Sie wissen es nun bereits, verehrteste Freundin der ewig theuren Caroline, daß die beste, geliebteste Frau für dieses Leben nicht mehr ist. Ihnen als ihrer treuesten Freundin hätte diese betrübte Nachricht billig nicht zuerst durch Fremde zukommen sollen; aber der unsägliche Schmerz erlaubte mir kaum den Einen nöthigsten Brief an den Bruder in Haarburg zu schreiben: noch immer fehlt mir die nöthige Fassung, und ich weiß nicht, wie ich im Stande sein werde, Ihnen auch nur die Hauptumstände zu melden. Doch ist der Gedanke, an Sie zu schreiben, tröstend für mich. Ich weiß, auch Ihre Thränen fließen bei dem schmerzlich-süßen Andenken, wie die Ihrer lieben Töchter. Auch Sie alle haben eine Freundin an ihr verloren, wie es keine oder wenige giebt – und Sie begreifen meinen Schmerz, Sie können anden, wie viel ich verloren habe. –
Caroline wünschte mit wahrer Sensucht die Reise nach dem Würtembergischen; sie bedürfte der Erholung: zwey Monate hatte sie meiner gewartet, da ich fast seit dem Frühling krank war. Die sonstige Ordnung hatte sich verkehrt: immer besorgt für ihre Gesundheit wurde ich nun der Gegenstand ihrer Sorgen – nach die viele Mühe, die ihr meine Wartung verursachte, hat ohne Zweifel die Schwäche vorbereitet, die der Krankheit nachher so schnelle Wirkung verstattete. Wir verließen München am 18. August, sie fröhlich, heiter, wie immer auf der Reise, ohne Anstoß in ihrer Gesundheit; wir eilten über hier nach Maulbronn, einem würtembergischen Kloster, dem Aufenthaltsort meiner guten Eltern, bei denen ich vor 6 Jahren mit Caroline fast den ganzen Sommer gelebt hatte und denen sie äußerst lieb und ergeben war.
Mich hat auf der ganzen Reise ein drückend schmerzliches Gefühl begleitet, das ich mir nicht zu erklären wußte, wie ich den ganzen Sommer mehr gemüths- als körperlich krank war: ihr Tod hat eine schreckliche Klarheit auf dieses wunderbare Gefühl geworfen. Sie schien wenigstens keine bewußte Ahndung zu haben: das Einzige, was alle meine Verwandte bemerkten, war, daß sie diesmal so ganz besonders liebevoll und zärtlich gegen alle war, recht als ob sie noch mit ihnen abletzen wollte allen schien sie wie verklärt zu sein und schwebt ihnen jetzt nach ihrem Tode wie ein göttliches Wesen vor. Auf einer kleinen Nebenreise von Maulbronn aus – in eine der schönsten Gegenden dieses Landes – die auch ihr Wunsch war, die aber – ach! ich bin es nur zu gewiß – mit zur Erschöpfung ihrer Kräfte beitrug, so sehr sie sonst durch Bewegung und Reisen gestärkt wurde – auf dieser ganzen Reise war sie auf eine wunderbare Art still und in sich gekehrt, wenn gleich bei dem äußeren Ausdruck der völligsten inneren Heiterkeit. Hundertmal trieb es mich, sie zu fragen, warum sie so still sei, und immer wurde ich durch die Gesellschaft daran verhindert. Ich sehnte mich innig, mit ihr wieder allein und zu Hause zu sein: aber wenige Stunden nach der Rückkehr zeigten sich auch die ersten Anfälle der Krankheit.
In der Gegend von Maulbronn hatte schon seit einem Monat eine epidemische Ruhr mit Nervenfieber grassirt: nur Maulbronn war bis zu unsrer Ankunft noch immer verschont geblieben. Erst am zweiten Tag unsres Daseins wurde die Frau eines dortigen Professors Pauli davon ergriffen. Noch vor 3 Jahren hätte ich bei der ersten Nachricht davon den Unglücksort verlassen und Caroline gerettet. Damals wachte ich beständig über sie und beobachtete jeden Schritt, der ihr gefährlich werden konnte. Seitdem sie in der gesunden Luft Münchens neu aufgeblüht ist und so stark und gesund geworden war, daß sich alle meine Verwandte beim Wiedersehen darüber verwunderten, seit dieser Zeit war ich sicherer geworden und überließ sie in Allem ihrer natürlichen Freiheit. Bei der Rückkehr von jener Reise war ihre erste Frage: was die gute Professorin Pauli machte, (die sie übrigens nie gesehen hatte, an der sie aber vielen Theil nahm). Die Antwort war: sie sei gestern gestorben! – Einige Stunden nachher kamen die ersten Anfälle mit einigen schnell auf einander folgenden Ausleerungen: Caroline scherzte noch selbst darüber und fürchtete nichts; auch wurden durch die Anwendung der gewöhnlichen Hausmittel die Anfälle vor der Hand zurückgehalten; aber spät am Abend stellten sich Schmerzen und Fieber ein und schon am andern Morgen, da ich frühe vor ihr Bette trat, sagte sie zu mir die Worte: „Ich fühle die Destruction solche schnelle Fortschritte machen, daß ich glaube, ich könnte diesmal – sterben!