Caroline von Schelling, Band 2


An Luise Wiedemann.

München, Mitte März 1809.

Unsere Briefe sind sich begegnet, liebe Luise, und es kann wiederum der Fall seyn, aber ich mag jetzt mit dem Schreiben nicht säumen, da man nicht wissen kann, wie bald die Wege versperrt werden. Vielleicht geht es auch ohne dergleichen ab; wir sind darüber noch in einer solchen Ungewißheit in der Nähe, wie man in der Ferne sichs schwerlich vorstellt. Alle äußersten Anzeichen des Krieges sind da; der französische Gesandte hat Wien verlassen, der hiesige österreichische Gesandte, Graf Stadion, der in Göttingen einst studirte, ist von hier abgereiset, die Truppen sammeln sich; es heißt, daß am 20sten Franzosen hier einrücken werden. Anfangs glaubte man, die aus eurer Gegend unter Pontecorvo, es scheint aber, es werden die unter Davoust seyn. Bei Hof ist von einer Abreise nach Mannheim die Rede, auch wird die Gemälde-Gallerie wieder eingepackt. Bei unsrer Nachbarschaft mit Oesterreich muß man sich freilich wohl auf die Möglichkeit gefaßt halten, daß der Feind einmal vorbringt, so ruhig man über den Ausgang überhaupt seyn kann. Übrigens gestehe ich gern, daß mit nicht wohl zu Muthe ist bei dem nächsten Detail, ich bin zu unbekannt mit dieser Kriegesnoth, denn seltsamer weise waren wir so situirt, daß ich im langen Laufe dieses Krieges nur in Würzburg einmal zwei ehrliche Baiern zu bewirthen gehabt habe und ein paar Böhmen, die so unschuldig waren beim Abschiede zu fragen, was sie schuldig wären. Hier kann die Last ernstlicher werden, die Ausgaben beträchtlich; wir können dazu in den Fall kommen eine Zeit lang nicht bezahlt zu werden. Ich habe auch Philipp geschrieben, daß er mit ja für Geld sorgt, welches ich in diesem Augenblick am nöthigsten unter euch braucht. Daß bei diesen Umständen wieder nicht an die südliche Reise zu denken ist, siehst Du wohl; ich habe große Sorge, mit wird es wie Moses gehn. Wie gern möcht ich Dich einladen, wenn ich hoffen könnte, daß es nicht leere Worte blieben. Du bist eingeladen, sobald Du kannst und willst, beherbergen kann ich euch alle, so wie wir jetzt wohnen. Es wäre denn doch keine Unmöglichkeit von eurer Seite, ihr habt am Ende mehr Mittel zu solchen Ausflügen als wir und kühnere Entschlüsse. Familienangelegenheiten. Wir hatten hier den Frühling schon einmal, jetzt liegt wieder Schnee, und trägt nicht dazu bei unsere nächsten Aussichten freundlicher zu machen. Krankheiten herrschen in Menge. Diese Woche starb das schönste Mädchen in der Stadt und das einzige Kind ihrer Eltern, die ihr Herz von ihrer ersten Jugend an an sie gehängt hatten, denen sie oft der einzige Trost gewesen, die sich in allen Bedürfnissen eingeschränkt hatten um sie zu erziehn; sie sind selbst noch nicht bejahrt, die Tochter war 17 Jahr. Es hat mir die Brust schmerzlich zusammengedrückt ihrer Verzweiflung zu denken, die durch kein übrig bleibendes Interresse des Geistes und Herzens, so wie sie übrigens beschaffen sind, gelindert werden kann. Es sind Emigrés, obwohl beide von deutscher Abkunft, ihre Umstände sind oft kümmerlich gewesen, aber ihre Lage war jetzt gut, und durch die Tochter hingen sie mit dem glänzendsten Theil der hiesigen Welt zusammen. Der Stolz, der sich in die Liebe mischte, war verzeihlich. Bei dem Vater fand eine wahre Anbetung der Tochter statt, so daß er auch gar nicht strebte sie zu verheirathen. Das Mädchen war wirklich sehr schön und sittsam. Eine freudenlosere unnützere Existenz wie die dieser armen Eltern läßt sich nicht ersinnen, zumal da die Mutter mit dem noch sehr raschen Vater nur durch das Kind noch zusammenhing, und an Trost von oben herab auch nicht wohl bei ihnen zu denken ist.

