Caroline von Schelling, Band 2


An Luise Gotter

München 9ten März 1808.

Früher hätte ich Dir gedankt, meine theure Freundinn, für Deine gütige Besorgung, aber ich bin indessen mit Seele und Leib auf eine Weise beschäftigt gewesen, die alle Aufmerksamkeit von freundlicheren Dingen abgewendet hat. Vielleicht weißt Du schon, welche Antwort ich Dir auf Deine Nachfrage nach den Meinigen zu geben habe; meine Mutter ist am 5ten Febr. in Kiel bei meiner Schwester gestorben, während diese eben in Wochen lag, und die Mutter nicht mehr sehn und bedienen konnte. Auch mein Bruder Philipp wurde durch die Menge seiner Kranken verhindert sie noch durch seinen Anblick zu erfreuen. Diese Umstände haben mich sehr betrübt. Wir hatten ihr kein längeres Leben mehr zu wünschen, weil wir es ihr nicht mehr versüßen konnten, eine unüberwindliche Niedergeschlagenheit des Geistes bei außerordentlicher Besonnenheit und Regsamkeit desselben hätten viel günstigere Ungebungen als die, in denen sie sich befand, zu Schanden gemacht, das ist mein Kummer in diesen letzten Jahren oft genug gewesen, auch wünschte sie sich selbst den Tod, aber Du begreifst leicht, wie der Schmerz um ihr freudenloses Leben bei ihrem Tode mich heftiger befiel, und zugleich aus seinem leichten Schlummer alles andre in mir geweckt wurde, indem das letzte Band hinter mir nun auch zerschnitten ist wie alle vor mir. – So hat denn dieser an sich dem natürlichsten Lauf der Dinge gemäße Fall fast in mir selbst einen Lebensfaden mehr zerrissen, was ich beinahe körperlich empfinde und Dir nur gelinde ausdrücken will. Gleich darauf wurde ich krank an einer Halsentzündung, die 2 Tage lang auf dem höchsten Grad stand, doch besserte es sich schnell, indessen habe ich das Zimmer noch nicht wieder verlassen. Es ist bei heitern Himmel sehr kalt hier und scheint auch sobald darin nicht nachlassen zu wollen, so tief wir im März sind....

Ach Liebe, ich habe Dir oft schon gesagt, ohne die seltsame Ungewißheit unsrer Lage hätte ich schon lange eine von den Deinigen bei mir sehn müssen, aber wir haben hier immer gelebt wie der Vogel auf dem Zweige, ohne alle Einrichtung, eben nur das Nothdürftigste an Mobilien und dergl. Es wollte sich noch nicht anders machen, doch hoffen wir, daß sich die Umstände bald so wenden werden, wie wir es lange wünschen, wovon Du aber nichts erwähnen mußt, damit es nicht an unsre Landesleute kommt. Deine kleine Schule hat mir nur die Idee recht lebhaft wieder gemacht, daß wir Dich mit Deinen Töchtern herberufen sollten; wie gut könnten wir das brauchen. Hierinn sind auch die Landsleute alle einstimmig, und die Sache würde auch eben nicht allzusehr einer Chimère gleich sehn, wenn nur einmal ein glücklicher Moment könnte erhascht werden. Zwar schreit man hier sehr über den Zuwachs von Ausländern und Protestanten, worüber denn viel und mancherley zu sagen wäre. Jene stellen sich auch gar sehr als Ausländer und Protestanten an. – Bei alle dem wäre nichts dem Bedürfniß angenießener als eine Frau wie Du, die unter dem Schutz der Königin etwa und mit etwas Gehalt zu ihrer Sicherheit, eine Unterrichtsanstalt für junge Mädchen, vielmehr Kinder, eröffnete. –

Es ist sehr wahr, daß der feinsinnige Jakobs einige Monat hindurch so angegriffen war, daß er sein Heinweh niemand verbergen konnte und seine Lustigkeit, wenn er sich zuweilen dazu forcirte, wie die helle Verzweiflung aussah. Besonders wenn er sich einmal in die Carnevalsbelustigungen verirrte, so war der Mann ganz unglücklich, die Gesichter kamen ihm wie Masken und die Masken wie Gesichter vor; ich sagte Dir schon früher, daß ich vermuthete, Jakobs würde sich am wenigsten finden. Die verwickelten Verhältnisse, das Gefühl, nachdem man sein Lebelang einheimisch gewesen, für einen Fremden zu gelten, manches auch, was ihn in der Lage des Staates (mit Unrecht) schreckte, das setzte ihm heftig zu – die gute Frau ist, vollends mit ihrer Kränklichkeit, nicht dazu gemacht dergleichen kräftig zu verscheuchen, doch ist es jetzt schon viel besser mit ihm, und ich denke, er wird es ganz überwinden. An dem Muth und den Schmeicheleyen der Mad. Schlichtegroll hat es nicht gelegen, wenn er nicht geheilt wird, diese ist ganz glücklich, immer auf und in Freuden, keinen Tag zu Hause, wenigstens nicht allein, und allenthalben mit überflüßig gutem Willen ausgerüstet sich zeigend, alles mitzumachen, was die lustige und junge Welt treibt. Sie giebt unaufhörlich Gesellschaften, besorgt ihr Hauswesen mit dem liebenswürdigsten Leichtsinn, unterhält die Leute mit ihrem Witz, während es Särchen überlassen bleibt sie solider zu bedienen. Der Mann aber geht ganz gedrückt und besonders sehr bedenklich umher, ob er auch nicht hie und da anstoßen möchte, er hat wenig frohe Zeit bei seinen Posten, und fängt ihn, glaub ich, an bange zu werden, ob er ihm auch gewachsen sey. – Wirklich am meisten zu kämpfen wird Hamberger haben, es scheint ihm aber nicht an der dazu gehörigen Derbheit zu fehlen. Ihre Erscheinung ist aber nicht dazu gemacht um das Vorurtheil gegen den guten Geschmack der Gothaner in Absicht auf Kleidung und äußerliche Darstellung zu widerlegen. Sie sieht ganz aus wie eine alte Hoffängerin oder französische Gouvernante, und man behauptet, sie trage eine lila Perücke. Die Schlichtegroll hat schon fast in ihrem Aussehn gewonnen, fängt an stark zu werden, legt seineres Rouge auf, Schmuck um den bloßen Hals und des stark werdens sehr bedürftigen Busen, einzelne Mayblümchen blühen in seiner Mitte hervor. Doch das alles ist Lästerung, Deinen muthwilligen Töchtern zu lieb....

Schelling grüßt euch herzlich. Ich hoffe, Ihr befindet euch jetzt sämmtlich wohl.