest sehr ruhig über sie seyn, wenn ihre äußerliche Lage auch nicht so glücklich wäre – diese ist es indessen mehr als irgend eine vorhergehende. –

Fast hätte ich das Vergnügen gehabt meine Schwester hier zu haben. Wiedemann wurde gerufen, Schelling bekam den Auftrag, er war schon entschlossen zu gehn, allein der Herzog hielt ihn auf eine bedeutende Weise fest. Es hat mir recht leid gethan, ich hätte die Kinder so gern hier gehabt. Meine Mutter ist noch in ihrem kränklichen allzureizbaren Zustand. Daß die gute Pflegmutter ihr Leben geendigt hat, erfuhr ich durch Julchen Friede sey mit ihr.

Gebt mir bald Nachricht – das ist meine gewöhnliche Bitte. Ich schreibe nur, wenn mich die Noth dringt, daß ichs nicht länger aushalten kann nichts von euch zu wissen. Was machen die drei Töchter? Ich umarme sie nebst der theuren Mutter. –

Ein junger Mahler von hier nahmens Martin Wagner hat dies Jahr Goethens vollen Preis erhalten. Wir bekommen eine artige Kunstsammlung, alles was in Mannheim von Antiken und Abgüssen war. Lebt tausendmal wohl!

Eure Caroline.

Für Julchens Neugier lege ich das Organisationsrescript unsrer Akademie bei.