Rechnen Sie es, bester Schwager, meinem innern und äußern Zustand zu, deren einer immer den andern schmerzlicher macht, daß ich so spät erst auf Ihren Brief vom 25. Sept. antworte, der mir in manchem Betracht so tröstlich gewesen ist. Ich hätte Ihnen noch von Stuttgart schreiben sollen, wenigstens um zu danken für den Antheil, den Sie bei eignen Schmerz an dem meinigen nehmen, für die Bezeugung Ihrer Gesinnungen gegen den verlassenen Freund der verewigten Schwester. – Immer meinte ich, früher nach München zurückzukehren. Die Sorge meiner Eltern hielt mich zurück und das eigne Gefühl, dem Eindruck der vorigen Umgebungen noch nicht gewachsen zu sein. Ach, Herz und Gefühl machen jede Berechnung zu Schanden. Es ist, als hätte mein Leiden hier erst recht angefangen; es scheint, daß ein solcher Schmerz mit der Zeit eher zu- als abnimmt. In je größere Ferne sie mir tritt, desto lebhafter fühle ich ihren Verlust. Sie war ein eigenes, einziges Wesen, man mußte sie ganz oder gar nicht lieben. Diese Gewalt, das Herz im Mittelpuncte zu treffen, behielt sie bis aus Ende. Wir waren durch die heiligsten Bande vereinigt, im höchsten Schmerz und im tiefsten Unglück einander treu geblieben – alle Wunden bluten neu, seit dem sie von meiner Seite gerissen ist. Wäre sie mir nicht gewesen, was sie war, ich müßte als Mensch sie beweinen, trauern, daß dies Meisterstück der Geister nicht mehr ist, dieses seltne Weib von männlicher Seelengröße, von dem schärfsten Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzens vereinigt. O etwas der Art kommt nie wieder! Wie glücklich sind Sie, sich sagen zu können, für dies edle Wesen gehandelt, ihr Aufopferungen gemacht zu haben. Hätte ich Jahre noch zu leben, ich wollte sie alle mit ihr theilen, ja gern jeden Tag, den ich mit ihr wäre, mit einem Blutstropfen bezahlen, um mit ihr zu sterben. Was sie Ihnen in dem lezten Brief schrieb, war wirklich ihr Gefühl. München war ihr verleidet – für den Augenblick wenigstens. Alle Übel der Zeit drangen diesen Sommer gewaltthätiger auf uns ein: die Frechheit und kaum glaubliche Rohheit französischer Envoyés, dergleichen vielleicht nur München kennt, erschien in der häßlichsten Gestalt. Menschen, mit denen wir zuvor als Leuten von Sitte und scheinbarer Bildung in einem anständigen Verhältnis gestanden hatten, wurden verwandelt, die Zeit der Denunciationen und politischer Verfolgungswuth fieng wieder an; es hat nicht an diesen Menschen gelegen, daß nicht alle Fremde vor ein Revolutionstribunal geschleppt wurden. Obgleich dies alles mich weniger als manchen Andern traf, so machte es doch gerade auf Carolinen den widrigsten Eindruck. Dazu kam mein zweimonatliches Kranksein; dessen Grund sie in den hiesigen Verhältnissen suchte. Ach ich kann, ich darf es mir nicht verbergen, daß sie das vollends so ermüdet hat, daß diese Sorgen, diese Mühen, diese Nachtwachen ein Hauptgrund zu jener Schwäche der Nerven wurden, die sie so schnell zum Raub der schrecklichen Krankheit machte. Überhaupt war sie widrigen Eindrücken seit langer Zeit weniger gewachsen.
Ihre Seele hatte sich seit dem Tode Augustens immer mehr jener Welt zugewandt; nur eine stete liebevolle freundliche Gegenwart konnte sie zurückkrufen und festhalten. – Wir haben viel durch die Zeitumstände gelitten. Im Anfang unsrer Verbindung war es ihr Wunsch, nach Italien zu reisen. Ich brachte sie davon zurück, aus dem vielleicht engherzigen Gesichtspunct, ihr erst einen Zustand in der Welt zu schaffen, und in der Hoffnung, die Reise leicht in der Folge zu machen. Diese Hoffnung trog, von Jahr zu Jahr machten es die Zeiten schwerer. Jetzt hatten wir uns wieder, durch manche Aufopferungen besonders von ihrer Seite, zu einem freieren Dasein emporgearbeitet, und lebte sie, so sahen wir im nächsten Jahre das Land, nach dem sie so sehr sich sehnte. Nun sind die lieben Augen geschlossen, und mein Herz saugt aus diesen Umständen für sich selbst die bittersten Vorwürfe. – Die sanftesten Ahndungen scheinen hier noch ihrem Tode vorangegangen zu sein. Einer Frau von Stengel, die vom ersten Augenblick der Bekanntschaft mit ganzer Seele an Carolinen hieng, wie diese an ihr, fiel sie am letzten Tage auf die Worte: „Nun, ich sehe Sie bald wieder“ – (außerdem erschöpft vielleicht durch die Unruhen des letzten Tags) mit den Worten um den Hals – Vielleicht nie wieder.
Wir sahen uns den ganzen Nachmittag nicht, da ich noch Vieles außer dem Hause zu besorgen hatte; ich kam erst um 10 Uhr zum Nachtessen. Dabei war ihr erstes Wort: Schelling, wenn ich zurückkomme, wünsche ich doch eine andere Wohnung. Ich nahm das wenn für wann (quand) und bemerkte ihr, daß es um die Zeit unserer Zurückkunft zum Wechsel zu spät sein würde. Mit manchen Gefühlen von Kränklichkeit u. s. w. möchte sie mich verschonen wollen, weil ich krank war. – Einmal im Fenster zu Maulbronn sagte sie mir: Schelling, glaubst
Du wohl, daß ich hier sterben könnte? Ich erinnerte mich erst lange nachher wieder dieser Worte; damals nahm ich sie als Ausdruck vom Klösterlich-melancholischen der Gegend. Wie sollte ich auch dergleichen Gedanken hegen – ich war ja der Kranke, sie die Gesunde! – Die ganze letzte Zeit war sie sanfter und lieblicher als je, ihr ganzes Wesen in Süßigkeit aufgelöst. Bei der Rückkehr von der kleinen Nebenreise konnte ich fast nicht erwarten, mit ihr wieder allein zu sein – wenige Stunden nachher kamen die ersten Anfälle. Und doch lag seit Anfang des Sommers das drückendste Vorgefühl eines nahen Unglücks auf mir – es war eine Ursache meiner Krankheit. – Ach es giebt doch keinen andern Trost, als den, von dem Sie so zweifelhaft reden. Aus Weichherzigkeit würde ich ihn nicht ergreifen, wenn nicht Verstand und Überlegung, die in diesem dunklen Ganzen sonst nirgends einen Ausweg sieht, mich längst auf diesen Standpunct gestellt hätten. Ich sammle alle Reliquien der Theuren aus der letzten Zeit. Enthält ihr letzter Brief nichts, das zwischen Ihnen und ihr bleiben muß, so bitte ich, lassen Sie mir ihn zukommen, er soll bald wieder in Ihren Händen sein.
Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft, sie wird meinem Herzen theuer sein. Ich weiß, was Sie für Caroline gethan haben. Es würde mir eine wehmüthig frohe Empfindung gewähren, Sie einmal persönlich zu begrüßen.