- 1. Historischer Kontext
- 1.1 Die politisch-religiöse Ausgangslage in Böhmen um 1400
- 1.2 Kämpfe um religiöse und politische Dominanz
- 1.3 Auf dem Weg zum Kuttenberger Religionsfrieden
- 1.4 Verabschiedung und Geltung des Kuttenberger Religionsfriedens
- 1.5 Annahme, Umsetzung und Rezeption des Kuttenberger Religionsfriedens
- 2. Unterzeichner und Unterhändler
- 2.1 Unterzeichner
- 2.2 Unterhändler
- 3 Inhalt
- 4. Überlieferung und Textvorlage
- 4.1 Handschriften
- 4.2 Druck
- 4.3 Textvorlage
- 5. Literatur
- 5.1 Editionen
- 5.2 Forschungsliteratur (Auswahl)
Historischer Kontext↑
Die politisch-religiöse Ausgangslage in Böhmen um 1400
Das Königreich gehörte zum Länderverband der Böhmischen Krone, zu der auch die Markgrafschaft , die Grafschaft sowie das Herzogtum und die Markgrafschaften und zählten. Die einzelnen Länder verfügten über selbständige Regierungsorgane und waren über Lehnsbeziehungen an den Herrscher gebunden.1
Im ausgehenden 14. Jahrhundert formierte sich eine kirchen- und
gesellschaftskritische Reformbewegung in . Teile des Klerus, der Universität
sowie des Adels, der Stadträte, der Landesbeamten und Mitglieder des Kronrats kritisierten,
unter Berufung auf den englischen Reformer , insbesondere die sittlich-moralische Situation in der Kirche und ihren
umfangreichen Grundbesitz in .2 Auf dem
Konstanzer Konzil (1414-1418) stand auch diese, als Häresie gebrandmarkte böhmische Bewegung
zur Debatte. Der Prediger , auf dessen Gedanken die böhmische Reformbewegung im
Wesentlichen fußte, und dessen Kritik am päpstlichen Primat und Forderung des Laienkelches auf scharfe kirchliche Opposition traf, wurde nach vorgeladen,
1415 auf dem Konzil als Ketzer verurteilt und dann verbrannt.3
Nach dem Konstanzer Konzil verbreitete sich die hussitische Bewegung in . 1420 einigten sich die Vertreter der Bewegung auf
ein Programm, die vier Prager Artikel: In ihnen wurden die Freiheit reformorientierter Predigt,
der Laienkelch, die Besitzlosigkeit und der Verzicht auf weltliche Herrschaftsrechte des
Klerus sowie die Bestrafung von öffentlichen Todsünden gefordert.4
Trotz dieser gemeinsamen Grundlage blieb die böhmische Reformbewegung vielgestaltig: Neben
den Utraquisten, die vor allem eine Abendmahlspraxis unter beiderlei Gestalt (sub utraque), d.h. mit Brot und Wein, verlangten,
standen radikalere Strömungen, die weitergehende Reformen einforderten, wie die
Taboriten.5 Diese beriefen sich auf das biblische
Schriftprinzip, lehnten Priesteramt, liturgische Gewänder und Zeremonien ab, reduzierten die
Zahl der Sakramente und pflegten in den Anfangsjahren eine apokalyptische Naherwartung. Die
1457 ebenfalls aus der hussitischen Bewegung hervorgehenden Böhmischen bzw. Mährischen Brüder
hatten mit ihnen viele Reformansätze gemeinsam.6
Ab Mitte der 1430er Jahre konsolidierte sich der Utraquismus als gemäßigte
Strömung,7 die nur durch die Forderung nach dem
Laienkelch mit der römischen Kirche im Konflikt stand.8 Für sie wurde
der Kelch zum zentralen Symbol; man nannte sie deshalb auch Kalixtiner (lat. calix: Kelch).9
Kämpfe um religiöse und politische Dominanz
Die römische Kirche unter Papst
trat der Verbreitung der hussitischen Bewegung in nach der Verbrennung von mit
Bann und Interdikt entgegen. Der böhmische König
begann ab 1418 in und den königlichen Städten
verschärft gegen die neue Abendmahlspraxis und die Priester, welche die Kommunion in beiden
Gestalten spendeten, vorzugehen.10 Die Verteidigung des Laienkelchs einte die hussitische Bewegung
bei aller inneren Unterschiedlichkeit. Zudem war ihnen gemeinsam, dass sie nach dem Tod des
böhmischen Königs 1419 den Habsburger als Nachfolger nicht annehmen wollten, weil
man ihm wegen seines gebrochenen Geleitversprechens gegenüber beim Konstanzer Konzil eine Mitschuld an dessen Tod gab und weil strikt die Kelchforderung ablehnte.11
Die folgenden sog. Hussitenkriege (1419-1436) zwischen hussitisch gesinnten
Interessengruppen und der altgläubigen Seite unter Führung von begannen mit einem Aufstand in 1419. Letztlich konnte sich aber keine Seite militärisch durchsetzen.12 Daher wurden Verhandlungen angestrebt; das in tagende Konzil (1431-1449) sollte die Vermittlung übernehmen.