“ Ach, sie hatte nur zu wahr geredet! – Schon der erste Anblick, die auffallende Veränderung ihres Gesichts zeigte die Heftigkeit der Krankheit: ihr Puls setzte mich in den äußersten Schrecken. Ich redete ihr den Gedanken aus, ob ich gleich meine Bestürzung nicht ganz verbergen konnte, Alles zeigte, daß sie von der unseligen Krankheit ergriffen sei. Von diesem Augenblick an wurde alles aufgeboten sie zu retten. Ich übergab sie dem Maulbronner Arzt, einem allgemein für geschickt gehaltenen Mann, der eine Menge Kranker in der ganzen Gegend an der nämlichen Epidemie behandelt hatte. Ein Expresser ging nach Stuttgart, meinen Bruder zu rufen, der hier als praktischer Arzt in besondrem Ansehen steht und zu dem auch Caroline das größte Zutrauen hatte. Aber leider kam er zu spät, da keine Hülfe mehr war. – Lassen Sie mich diese Tage des Schmerzes und der schreck=lichsten Furcht übergehen! Die einzige wenn gleich schwache Beruhigung ist, daß Caroline jede Art von Hülfe und Wartung genossen hat, die sie bedurfte. Bei dem höchst schmerzlichen Gedanken, daß sie auf der Reise, nicht im eignen Hause hinscheiden mißte, ist dies das einzig Tröstende, daß sie wenigstens in den Armen zärtlicher Eltern gestorben ist. Die großen Schmerzen, die mit dieser Krankheit verbunden sind, hat sie fast nur Einen Tag und mit der edelsten Standhaftigkeit und wahrer Geistesgröße getragen. Ihre letzten Tage waren ruhig: sie hatte kein Gefühl von der Gewalt der Krankheit noch der Annäherung des Todes. Sie ist gestorben, wie sie sich immer gewünscht hatte. Am letzten Abend fühlte sie sich leicht und froh; die ganze Schönheit ihrer liebevollen Seele that sich noch einmal auf; die immer schönen Töne ihrer Sprache wurden zur Musik; der Geist schien gleichsam schon frei von dem Körper und schwebte nur noch über der Hülle, die er bald ganz verlassen sollte. Sie entschlief am Morgen des 7. Septembers, sanft und ohne Kampf: auch im Tode verließ sie die Anmuth nicht; als sie todt war, lag sie mit der lieblichsten Wendung des Hauptes, mit dem Ausdrucke der Heiterkeit und des herrlichsten Friedens auf dem Gesicht. – – Ach so lange sie noch dalag, so lange ich noch die letzten Reste von ihr mit meinen Thränen benetzen könnte, war ich nicht ganz unglücklich; nie kehrte ich von dem Anblick zurück ohne gestärkt und getröstet zu sein, so heiter war ihr Ausdruck. Ach, endlich mußte ich mich auch von dem Letzten trennen, ich begleitete sie zu ihrem Grab, wohin sie mit jeder Feierlichkeit gebracht wurde, die zur Ehre der edeln Verstorbenen gereichte, der ich leider! im Leben nicht alle die Ehre hatte erzeigen können, die ich gern wünschte. Nun ruht sie in dem stillen Thale, an dessen romantischen Anblick ihr Auge oft mit stiller Schwermuth gehangen hatte, an einer Stätte, wo einst auch meine guten Eltern ruhen werden.
Dies war das Ende Ihrer – meiner Caroline. Ich stehe da erstaunt, bis ins Innerste niedergeschlagen und noch unfähig meinen ganzen Jammer zu fassen. Meine Verwandte haben mich jetzt hieher geführt; aber mein Herz und alle meine Gedanken sind dort, wo ich sie leiden und sterben sah und wo ihre Hülle schlummert. – Welch ein schrecklicher Kreis von Verhängnissen wird durch diesen Tod geschlossen! Vor 9 Jahren raffte die nämliche Krankheit auf der Reise die liebliche Tochter dahin; jetzt ebenfalls auf der Reise unterliegt ihr das theure Leben der Mutter. Ihr ist jetzt wohl; der größte Theil ihres Herzens war schon längst jenseits dieses Lebens. Mir bleibt der ewige durch nichts als durch den Tod zu lösende Schmerz, einzig versüßt durch das Andenken des schönen Geistes, des herrlichen Gemüths, des redlichsten Herzens, das ich einst in vollem Sinne mein nennen durfte. Mein ewiger Dank folgt der herrlichen Frau in das frühe Grab. Gott hatte sie mir gegeben, der Tod kann sie mir nicht rauben. Sie wird wieder mein werden, oder vielmehr sie ist mein auch in dieser kurzen Trennung. – –
Sie, verehrte Frau, sind eine von den Wenigen, mit denen ich ganz nach meinem Herzen von Caroline reden darf. Sie haben nie aufgehört sie zu lieben, und auch ihr Herz gehörte Ihnen. Lassen Sie einen Theil der Freundschaft, die Sie zu der Lieben getragen, auf mich übergehen. Ich werde einen Trost darin finden, von denen, welche sie im Leben geliebt, mit Freundschaft angesehen zu werden. Lassen Sie mich ein theilnehmendes Wort von Ihnen und Ihren lieben Töchtern hören!
Könnte ich die letzten Briefe, die Ihnen Caroline geschrieben, erhalten, so würde mich dies erquicken. Ich sammle jede Reliquie der Theuren. Die Briefe sollen Ihnen nicht verloren sein. Erhalte ich bald ein Wort von Ihnen, so trifft es mich noch hier. Den harten einsamen Rückweg nach München muß ich antreten. Ich habe noch die heilige Pflicht auf mir, die Verlassenschaft der Seeligen in Ordnung zu bringen. Dieser Gedanke wird mir Kraft geben, in das öde Haus zurückzukehren, wo zugleich das süße Andenken an sie durch jeden Gegenstand erneuert wird.
Leben Sie wohl, edle Frau, mit allen den Ihrigen; möge nie ein ähnliches Ereignis Ihre weiteren Tage trüben! Ich empfehle mich Ihnen allen und bin und bleibe mit der innigsten Hochachtung