Bey Tieks ist noch alles krank. Ich meine Dir letzthin schon über sie das Gehörige geschrieben zu haben. Ob sie katholisch geworden oder nicht, kann ich nicht bestimmt beantworten, ist aber auch nicht nöthig, was den förmlichen Übertritt betrifft. So viel ist gewiß, daß sie ein förmliches Commerce damit getrieben haben, indem dem päbstlichen General Vicar der Antrag von ihnen geschah, sie wollten für eine Pension alle deutschen Künstler in Rom zum Übertritt bewegen; die Pension sey nehmlich deswegen nöthig, damit sie ein Haus damit machen und die Leute an sich locken könnten. Der Pabst hatte aber andre Sorgen. Tiek ist sehr miserabel, indeß es ist unmöglich reines Mitleid zu hegen, sein Gesicht, das nun alles Wohlseyns und geselligen Freundlichkeit entkleidet ist, bringt selbst geheime Tücke und Wuth an den Tag. Der Bildhauer bleibt noch aus, auch Knorring. Der Krieg kann diese Menschen hier noch sehr bedrängen, indem sie von allen Geldressoren abgeschnitten werden. Freilich wenn die Oesterreicher herkämen, so würden sie gloriiren; sie haben sich gänzlich dem Hause Habsburg ergeben und hoffen, Deutschlands Heil werde sich von daher entwickeln. Übrigens sind alle diese Hoffnungen und Glauben und Lieben nur poetisch bei ihnen zu nehmen, sie machen sich wenig aus Gott und Welt, wenn sie sich nur recht in die Höhe schwingen können und das Geld nicht mangelt. Ich habe nie unfrömmere, in Gottes Hand weniger ergebne Menschen gesehn als diese Gläubigen; besonders ist in der Schwester ein durchaus rebellischer Sinn, so daß man sich dadurch geneigt fühlt, auch das, was sie nicht unmittelbar selbst verschuldet, sondern durch Krankheit und dergleichen über sie verhängt wird, für ein Gericht des Himmels zu nehmen. Die drei Geschwister, jedes mit großen Talent ausgerüstet, in der Hütte eines Handwerkers geboren und im Sande der Mark Brandenburg, könnten eine schöne Erscheinung seyn, wenn nicht diese Seelen und Leib verderbliche Immoralität und tiefe Irreligiosität in ihnen wäre. Die Bernhardi hat einen Knaben von 6 Jahren; dem ist das Beste, was sie haben, eingeboren, so weit sich das jetzt beurtheilen läßt; ein herrliches Kind, das mir oft noch das Herz für sie beweget und das Schelling über alle Maße lieb hat. Da sich so ein Kind mehr durch Rede wie durch Handlungen rühren läßt, indem es die letzten nicht übersieht und einsieht, so hat er auch nur allen Hönig der Rede in sich gesogen; ist durchaus edel in Gesinnung, heroisch und tapfer, spricht und drückt sich aus über seine Jahre, dabei hat er das mimische Talent seines Onkels, und eine unglaubliche Gewandtheit und Anstand des Körpers. Es ist etwas von einem Komödianten in ihm, doch gewiß auch ein tieferes und sehr gutes Prinzip, möge es der Himmel behüten! Es thut ihm freilich jetzt schon Schaden, daß er so oft die bittern und heftigen Ausfälle gegen andere Menschen, welche gegen seine Mutter gefehlt haben, in ihrem Sinn, anhören muß und vielleicht obendrein angewiesen wird, sich nichts davon merken zu lassen. – Neben allen seinen Planen, die sich auf die Wirklichkeit beziehen, hat er auch den Kopf voll von Poesien, die er für wirklich hält, er ist fest überzeugt, daß sein Oheim und der König Rother viele Riesen zusammen todtgeschlagen haben und Rothkäppchen vom Wolfe gefressen worden, der sich als ihre Großmutter anstellte. Ein Dichter will er nicht werden, sondern ein Feldmarschall, und da ihm Schelling das Dichterleben anpries, sagte er – wie? Du wolltest nicht lieber Deine Finger mit Blut als mit Dinte gefärbt seyn? – und das war eine Combination, die ganz aus ihm selbst kam. – Auch dieser arme Knabe ist sehr krank gewesen. Er heißt Felix und hat braune Augen und blondes Haar, wie die Mutter, vom Vater keinen Zug, so daß er eigentlich keinen Vater zu haben scheint, auch weiß er nicht, daß er einen hat. Bernhardi ist nur der dicke Herr für ihn. Den ältesten, den dieser mitgenommen, scheint sie schon vergessen zu haben. Von Tieks Frau ist nie die Rede, die Bernhardi haßt sie so, daß sie, wie sie mir sagte, ihren Bruder nicht nach ihr gefragt hat. Mir sagte er zu Anfang, sie wäre bei ihrer Mutter in Schlesien und er hätte noch eine kleine Tochter bekommen. Nach der Bernhardi ihren Insinuationen hat die Tiek während ihres Mannes früherer Abwesenheit mit Burgsdorf gelebt, auf dessen Gute (Ziebingen) Tiek auch nachher sich ernähren ließ. Sie behauptet, daß dort überhaupt eine Art von Gemeinschaft der Weiber eingeführt war. Drei Gräfinnen Finkenstein wohnen in der Nähe, aber unverheirathet. Friedrich Schlegel nannte daher T. den Hausfinken. Wie es damit steht, weiß ich nicht, habe auch nicht Ursache von der Ungeschmeidigkeit der Tiek ähnliches zu vermuthen, bei alle dem sollen sie so gut wie getrennt seyn. Wo T. von hier hin gehn wird, sehe ich auch nicht ab, da Burgsdorf heirathet, was solchem guten Leben ein Ende macht. Es ist wohl möglich, daß sie mit Ansiedelungsplänen hergekommen sind, aber sie haben sich bald um die Möglichkeit des Gelingens gebracht. Wunderbarerweise hat T. da einen Beschützer gesucht und gefunden, wo man es am wenigsten erwarten konnte, in Jakobi nämlich. – Von Große habe ich auch nie etwas gehört. Er muß sich ganz im Gedränge verloren haben. Von der Nuys auch seither nichts; schwerlich wird sie aber unter den jetzigen Umständen in Wien geduldet werden, da sie sich auf den Schuz des französischen Gesandten gegen die Polizei schon einmal berufen hat. Friedr. Schlegel ist auch in Wien, er ist wie zum katholischen Glauben zum Hause Oestreich übergetreten. Wilhelm scheint doch unter seiner Aegide, das heißt unter der Aegide seiner Pallas, protestantisch zu bleiben, so gläubig er sonst gegen seine Freunde gesinnt ist, aber hier geht eben Glauben gegen Glauben und Einfluß gegen Einfluß auf. Dennoch ist er der reinste von allen diesen – den ach wie sind jene von der Bahn abgewichen, wie haben sie sich sämtlich durch Bitterkeit gegen die Schicksale bestimmen lassen, die sie sich doch selber zugezogen! Friedrich hat die Anlage ein Ketzerverfolger zu werden – fast soll er schon fett, bequem und schweigerisch wie ein Mönch seyn. Ich habe sie alle in ihrer Unschuld, in ihrer besten Zeit gekannt. Dann kam die Zwietracht und die Sünde, man kann sich über Menschen täuschen, die man nicht mehr sieht, noch Verkehr mit ihnen hat, aber ich fürchte sehr, ich würde mich auch über Friedrich entsetzen. Wie fest, wie gegründet in sich, wie gut, kindlich, empfänglich und durchaus würdig ist dagegen der Freund geblieben, den ich Dir nicht zu nennen brauche.

