Caroline von Schelling, Band 2


An Schelling.

Würzburg 25‒26 Aprill 1806.

Du bist am Sontag früh um 4 Uhr von Ansbach weggefahren, warst also schon am Montag Abend in guter Herberge, aber allein und bey so rauhem Wetter, das noch immer nicht milder werden will, das auch mich seine ganze Härte fühlen läßt, denn woher kame es sonst, daß ich gar nicht gesund werden kann? Ich betrübe mich nicht, ich habe keine Langeweile, kann aber weder essen noch schlafen und das eintägige Kopfweh hat sich in ein vieltägiges verwandelt – so daß der Klein gestern schon mit tausend Besorgnissen umher ging, weil er dem Köhler als Artzt nicht traut. Heute ist es viel besser jedoch, heute begrüsse ich meinen Schelling mit klaren Augen. Wenn ich nur wüßte, wie es ihm geht! Aber kann es Dir übel gehn? Ich verbiete mir alles Vorstellen darüber, des ersten Briefes harrend. Hier wird es nun Ernst, wir sind in voller Arbeit, ich höre eben die präsidirende Stimme der Frau Präsidentin, die vor ihrem Hause steht und das Gerüst zur Illumination höchst ingenios anordnet. Die Narrheit ist nun völlig ausgebrochen und traut sich bey hellen Tag auf offner Gasse zu erscheinen, denn man glaubt endlich vor einem Rückfall sicher zu seyn. Den Zeitungen nach ist der Fürst schon am 20ten durch Regensburg, er ist aber noch immer weder hier noch zu Mergentheim, und könnte wohl unterwegs noch abhanden gekommen seyn. Doch ist Prinz Taxis, der Commendant der Garde, da, und sonst andre Vorläufer und man hat keinen ruhigen Augenblick mehr vor Bürgeraufzügen, exerciren, paradiren, Musik die ganze Nacht hindurch, wobey sie ein paar furchtbare Pauken, die irgendwo noch gesteckt haben mögen, in schmetternde Bewegung setzen, daß ich zittre, wenn ich sie von weiten inne werde. Die Kokarde steckt auf allen Hütten, die kleinen Seufferts haben sie bis aufs Neugebohrne in der Wiege. Ich war vor 3 Tagen ausgegangen, da zog eben die Bürgercavallerie zum Rennweger Thor herein und der Taxis kam über den Platz gefahren, hielt an, sie machten fronte, er legte sich ganz aus den Wagen heraus um ihnen zu danken – diese kleinen Begegnisse machen den Bürger ganz trunken, und die Erwartung wird durch das Zögern so gespannt, daß die lezte Explosion gewaltsam werden muß, wenn nicht etwa eben da sie versagt. Mir ist auch schon Illumination angesagt und meine Befehle verlangt, wie viel Lichter und Leute ich dazu haben will. Habe nur keine Sorge für den Abend, ich will alles sehr gescheut einrichten. Nur gesund muß ich seyn, ich nehme mich auch sehr in acht, jener Ausgang war mir schlecht bekommen. Die Landrichterliche Exellenz hat alle Unterstützung wegen des logis zugesagt – und sie, die kleine Frau, hat mir vertraut, nicht den Anfang, aber das Ende – daß sie wieder guter Hoffnung ist. Darüber ist nun nichts weiter zu sagen. – Bey Martinis war ich, die aus der Ferne gehört hatten, sie sollten nach Landshut, und ganz desolirt darüber sind, so daß sie besonders lieber hier bleiben möchte. Sie hatten indeß nicht den geringsten näheren Wink erhalten; Hoven hat, auf einen Brief von Sicherer hin, seinen Abschied genommen, dieser hat ihm aus Zentners Munde zugesichert, daß er in Ausbach angestellt würde, der Graf Thürheim ihm aber so eben noch geschrieben, er wüste so wenig, ob Ausbach in 8 Tagen oder ob es in 8 Monaten übergeben würde. Wie ich höre, behauptet Döllinger, daß Marcus um die hiesige Stelle nachsucht, was aber wohl eine Vision von ihm ist. Paulus hat das logis doch nur auf ¼ Jahr gemiethet.

Der Herzog Birkenfeld ist hier durch nach Bamberg, ein Theil der dortigen Landesdirection soll nach Ansbach – was nur aus Stengel werden wird?

