Caroline von Schelling, Band 2


An Schelling

Würzburg Freytag 9ter‒10 May 1806.

Heut habe ich Deine Aphorismen zur Einleitung meiner Reise erhalten, Du allerliebenswürdigster Freund, und bin nun so wohl angewiesen, daß es mir geht wie jemand, der sich überhaupt einen Weg bescheiden läßt, „dann schlage dich rechts, dann links“, das Vorstellungsvermögen kann gar nicht nacheilen, und der wohl zurecht gewiesene behält immer nur sein Ziel allein im Gedächtniß und sieht zu, wie er sich mit Gotteshülfe hin findet. Von allen Herbergen kann mir eine nur wieder Erquickung geben, wenn ich zuletzt in Deinen Armen einkehre. Wegen des Andern will ich denn schon sehn, daß ich einen der angegebnen Plane ordentlich und gescheut ausführe, die Liebeskind hat mir noch nicht geantwortet, ich bin da an nichts gebunden, indem ich schon vor ein paar Tagen ihr wieder schrieb, Du riethest mir über Augsburg zu gehn, was also meine kleinen Anschläge zu nicht machte – auch war ich so klug mir auf jeden Fall zu verbitten, daß sie mir so viel Ehre anthäte wie Dir. Doch werde ich wohl über Ansbach gehn und gab der Liebeskind Auftrag wegen eines Wagens von dort aus. Köhler möchte gar gern mit bis Augsburg, nous Geschäfte. Schellings Kissen o wie köstlich wird dieses ziemlich verschmähete kleine Sopha nunmehr von Deiner kleinen Frau geachtet werden! Übrigens habe keine Sorge, aus dem rechten tüchtigen Einschränken mache ich mir wieder einen Spaß, ich werde dieses Talent ja nicht ganz eingebüßt haben. Aber Du? – Nur das wünsche ich sehr, daß wir uns vors erste speisen lassen, und ich die Art von Sorglosigkeit üben kann, die man auf der Reise hat. Wo kriegtest Du denn auch eine Küche her? Oder hast Du etwas dergleichen, wo man Feuer zu Wasser machen kann?

Wie ich gestern in der Dämmerung saß und Thee erwartete, klopft es an meine Thür: ich rufe wiederholt und ziemlich laut herein, bin aber genöthigt selbst an die Thür zu gehn und finde – Gries, der leider mein Herein nicht gehört hatte. Nun, die Verwunderungen von meiner Seite kannst Du Dir denken. Er hatte, weil er uns lange weg glaubte, schon einige Stunden bey Paulus zugebracht, aber eben erst von ihnen gehört, nämlich ins Ohr gefaßt, daß ich noch da wäre, worauf er denn zu mir eilte, und, wie meine alte Theemaschiene gebracht wurde, ihr fast um den Hals fiel aus zärtlicher Dankbarkeit für die vielen Tassen guten Thees. – Ganz dick ist er geworden und sieht aus wie der Gnome, wenn man dem feine Wäsche und einen englischen Tuchrock anthäte. Er sagt, es wäre platterdings in Jena nicht mehr auszuhalten, alles wäre da todt und traurig, er geht nach Heidelberg, versteht sich. Den Winter über hätte er in einer Lethargie gelegen. Schelver lebte mit seiner Frau auf Einen Zimmer und mit sonst niemand. Hegel brächte sich so durch, man könnte nicht sagen wie. Er habe sich nun in der Verzweiflung aufgemacht; etwas mag wohl auf das Subject zu rechnen seyn, denn der gute Mensch ist sehr taub, und davon ist er gewiß so dick geworden. Goethe war mehrermal sehr krank im vergangnen Winter, an den alten Krämpfen, die von der Zerstörung einer der beyden Nieren herrühren. Er weiß diesen Umstand, und sagte einmal zu dem jüngeren Voß, der täglich bey ihm ist: „wenn mit der Himmel nur die gesunden Nieren von einem der Russen bescherte, die in der Schlacht von Austerlitz geblieben sind!“ Voß wußte nicht, ob er weinen oder lachen sollte über den Wunsch. Die Ärzte sagen, er könne doch noch lange mit einer halben Niere leben. – Es fiel mit ein nach dem Sonnenberg zu fragen, und mit dem ist es den richtig so, wie wir dachten. Er war verrückt und lebte bey dem Pastor in Drakendorf, die Ziegesars nannten ihn nur den Hrn. v. Sonnenstich. Da es schlimmer mit ihm wurde und er in seinen Zimmer verschlossen gehalten, stürzte er sich aus dem Fenster und so unglücklich, daß er auf Pallisaden traf und mitten durchs Herz gespießt wurde, aber doch auch so glücklich, daß er gleich todt war. Ein Leipziger Freund, Dr. Grupe oder dergl., hat ihm das schöne Denkmal in der Haller Zeitung gesetzt. Seine Gedichte sollen nichts wie baare Prosa und Verrücktheit eins ums andre seyn.