Constant hat aus den drei Wallensteinen Einen schlechten fabrizirt, in Gehalt und Versen unausstehlich. Das nennen sie nun den Deutschen einen Dienst erzeigen und auch Wilhelm Schlegel behauptet, man müsse ihm dankbar dafür seyn. Das redt er gegen sein Gewissen. Constant hätte sich nicht an etwas Poetisches machen sollen, er scheint ganz unfähig dazu, und nur von der sittlichen Seite erkennt er die Deutschen.

Es ist mir eine gar angenehme Aussicht ein Häubchen von Dir zu bekommen, eine Sache, die ich immerwährend bedarf, indem ich mich schier nicht anders mehr leiden mag – und dann freut es mich recht, daß Du Dir die Mühe genommen, dergleichen für mich zu verfertigen. Du könntest sie wohl grade zu schicken – Perthes hat auch weiter keine Gelegenheit, denn die Weltseele, die er zum drittenmal auflegt, wird in Jena gedruckt.

Jemand, der aus Wien kommt, sagt, daß alle Truppenbewegungen über Böhmen und nach Italien zu gehen, hieher ganz und gar nicht. Die Gallerie in Dresden ist auch schon eingepackt.

Die Liebeskind ist nun hier etablirt mit Mann und vier Söhnen. Der Himmel weis, sie ist nicht anmuthig, sehr alt und häßlich. Geistreich habe ich sie nie gefunden. Übrigens bringt sie sich überall glücklich an und durch.

Lebe wohl, ich habe viel heute geschwazt und erwarte nun bald von Dir wieder zu hören, besonders daß ihr alle gesund seid. Ich umarme die Kinder.

Was Wiedemann nächstens wird, habe ich nicht recht lesen können – War es Rektor, nehmlich Prorektor?