Caroline von Schelling, Band 2


An Meta Liebeskind.

Würzburg d. 19ten Aug. 1804.

Nicht so früh wie Sie, Liebe, nicht um halb 6 Uhr setze ich mich zum Schreiben – Sie haben auch das voraus, daß Sie sich nicht zu setzen brauchen – aber doch ist es mein erstes Geschäft am heutigen Sonntag, damit mir es späterhin nicht wieder vereitelt wird, und Sie endlich auf mich zu schelten versucht werden. Denn es wäre mir nicht lieb, wenn Sie unzufrieden mit mir würden, sowie es mir und Schelling die größte Freude macht, wenn Sie gern und vergnügt hier gewesen sind. Übers Jahr, wenn Sie nach Aschaffenburg endlich reisen, werden Sie uns hoffentlich nicht vorbeigehn und wir wollen dann sehn, ob wir Ihnen wieder alle Gelegenheitsfuhren und herrischen Entschlüsse aus dem Sinne bringen. Daß Sie Liebeskind verziehen haben, ist nicht mehr wie billig und sehr begreiflich, ich aber habe keinen so besondern Beruf zu dergleichen Langmuth gegen ihn, und werde Groll hegen, bis ich ihn von Angesicht zu Angesicht etwa gesehen habe und er dann redlich versichert, er sey nicht aus redlichen Eigensinn weggeblieben – nicht so redlich wäre redlicher? Jetzt wird er wohl auf seine Comission ausgewandert seyn, oder auch noch nicht. Haben Sie erfahren, daß Bayard mit Ihnen zugleich, ja in einer Stunde nach Anspach fuhr, so will ichs Ihnen vorläufig erklären. Wie die Bayard mir erzählte, kam der Graf Thürheim selbigen Abend zu ihm und trägt ihm bittlicherweise an, da die Frau nun niedergekommen sey, möge er doch über Anspach nach Baireuth gehn und dort gewisse Leute in Pflicht nehmen, wozu er sich denn auch pflichtschuldigst entschloß, und außerdem daß er den Secretair mitnahm, Sie auch schon außer den Thoren glaubte, sonst hätte der Secretair allenfalls mit dem Offizier vom Geniecorps fahren können, und Sie wären schon um 10 Uhr in Anspach gewesen, wo Bayard nur wenige Stunden sich aufhielt. Daß wir indessen nicht perfide gewesen und nach Aschaffenburg gegangen sind, bescheinige ich hiermit, es ist daran auch nicht zu gedenken. Vielmehr haben Sie etwas Entgegengesetztes versäumt; am Mittwoch nach Ihrer doppelten Abfarth kam Marcus mit seiner Frau und zwey Fräulein aus dem Stengelschen Hause ganz unvermuthet und eben vor dem Schauspiel an, so daß wir sie da zuerst sahen. Dieses würde Sie sehr amüsirt haben; sie blieben nur bis Freitag und brachten Donnerstag Abend bey uns zu. Das Schauspiel geht ganz leidlich von statten; langweilt uns Iffland mit der Moral auf dem Theater, so halten wir uns in der Loge schadlos, und von heut an, die ganze Woche hindurch, werden wir vortrefflich durch Gern vom Berliner Theater regalirt mit dem Wasserträger, Don Juan, Zauberflöte und solcherley Wunderwerken. –

Ihr Brief unterbricht mich bey diesem Blatt, und wie! Ich komme wieder, nachdem ich mich matt geweint habe, denn solche Gelegenheiten ergreift der in sich gekehrte Schmerz in mir, um sich einmal zu ergießen. Ich kann über meinen Verlust nicht weinen, die Furcht, als ob die Thränen blutig werden möchten und mich dahin brächten, wo der ermüdete

Mensch nicht leben und sterben kann, ein Zustand, vor dem meine Natur das äußerste Entsetzen hegt, die Furcht hält mich in Schranken auf Erden noch zu klagen, bis ein Anlaß kommt wie dieser, dem ich unaufhaltsam mich hingebe. Daß Adel nun auch hin ist, ist mir so unerwartet, so unglaublich und alles zusammengenommen schrecklich. Und wahr ist es mir wie Ihnen, der lezte Eindruck bestimmt sich durch den Brief der Mutter, der so ganz ein Vergangnes und nicht die gegenwärtige natürliche reine Empfindung bezeichnet. Ich wollte, Sie hätten ihn mir nicht mitgetheilt, und ich mag nichts näheres darüber sagen, um die Stunde nicht durch Urtheile und Wahrnehmungen zu entweihen, die eben, weil sie Theresens complizirtes Wesen betreffen, immer etwas von der Art ihrer eignen Urtheile und moralischen Wahrnehmungen an sich tragen müssen. Nur kann ich mich nicht erwehren mich bey jeden neuen Todesfall dieser Kinder jener Worte von Forster zu erinnern, die er mir sagte oder schrieb, wie davon die Rede war, daß Forster ihr die Claire lassen möchte, – ja, er würde es thun, denn Hubers Kinder blieben nicht am Leben, und er wolle sie nicht aller Kinder berauben, man habe es an George und Luise gesehn“. Aber stille davon, denn das ist nicht, was mich beschäftigt, obwohl ich auch darüber nicht sprechen kann, was diese heißen Thränen bedeuten. Der Tod ist eine himmlische Hoffnung, wenn er so der Bewahrer unsrer liebsten Schätze geworden. Das Leben wäre unerträglich und eine Schmach, wenn es dieser beraubt nicht dennoch ein überirdisches Interresse enthielte, einen Theil jener ewigen Seligkeit, und Sie wissen, wer mir nicht blos ein zeitlicher Gefährte ist.

Hätten wir denken können, daß Theresens nächster Brief diesen Inhalt haben würde? und daß Adele leblos vor ihren Eltern läge, wie wir in Randersacker sorglos am Mayn saßen.

Schellings Augen haben sich auch mit Betrübniß gefüllt, er hatte dieses Kind so lieb, er hat es noch der Mutter ausgeredet, wie sie gegen ihn äußerte, es würde nicht leben bleiben, er sah ihre Manier nur darin und widerstand der traurigen Vorstellung. Solche Augenblicke wecken auch in ihm alles auf, wir zittern gegenseitig vor unserm Schmerz und unterdrücken nach Möglichkeit jede Äußrung.

Er will nicht, daß ich noch länger schreiben soll. Auftrag.