Das einzige Merkwürdige, was zu mir gelangt ist seitdem, ist in Nr. 91 der Jenaischen LZ. die Recension von Fichtens neuem Buch – das Buch selbst ist noch nicht hier. Ich rechne darauf, daß Du dieser Blätter gleich habhaft werden kanst; den Beschluß habe ich selbst noch nicht, die Sendung geht eben bis zu jener Nr. So viel nur, das Buch wird die Welt nicht in Erstaunen setzen, es scheint gerade so zu seyn, wie es zu erwarten stand, sehr wortreich muß es seyn und seltsam muß sich die Natur ausnehmen, die er sich allerdings anzueignen gesucht hat. Ich bin zweifelhaft, ob Schleiermacher Verfasser der Recension ist, doch wüste ich nicht, wer sonst, obschon die Schreibart nicht markirt ist. Fichte ist aber sehr derbe empfangen. Wie stark er sich die Naturphilosophie abgewehrt hat, kann sich nicht ganz aus der Anzeige ersehn, die sich der Naturphilosophie zwar nicht annimt (was doch Schleiermacher gleicht), aber Fichten darthut, daß er ganz irrig von ihr spricht. Gern stöhle ich das Blatt für Dich, damit Du es auf der Stelle zum desert hättest, doch will mit solches nicht schicklich dünken. Recensent spricht curios und fast persönlich von der Naturphilosophie, deren Sache er nicht für die beste hält, „vielmehr für einen Vorgriff in eine höhere Sphäre des Lebens“ – Was soll das nun seyn, wer darf sagen, daß es einen Vorgriff der Art giebt?

Jacobi hat sich auch mit vieler Vehemenz in einem Blatt gegen das publiciren von Briefen, was Gleims Erben treiben, erklärt.

Vielleicht bin ich von allen Dingen am begierigsten auf Deine Bekanntschaft mit Jacobi. Ich glaube, Du kannst sie nach Wunsch lenken.

Die Mlle Wagner erhielt bey mir einen Brief ihres Bruders – er weiß von den Tieks, der Dichter und die Schwester leben sehr isolirt, so viel er wisse, man sähe sie nirgends. Er arbeite an einem Trauerspiel. Der Bildhauer wäre bey ihm gewesen, habe sich aber seinen Gegenbesuch verbeten, bis er mit einem basrelief fertig sey, das er eben in Arbeit habe. Dieser käme oft zu Humbold, der Dichter weniger. Übrigens wären Künstler und Fremde zu Rom in vielfache Partheyen getheilt, erstlich nationenweis und die Deutschen wieder in ältere und jüngere Zucht. Man könne aber ganz für sich leben – er wohnte in einem italiänischen Haus, ohne Ofen, hätte den ganzen Winter hindurch keine Kohle gebraucht. Vermittelst eines blechernen Ofens könne man sich ganz deutsch dort einrichten. – Frage doch nun selbst nach der Zeichnung des Wagner.

Dem Klein liegt die nahe Ankunft wie Blei auf der Seele, er muß auch einen Aufzug mit den Buben bilden – unser Sturz geht darüber zu Grunde. Er liegt ernstlich krank, so daß ich ihn nicht gesehn habe seit Deiner Abreise, außer am ersten Morgen – dabei sieht sein Zimmer und seine Ungebung so gräßlich aus, daß die Bekannten nur um Gotteswillen hingehn, und mit seiner Bedienung ist er so wüthig, daß auch der Adam ihn verlassen hat; die Frau hat kranke Kinder und kann deswegen nicht herein kommen. Die Bürger ziehn dabey immer vor seinen Fenstern vorüber, und gewiß, wenn dem Manne nicht bald geholfen wird, so ist es aus mit ihm – er hat schon delirirt. Döllinger besorgt ihn jetzt.... Köhler besucht mich mit zarter Assiduität und anständige Zeiten haltend – er kommt Abends oft, aber nur bis halb 10 Uhr, Klein mehreremale des Tags – auch Spix trat neulich herein um 8 Uhr auf die Art wie Freund Oken, er sagte: ich komme, damit Sie sehen, daß Sie nicht in Vergessenheit bey mir gerathen sind – Dieser Mensch hat doch sehr verworrne Begriffe – wenn nicht sein edler Fleiß, seine Emsigkeit im handanlegen wäre, so würde ich ihm doch nicht recht trauen, denn er hat auch schon schrecklich viel Verse gemacht. Behr war sogar bey mir, und zwar in einem Augenblick, wo es hier eben wieder bayerisch werden sollte und er fest daran glaubte.

