Caroline von Schelling, Band 2


An Luise Wiedemann.

München am 30. Nov. 1806.

Eure Briefe sind nur 10 Tage unterwegs gewesen, und ich habe sie unversehrt erhalten zu einer Zeit, wo sie mir recht vom Himmel gesendet kamen. So viel wußte ich wohl, daß der Würgengel euch eben noch vorübergegangen hatte, aber die Zahl der Flüchtigen und die allgemeine Noth, fürchtete ich, werde euch sehr bedrängen. Gott wende wie bisher das Schlimmste von euch ab! Ich hatte gehofft, ihr solltet fast so sicher wie wir seyn, aber wer ist sicher? Nun sind in Deiner Nähe eben die entsetzlichsten Auftritte vorgefallen, zugleich freilich die ruhmwürdigsten in diesem schmachvollen Kriege. Fast alles, was Du mir meldest, hatte mir Schelling aus den tausend Zeitungen erzählt, die er auf dem Museum ließt, zu mir kommt fast keine. Du kannst Dir denken, mit welchem tiefen Gefühl der Zeit, in der wir uns befinden, er mir das vorträgt. Aus Jena und Weimar haben wir Briefe gehabt – Goethe schrieb an meinen Mann wie derjenige, der fest und unerschütterlich auch in solchen Stürmen geblieben – 72 Stunden brachten sie in der Todesangst gleichsam zu; Geld und Geldeswerth verschmerzt man, sagt er, wenn man nur das Theuerste und Liebste durchbringt. Öffentliche Blätter sagen, daß er sich am Tage der Schlacht mit der Bulpius trauen ließ – als wenn er Bande noch hätte knüpfen und fester anziehen wollen in einem Augenblick, wo alle Bande gelöst scheinen! – Sein Haus entging der Plünderung, weil sich gleich Marschälle da einquartirten. So sind auch Frommans ohne Plünderung durchgekommen, haben aber fast 8 Tage lang 130 Menschen zu bewirthen gehabt. Ich habe einen Brief von ihrem Bruder Wesselhöft gelesen, der in dem ehmaligen Schützeschen Haus wohnt, dem ging es desto übler; er war 3 Tage lang den Anfällen der Marodeurs ausgesetzt, wurde mit Frau und Hausgenossen bis aufs Hemde ausgezogen, gemißhandelt, mehr wie einmal hatten sie die Bajonette auf der Brust – am Morgen der Schlacht brach Feuer aus in der Johannisgasse, niemand konnte löschen, die Straßen waren versperrt durch nachrückende Truppen, ja niemand wollte löschen, es war, als wünsche man nur, daß alles untergehen möchte. – Der Brief gab ein recht treues und detaillirtes Bild der Tage, wo die Verheerung so plötzlich über die friedliche Gegend hereinbrach. Nach der Schlacht pflegte er denn noch viele Verwundete in dem geplünderten Hause, und mitten in dem Elend, in dem entsetzlichen Drange, wo der Mensch nur noch wie ein Thier zu würken scheint, gab es denn auch wieder Züge von Edelmuth, von Besonnenheit, oder aufheiternde Zufälle. So lief, wie sie gar nichts mehr zu essen hatten, ein Ochs in der Irre hinter ihrem Garten, den sie einfingen und Kriegsrecht an ihm übten und sich wieder erquickten. – Hegel ist geplündert, einem sehr guten Bekannten von uns, Schelver im botanischen Garten, ist es sehr arg ergangen. – Der alte Stark behauptet um 12000 rh. werth beraubt zu seyn, vermuthlich an Pretiosen. Unsre Bekannten in Halle sind auch schlimm daran, Steffens, höre ich, will nach Hamburg gehn. Mir ist für seinen Schwiegervater besonders bang gewesen, doch hab ich nichts deshalb gehört (er ist mit dem Minister, bey dem Luise Schr. ist, fortgegangen). Giebichenstein wird in den Berichten nicht genannt. In Jena und Weimar, wo sie nie den Muth verlieren und wie die Ameisen gleich wieder bauen, was eingerissen ist, denken sie nur sich auch hier wieder zu helfen, und alles zusammenzuhalten, in dem Sinn schreibt auch Goethe. Ihre größte Sorge mag seyn, ob sie unter der jetzigen Herrschaft bleiben. Gegen den Herzog ist doch noch keine harte Erklärung gefallen, und er hat vorläufig den Geschichtschreiber (Johannes Müller) an den Helden abgeschickt. – Das ist es eben, daß die schuldloseste und ruhigste Existenz jetzt nicht gesichert ist, und nicht bloß, wo sich der Strom des Kriegs hinwälzt, ist die Verheerung, ein jeder, der einem Staat angehört, wird erschüttert, oft mit den Wurzeln aus dem Boden gerissen. – Seit Du schriebst, ist unser Vaterland wieder in Besitz genommen, gebe Gott auf solche