Vertreter des Basler Konzils handelten mit einer böhmisch-mährischen Delegation, bestehend
unter anderem aus Vertretern der Stadt , der Taboriten
und des Adels, die sog. Basler Kompaktaten (1433) aus. Papst war an deren Zustandekommen nicht beteiligt.13 In diesen Verträgen wurden hinsichtlich der
Forderungen, die in den vier Prager Artikeln niedergelegt waren, nur wenige Zugeständnisse
gemacht, aber die Kommunion unter beiderlei Gestalt zugelassen. Für die Utraquisten lag die
Bedeutung der Basler Kompaktaten in ihrer Interpretation als offizielle Anerkennung des
Utraquismus durch die römische Kirche.14 Die Bestätigung der Basler
Kompaktaten durch König und ihre
Konkretisierung erfolgte in den Iglauer Kompaktaten (1436), welche ein Majestätsbrief ergänzte.15 Die römische Kurie verweigerte jedoch die Bestätigung der
Kompaktaten.16
In der zweiten Phase der Hussitenkriege (1466-1478) verband sich der Streit um die
unterschiedliche Abendmahlspraxis mit der Konkurrenz verschiedener Dynastien um die Böhmische
Krone und dem Konflikt um den Einfluss der Stände. Der Utraquist , der seit 1458 als böhmischer König
regierte, wurde von den Päpsten und mit dem Kirchenbann belegt. stützte sich auf die Mehrheit der Ritter
und Städte, welche für die Abendmahlspraxis sub utraque eintraten,
aber sah sich einer hochadligen Opposition der böhmischen Barone gegenüber, die in ihrer
Mehrheit der Abendmahlspraxis sub una specie, d.h. ohne die Austeilung
des Kelchs, anhingen. Nachfolger ab
1471, , hing zwar selbst dem
alten Glauben an, konnte aber zunächst nicht die Anerkennung des Papstes und des böhmischen
Hochadels erlangen. Dieser unterstützte den ungarischen König als Kandidaten für die böhmische Krone (1469 Wahl
zum König von ).17
Im Frieden von und (1478/1479) wurde der Konflikt beigelegt, als Herrscher in und in den anderen zur Böhmischen Krone gehörenden Gebieten bestätigt.18
Nach dem Friedensschluss stützte sich ,
der den Ausgleich mit dem suchte, auf den zuvor
oppositionellen, mehrheitlich altgläubigen Hochadel, der wieder integriert werden sollte. Die
Utraquisten wurden in der Folge immer mehr zurückgedrängt. König setzte romfreundliche Amtsträger ein, utraquistische Prediger wurden behindert und Pfarreien
zur alten Abendmahlspraxis zurückgeführt.19 Zudem
herrschte bei den Utraquisten Priestermangel, weil das vakant war und die italienischen
Bischöfe, die zur Weihe der utraquistischen Priester bereit waren, von Rom daran gehindert wurden.20
Im August 1478 beschlossen die utraquistischen Stände auf einer Synode im Collegium Carolinum verschiedene Maßnahmen, um ihre
Interessen zu wahren: ein ständeübergreifendes Bündnis, die Wiederbesetzung des vakanten und die Erarbeitetung einer
Kirchenverfassung.21
In der Folge wurden wechselnde ständeübergreifende Bündnisse als Druckmittel gegenüber dem
eingesetzt, um Behinderungen der
Abendmahlspraxis sub utraque und Festnahmen von Utraquisten
entgegenzutreten, aber auch, um die Freiheiten von Rittern und Städten gegenüber den Herren
zu sichern.22 Am 25. Juli 1482 nahmen
fast alle utraquistischen Stände in den italienischen Titularbischof von als neues geistliches Oberhaupt an.23
Auf dem Weg zum Kuttenberger Religionsfrieden
Dem Kuttenberger Religionsfrieden gingen verschiedene Regelungsversuche voraus: Im