Du vergißt doch Wiebekings nicht? Ich sehe aus der Münchner Zeitung, daß bey Strobel zu sehr sind viele Blätter der Gebrüder Riepenhausen, die Geschichte der heil. Genoveva enthaltend – das muß doch interressant seyn. Ach und wie viel hübsche logis stehn im Münchner Blättchen!

Da ist in Jena der junge medic. Privatdocent Keßler gestorben. – Eins fürchte ich, daß der Legemeyer Dir einen unbändigen Schrecken gemacht haben wird, denn am Ende ist der liebe Mann gar nicht todt, weil man weiter nichts davon hört, und hat sich einmal plötzlich an der table d’hote Dir vis à vis gesetzt.

(NB. Du hast nur 11 Manschettenhenden bey Dir, eins blieb zurück, was ich nur melde, damit Deine Genauigkeit nicht fürchtet es verlohren zu haben.)

Du liebster Freund – wenn ich nur erst weiß, daß es Dir gut geht, so will ich, auch einsam, frölich essen, trinken und schlafen. Das allein essen ist das schlimmste für mich – il vaut encore mieux d’être seule à minuit qu’à midi. Es wäre thöricht, wenn ich Dir erzählen wollte, wie ich Dich in Gedanken liebkose. Du weißt es wohl.

Sonnabend 26. Apr.

Es war gestern zu spät dieses wegzuschicken und nun habe ich eben Gottlob Deinen Brief erhalten. Mein theuerster Freund, wenn Du nur wohl bist, so frage ich nichts nach Himmel und Erden, denn wenn Du gesund bist, so bist Du Du und dann ist alles gut. Auch mir ist heut viel besser, aber die Luft ist dunkel von Schnee, die Dächer weiß, bis die Sonne dann und wann glühend und strahlend kommt und alles verwandelt. O wie froh bin ich, daß ich Deinen Brief habe, mit oder ohne Sicherheit, die liegt mir nicht schwer auf dem Herzen. – Nur denke nicht, mein Herz, daß ich von dem Roment an, wo Du mir schreibst: komm! nicht noch mehr wie 3 Tage etwa brauchte, um zu verkaufen, zu packen und abzureisen, ich werde dann möglichst eilen, aber der bessern Ordnung der Angelegenheiten zu lieb, und meiner Gesundheit wegen nichts übereilen. Welche Herrlichkeiten in München! Freue Dich daran, bis ich es mit Dir kann.

Hier gute Nachricht von Perthes, sonst ist kein Brief gegekommen, nicht einmal von Marcus.

Denke, daß Sturz gefährlich krank ist – die Masern sind bey ihm ausgebrochen...

Es ist wieder still von der allerhöchsten Ankunft, denn was Regensburg passirte waren nur Maulthiere – doch soll sie in künftiger Woche erfolgen.

Wenn wegen Erlangen noch eine Hoffnung ist, so schreib mir das doch, nicht unser, sondern anderer Leute wegen. In Landshut soll Theurung, Mangel sogar und Krankheiten herrschen. Der alberne Domvicar hat einen Artikel, worinn gemeldet wird, daß Röschlaub Dir den Krieg erklärt hat so gut wie die Italiäner. Röschlaub wird auch als ein wichtiges Haupt angenommen. Die Neugier der Freunde werde ich kaum zu beschwichtigen wissen.

Schlecht werd ich vielleicht die Deine in Ansehung von Fichtens Vorlesungen befriedigt haben, aber ich rechne darauf, daß es Dir nur einen Gang kostet, doch setze ich noch vollständig die Dich betreffenden Zeilen hieher.

„– Das kann der Gegner verlangen, daß man ihm in seinem Sinne widerspricht. Wir halten die Sache der Naturphilosophie nicht für die beste; vielmehr halten wir diese für einen Vorgriff in eine höhere Sphäre des Lebens, welchen künstlerischer Sinn und jugendliche Liebe, im Streite mit den eigenen und des Zeitalters philosophischen Einsichten, zum Bedürfniße machte, der aber nothwendig mislingen mußte, weil das Daseyende innerhalb dieser Weise des Daseyns die Genesis desselben unmöglich wiederholen und nachconstruiren kann: aber auch die beste Sache ist leicht zu wiederlegen, wenn man den Worten des Gegners einen Sinn unterschiebt, den sie nicht haben sollten“.

In einer bessern Welt wie diese wünscht man sich also mehr von Deinem werthen Umgang.