Bedingungen, daß die Mutter nicht leidet. Doch sollte sie nicht mehr ausgezahlt werden, so müssen wir alles thun, um dieses bey den französischen Behörden zu erhalten, und ich zweifle auch nicht daran, da der Name Michaelis in Frankreich noch nicht vergessen ist. – Was Philipp betrifft, so scheint es mir nun eben so gut, daß Hufelands Wunsch für ihn nicht durchging Den künftigen Herrn von Hannover ahndet man wohl noch nicht? Hierüber zerbrech ich mir auch nicht den Kopf, wie die Beute der Welt ausgetheilt wird. Was liegt auch daran, denn wahrlich um keinen von den Regenten ist es Schade, die jetzt zu Grund gehn, dergleichen bekommt jedes Land leicht wieder Den tragischen Untergang des Braunen Braunschweigers nehme ich hievon aus, obwohl für das Land seine Nachfolger auch gleichgültig sind. Vielleicht hilft dem Bestimmten seine Verbindung mit dem Hause Baden noch zu einer andern Versorgung. Unser ältester Bruder aber – wie wird er die Katastrophe nehmen? Habt ihr Nachricht, so theilt sie mir mit. Schelling erzählt mir, daß der alte Herzog in die Gruft nach Braunschweig gebracht wird, daß sie dort anständig verfahren, das Theater geschlossen und Trauer angelegt wurde. Der Tag, wo der Leichnam ankommt, da bleibt gewiß kein Auge trocken. Wohl einem jeden Lande, das noch ein solches Gefühl hat und haben darf, das nicht ganz stumpf wurde und die, welche es in den Ruin brachten, auch noch verachten muß. – Alle Nachrichten stimmen dahin überein, daß die Verblendung und Dummheit auf der Seite der Preußen ins Unglaubliche gegangen ist, daß alles den Kopf verlor oder keinen hatte, Fehler auf Fehler gehäuft wurden, und noch jetzt! Die Übergabe aller der Vestungen! – Wir lesen jetzt die Geschichte des 7jährigen Kriegs, das war ein andrer Kampf wie dieser siebentägige. Oft alles verloren, aber dann durch den Geist wieder alles gerettet, der nicht unterging, der letzte Funken aus der Asche wieder angefacht und in helle Flammen verwandelt.

Du wirst mit eine große Liebe erzeigen, wenn Du nicht versäumst mir zu schreiben. Wohl möchte ich euch auch sprechen – so ein Brief kommt leicht einmal in den Moniteur, bisher aber ist mir noch keiner verloren gegangen. Worüber ich mich innig freue, ist, daß Wiedemanns Gehör hergestellt ist. – Ich muß Dir gestehn wegen Lottens Mann, wie Die ihn nennst, trug ich große Sorge aus mehreren Gründen – Du kannst mir nur kurz sagen, ob er über alle Gefahr weg ist. – Was machen Campens! Diesen muß Napoleon begünstigen. Campe kann ihm sagen, siehe, die Generation, die Du überwunden, die habe ich Dir dazu erzogen. – Ist die gute Meyer endlich von so vielem Leid und einer so kränklichen Hülle befreit worden? Die andre M. hat wohl nicht von mir gesprochen, denn was könnte sie sagen? Bald wird auch Hamburg besetzt seyn oder ist es schon Dein Wunsch wegen Altona möchte wohl nicht erfüllt werden, das möchte wohl mit Hamburg gehn. – Iffland hat sich unserm König angetragen man unterhandelt mit ihm. Überhaupt wird sich jetzt wohl wieder Mancher nach Bayern drängen. –

30. Nov.

Jacobi hat lange an Kopfgicht gelitten, Schelling hat ihn gestern zum erstenmal wieder seit vielen Wochen besuchen können. Die Katastrophe im Norden hat ihm gar nicht klar und begreiflich werden wollen. – Ich rathe Dir auch Reinholds Bekanntschaft zu kultiviren – ist es nicht das rechte, so ist es doch eine Anregung. Schelling ist Willens ein kleines Stück zu schreiben: Franzosenhaß und Reue in einem Auf zuge. Ist das nicht ein pikanter Gedanke? Meinau und Eulalia dazu erräthst Du leicht. Das nächstemal schreib ich der Mutter.

Die Huber hat jetzt die Biographie ihres Mannes verfertigt, ein absonderliches Kunstwerk im Auslassen und Verschleiern, das mir übel und wehe gemacht hat.

Grüße die Kinder – daß sie bey mir seyn könnten. Wenn die Welt jetzt ruhig wär, so würde ich es noch härter empfinden, daß ich so weit von euch bin – und das, was ich einst besaß, so weit von mir. Aber das allgemeine Weh verweißt alle meine Schmerzen zur Ruhe.