Nachdem der Gries dann eine Weile sich gelezt hatte, ging er wieder zu Paulus, wo er geladen war. Heute hat mir Shylok ein sehr honettes Compliment gemacht, er ging in die Bibliothek und ich war im Fenster und dirigirte die Besorgung des Fasses Betten. Gestern aß Klein bei Lurz – und dieser wußte die ganze Geschichte mit Shylok. Nun ist mir erinnerlich, daß Du es irgend jemand gesagt hast, von dem das Wiedersagen voraus zu sehn stand – aber ich weiß nicht mehr, wer es war. Lurz hat gesagt, den habest Du recht bezahlt – dann hat er Dich gelobt und mich! Ja, wenn man geht und kommt, ist alles gut, aber in der Mitte schläft die Erwartung ein. Das ganze Receptorat ist von der ausgesuchtesten Höflichkeit gegen mich. Ich wünsche, daß sie es noch thätiger beweisen mögen. Du zögerst aber so sehr mit der Petition, daß es am Ende nicht mehr vor meiner Abreise zur Resolution kommt. Der Kurator, der heut bey mir war, sagte, ich sollte es nur selbst aufsetzen, denn es müste doch an den Minister und könnte zu spät damit werden. Geschäfte.

Fuchs schreibt, daß Marcus viel nach Dir frage und mit wahrer Theilnahme, und er habe ihm erzählt, auch der Graf habe sich mit vielen Wohlwollen erkundigt, wie es doch mit Deiner Angelegenheit stände, noch ehe er nach Ansbach ging, und gesagt, wenn Du Dir nur einige Mühe gäbest, so würdest Du gewiß mit 2000 fl. bey der Akademie angestellt, die Beybehaltung des bisherigen Gehalts habe ohnedas keinen Anstand. Auch Fuchs widerholt als Äußerungen des Grafen jene Nachrichten, die Marcus gab.

10ten May.

Umzug. Die Kiste Nr. 1 enthält Deine Bücher, ein 40 Stück etwa sind noch zurück, worunter Plato und Böhme, auch Deine Papiere sind darinn – diese kannst Du ohne mich öffnen, wenn Du wilst. Die kleine Kiste enthält die Bilder: Deins und Augustens.... Klein erwirbt sich in alle Wege große Verdienste um mich und wird sich noch ganz zum Märtyrer machen. Einige Gutgesinnte der Sektion hatten proponirt bey jetziger Gelegenheit einen Dr. zu machen und Klein als den bey weiten würdigsten vorgeschlagen. Fischer hat dann geäußert, unmöglich könne man jemand zum Dr. machen, der sich für eine Sekte erklärt habe – zur Berathschlagung kamen er, Wagner und Rückert nicht. Hier widersetzte sich aber der Metz aufs pöbelhafteste, schrieb Bedingungen vor, die von allen andern verworfen wurden, er aber als sein Votum protocolliren ließ. Andreß widersprach ihm sehr, da aber nun die Rede von Unentgeldlichkeit wurde, wollte er hievon nichts wissen. Der Beschluß fiel dahin aus: wenn Klein 100 fl. und eine Abhandlung liefere, so könne er Dr. werden. Das will er nun nicht, und es wäre hübsch von Dir, wenn Du es ihm jetzt ernstlich in Jena auswirktest, wo er doch lieber 72 fl. als hier 100 daran wenden will.

Seuffert sollte nach München geschickt werden, es schien ganz beschlossen. – Nun geht er aber nicht, sondern ein Hr. von Frankenstein. Ich vermuthe, die Bayern haben ihn verbeten, denn sie erwähnte, die Bayern haben ihrem Mann das Compliment gemacht, daß er allein sie bey einer Mission in Verlegenheit setzen würde. Du sollst ihm doch bald schreiben.

Jes. Marie Joseph! da kommen wirklich die 270 fl. von Krüll. Die leg ich mir nun alle Nacht unter das Kopfkissen. Krüll bittet, daß ich Hochselben meinen Gemahl bald Nachricht davon ertheilen soll, und ich bitte sie bald Hochselben dem Hrn. Kr. zu ertheilen.

Daß sich ein Arm voll Holz im Hause befindet, dafür sorgst Du wohl, so wie für Bettstelle, 1 Tisch, Kommode zum Verschließen und Stuhl.

Bis morgen warte ich längstens. Morgen Abend setz ich in Ermanglung Deiner die Petition auf und reiche sie übermorgen früh ein. Heute ist wieder mein schlimmer, recht schlimmer Tag – ich kann kaum aus den Augen schaun. Sie sagen alle, ich würde nicht eher gesund, bis ich bey Dir wäre.

Von Ritters soller Rede hat mir Gries gesagt.

Ich werde eine kleine Quantität Caffee mitbringen – denn er ist gewiß in München noch theurer wie hier.

Da kommt auch Dein Brief mit den Petitionen, das ist recht gut. Was ich Dir nun heute noch nicht mit Gewißheit wegen des Modums meiner Reise sagen kann, sage ich Dir morgen. Ich will dieß nur schnell absenden.