Caroline von Schelling, Band 2


Schelling an Pauline Gotter.

Stuttgart, d. 12. Februar 1810.

Hier, in der freundlicheren Ungebung, wollte ich Ihnen, beste Pauline, zuerst wieder schreiben. – Ich glaubte dem Eindruck der Gegenstände in München gewachsen zu sein. Ich irrte mich. Eine ansehnliche Wohnung, in die ich allein zurückkehrte, erfüllte mich mit grauenhaften Vorstellungen einer fürchterlichen Öde: selbst die Fülle, die ihr sonst zum Schmuck gereichte, wurde bedrängend durch ihren Contrast mit meiner persönlichen Einsamkeit, die Leerheit der Menschen dagegen doppelt fühlbar, seitdem ich ihnen allein gegenüber gestellt war. Meine Gesundheit erlag zu gleicher Zeit; ich war über einen Monat empfindlich krank und unfähig zum Schreiben, wenn ich auch die zerrüttete Gestalt meines Innern Freunden hätte zeigen mögen. Dieser Zustand konnte nicht anders als durch Entfernung aus der vorigen Ungebung geändert werden. Ich erhielt einen neuen Urlaub, um mich auf vier Monate in mein Vaterland zu begeben.... Mein langes Stillschweigen habe ich Ihnen erklärt. Ein großer Schmerz kann nur in der Einsamkeit überwunden werden: wir müssen den ganzen bittern Kelch ausstrinken, um uns mit Besonnenheit nach den Mitteln der Fassung umzusehen, die uns noch übrig sind: selbst ein Engel, vom Himmel gesandt, kann ihn nicht von uns nehmen. Hier drang ein doppelter Schmerz auf mein Inneres ein und aus meinem Innern hervor. Nun die Liebe nicht mehr war, nun erst hatte ich auch Augusten ganz verloren. Iphigenia’s Gesang: Es ist geschehen, all’ die Lieben deckt das Grab, ist mein tägliches Lied...

Ich habe angefangen zu denken, auch gewissermaßen zu produciren, und vergesse in einer erschaffenen Welt der gegenwärtigen. Der Schmerz mischt sich mit der Wonne eines stillen, sanften Daseins, und die Tage fangen wieder an, unmerklich, wenn gleich nicht unnützlich zu verfließen.

Daß ich Ihnen die theuren Briefe nicht vorenthalten wollte, sehen Sie jetzt. Verzeihen Sie, daß ich mir den Anschein zuzog. Ich habe so manches herzliche schöne Blatt von der lieben Hand, daß ich es für Sünde achtete, ein so liebes Gemüth wie Sie auch nur Einer Zeile zu berauben. Die Reliquien der Theuren können in keinen bessern Händen sein als den Ihrigen. Ich sinne darauf, aus dem Vorrath, der mit geblieben, einige auszusuchen, die der Mutter, den Schwestern, Ihnen besonders angenehm sein könnten. Helfen Sie mir selbst dazu Einiges habe ich mir wohl ausgedacht, aber ich wünschte in Ihrer aller Händen noch ein besonderes Andenken der Geliebten. Hätte sie ihren Tod geandet, ich weiß, sie hätte es mir aufgetragen.

Ihre Ruhestätte habe ich noch nicht wieder besucht; ich will sie nur im Frühling sehen. – Dann erhalten Sie eine Rose von Carolinens Grab....

Auf dem Grabobelisken zu Maulbronn: Hier ruhet Caroline Dorothee Albertine Schelling, geb. Michaelis.

Das Grab der treuen und ewig Geliebten bezeichnete mit diesem Stein Ihr hinterbliebener Gatte Fried. Wilh. Joseph Schelling. Jedes fühlende Wesen stehe mit Andacht hier, wo die Hülle schlummert, die einst das edelste Herz und den schönsten Geist einschloß.