Caroline von Schelling, Band 2


An Pauline Gotter.

München Montag am 24. Aug. 1807.

Der lange Weg zwischen Gotha und München fängt an so frequent zu werden, daß wir bald uns lauter mündliche Gesandten zuschicken können. Von dem, welchem ich dies Beglaubigungsschreiben mitgebe, wirst Du aber wohl mehr Auskunft erlangen, als es der Zufall wollte, daß mir die Deinigen geben konnten, liebste Pauline, die ich nur im Fluge sah, indessen war es mir genug, daß sie Briefe mitbrachten, die ich ohnedas wohl nicht so früh erhalten hätte. Frau von Fladt (Weishaupts Nichte) führte Hrn. Schlick und seine Tochter zu mir – es war aber niemand zu Haus, so daß ich nichts von dem Besuch erfuhr, bis am andern Morgen wir ganz zufällig einen Fremden begleiteten um die aus Paris gekomne Kronen unsres Königs und Königin nebst Schwerdt und Apfel zu sehn – indem wir da weggingen, kamen auch Schlicks und jemand, der bei ihnen war, nannte uns. Zum Glück hatte die Caroline den Brief bei sich, ich lud sie ein zu mir zu kommen, sie wollten auch, aber die Zeit fehlte. Schelling aß am folgenden Mittag mit ihnen bei Pappenheims, und es war die Abrede, daß sie von da zu uns kämen, aber nun entschied es sich, daß sie in der Nacht noch mit dem Kammerherrn von Herdta weiter gingen, die Caroline muste packen, und ich sah sie nicht mehr, wovon ich Dir diese weitläuftige Rechenschaft gegeben, damit Du nicht meinst, ich habe sie vernachlässigt. Es fehlte ihnen hier übrigens nicht theils an gothaischen, theils an musikalischen Freunden. Bei Schlicks Anblick habe ich mich erinnert, wie schön der Mann damals war, wie die Mutter und ich noch ganz jung waren. Warum hat ihm die Natur nicht auch eine schöne Tochter gegeben?

Um den Durchzug Napoleons habe ich euch nicht sehr beneidet, ob mir schon zuweilen der Wunsch kommt ihn doch auch einmal zu sehn, um ihn lieber zu gewinnen. Jedermann sagt, daß sein Anblick etwas versöhnendes habe. Für mich ist er immer nur noch das personnificirte Schicksal gewesen, das ich nicht hasse und nicht liebe, sondern abwarte, wohin es die Welt führt.

Wie muß ich euch aber, ihr guten Kinder, bedauren, daß ihr euer Herz an die Riepenhausen gehängt habt. In diesen Tagen ist wieder jemand bei uns gewesen, der euch bekannt ist, der Baron Rumohr, dem es an einem schönen Morgen einfiel von Lübeck nach München zu reisen. Wir haben seine Bekanntschaft hier erst gemacht, und ob der Mensch gleich wunderlich ist und noch nicht die gehörige Konsistenz hat, so sind wir ihm doch sehr gut geworden, und er uns fast mehr wie gut. Er ist ungern geschieden, und wir sehn ihn vielleicht auf längere Zeit wieder. Ihr wißt nun unstreitig, wie tief er sich mit den Riepenhausens eingelassen hat, er hat sein Geld, seinen Glauben, seine Hoffnung an ihnen verschwendet, indem er wähnte die Kunst in ihnen neu erstehn zu sehn. Nun haben sie ihm nicht allein mit Bübereyen gelohnt, sondern er ist auch überzeugt worden, daß sich ihre Kunst auf ein sehr mittelmäßiges Talent beschränkt. Er behauptet, daß die Studien, aus denen er für sie das Beste geschlossen, Arbeiten von Hummel waren, daß sie nicht im Stande sind irgend etwas tüchtiges zu machen. Ihre Frömmigkeit hat er so hohl und leer gefunden wie ihre Arbeiten. In der That sind die Umrisse zur Genoveva, die ihr vermuthlich kennt, von beiden ein Beweis. Zwischen Reminiscenzen aus alt deutschen oder florentinischen Gemälden finden sich auch dergleichen aus englischen Kupferstichen, und es sieht das Ganze aus wie eine moderne Maske antiker Sitten. – Rumohr hat in der Kunst ächte Kenntnisse und Ansichten, mit Freuden haben wir hier in seiner Gesellschaft die Gallerien gesehn, und er hat mit Schelling schöne Dinge geredet. Sch. hat sich überhaupt seiner väterlich angenommen, und es wäre auch Schade, wenn diese reine Seele aus Mangel eines stärkeren Freundes und aus einem Überfluß an Mitteln zu einer schönen Existenz zu Grunde ginge. Ganz durch sich selbst kann er für jetzt noch nicht bestehn.

Schwarz erzählte uns unter andern, daß Rumohr die Tugend der Riepenhausen einmal auf die Probe setzen wollte und sie sehr schwach befand, worüber wir sie weiter nicht verdammen wollten, wenn sie nicht vorher so sehr die Heuchler gespielt hätten, was denn auch Rumohr daran indignirte. Ihr schlechtester Zug aber ist ein ewiges Verläumden andrer und zwar der vertrautesten Freunde und Wohlthäter. Habt Ihr nun genug um sie als rechte Reuegaten zu erkennen?

Sage der Mutter, mein jüngster Bruder habe mir eben geschrieben, daß er den alten Freund Meyer auf einer Reise von Harburg nach Kiel einmal wieder in seiner Zelle zu Bramstede besucht hätte, wo selbiger sein wiziges Leben mit wizigen Worten und ganz vergnüglich fortführe. Schröder hat nicht weit davon sein Landgut. Dem Kinde von Meyers Haushältern wurden eben die Kuhpocken eingeimpft, auch schien ihm eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Herrn des Hauses schon früher eingeimpft worden zu seyn. Doch verzeih, liebe Pauline, es will sich kaum schicken Dir solche Frivolitäten mitzutheilen.

Laß Dir von Schlichtegroll dagegen recht viel ernsthafte Dinge von der nunmehr eingesetzten Akademie erzählen, er weiß natürlich mehr davon wie ich und ist in ihre Geheimnisse eingeweiht. Mich soll übrigens doch wundern, wie sich das gesammte München in seinen Erzählungen ausnehmen wird, denn wer noch nie so weit ins südliche Deutschland hinein wohnte, dem muß es fremd dünken. Jacobs würde das indeß noch stärker empfinden, da er kaum etwas anders wie Sachsen gesehn hat. Schelling würde sich aber sehr freuen, wenn Jacobs käme und der Jugend mit aufhelfen wollte durch Bildung von Lehrern. Denn da fehlts am wesentlichsten, sie wollen hier viel Gutes, fangen nur nicht bei der Wurzel an.

Wegen der Titulaturen will ich euch für künftige Zeiten noch folgendes bemerken, was auch zur Sitte des katholischen Deutschlands gehört. Wir sind hier nicht Frau Professorin, indem unser Gemahl nicht dergleichen Amt mehr bekleiden, führen überhaupt aber keinen Titel als den von Frau von Schelling – gleichgeltend Mad. S. in Sachsen. Hier ist alles Frau von und gnädige Frau, was den Rang hat, den ZB. die Academiciens haben, den der ersten Räthe des Landes. Der Hr. Academicien heißt, wenn er nicht ein höheres Amt außerdem bekleidet als Geheimerath rc., Herr von. Bis jetzt ist ihnen noch kein ausschließender Titel zugetheilt worden. – Auch die Professoren der Universität haben jenen Rang, und nennen sich in Landshut ZB. alle Hofräthe. In Würzburg aber keiner anders als Professor, daher Schelling sich nun gern alles Titels begiebt, denn Professor ist hier in der Residenz, und da alle die Leute am Gymnasium, Liceum und Cadetteninstitut bis auf die Tanzmeister so heißen, etwas tief bürgerlichs, das wir uns verbitten müssen. Ihr wäret hier die drei liebenswürdigen und geistreichen Fräulein Gotter, wie Fanny und Fritze Wiebeking ganz und gar Fräulein sind, nur keine geborne. Schlichtegrolls Frau wird Frau von Schlichtegroll seyn! Ich hoffe, er nimmt seine Uniform mit, damit Du die von Schelling daraus kennen lernst. Schlichtegroll hat gar noch ein paar Flittern mehr darauf, weil er als Secretair die Benennung Director führt. Sieh, ich habe gedacht, weil diesmal der Brief kein Porto kostete, so könte ich Dir schon solch Zeug darinn schreiben, das keinen Kreuzer (oder drei Heller) werth ist, Dir doch aber über unsre Sitten solche Aufschlüsse giebt, wie sie Kotzebues Stücke etwa über Wien geben.

Grüße nun die Fräulein Schwestern, und Deine gnädige, noch mehr aber gütige Mutter herzlich von mir. Besorgung.

Lebt recht wohl!