September 1479 wurden auf dem Sankt-Wenzels-Landtag in
die Barone wieder als Ständemitglieder und königliche Untertanen aufgenommen. Die Gültigkeit
der Basler Kompaktaten wurde bestätigt und mit der Forderung verbunden, Schmähungen oder
Gewalt gegenüber der jeweils anderen Religion nicht zuzulassen.24 Im Juli 1481 wurden auf
dem Sankt-Jakobs-Landtag in bereits zahlreiche
Regelungen gegenseitiger Anerkennung schriftlich fixiert: etwa, dass die Untertanen die
Gemeinde, in der sie die Kommunion empfangen wollten, selbst frei wählen dürften, dass die
Priester den Gläubigen die Sakramente nach deren Brauch spenden sollten, dass Anhängern einer
abweichenden Abendmahlspraxis nicht das Begräbnis verweigert werden dürfe, dass Behinderungen
der Gläubigen durch Geistlichkeit oder Obrigkeit nicht zulässig seien, dass Schmähungen
unterlassen werden sollten und die vertriebenen Priester in ihre früheren Pfarreien
zurückkehren dürften. Allerdings wurden die Bestimmungen vielfach nicht in die Praxis
umgesetzt.25
Bei der Zusammenkunft der utraquistischen Ständevertreter in im Oktober 1482 gelang es dem Oberkanzler im Namen von König , eine Delegation wählen zu lassen, die mit einer
Abordnung der Anhänger der Abendmahlspraxis sub una über einen
Religionsfrieden verhandeln sollte.26 Fünf Herren, vier Ritter und
ein Städtevertreter wurden von Seiten der Utraquisten bestimmt. Sie führten mit einer
Abordnung aus fünf Herren und fünf Rittern der altgläubigen Seite in Präliminarverhandlungen für einen künftigen Religionsfrieden
(13.-17. Januar 1483).27 Während von Seiten der Utraquisten seit den Verhandlungen 1482
eine unbefristete Lösung präferiert wurde, schlugen die Vertreter der Gegenseite eine
Befristung auf acht Jahre vor, da sie nicht bereit waren, einen unbefristeten Vertrag ohne
Zustimmung der römischen Kurie einzugehen.28 Doch die Verhandlungen über den
Religionsfrieden scheiterten vorläufig.
Ein religiös motivierter Aufstand in kam hinzu: Am 24. September 1483 erhoben sich die drei Städte, die Altstadt, die Neustadt und die Kleinseite,29 gegen ihre Ratsherren und setzten eine neue Stadtregierung ein. Während des Aufstands wurden auch Klöster gestürmt und Mönche sowie Prediger, welche die Abendmahlspraxis sub una vertraten, vertrieben.30 schloss sich nun dem ständeübergreifenden oppositionellen Bündnis an (November 1483).31 Erst im September 1484 einigten sich der und die Städte auf einen Vertrag, der allerdings nicht überliefert ist.32 scheint darin die politischen Ergebnisse des Aufstands weitgehend akzeptiert zu haben.33 Mit dem Aufstand war endgültig klar geworden, dass die Anhänger der Abendmahlspraxis sub una sich nicht gegen die Utraquisten, die als ständeübergreifendes Bündnis agierten, würden durchsetzen können.34
Der böhmische Adel und König ergriffen nach 1483 größere Initiativen, um zwischen beiden Seiten Frieden zu stiften.35 Auf dem Landtag in in der zweiten Jahreshälfte 1484 schlossen die Ständevertreter einen Religionsfrieden, der auf 32 Jahre befristet war. Der Religionsfrieden stützte sich auf die Kompaktaten, einschließlich des Vertrags mit Kaiser , und auf den Beschluss des Sankt-Jakobs-Landtags von 1481, der die Abendmahlspraxis in den Pfarrkirchen geregelt und auch bereits die freie Wahl der Abendmahlspraxis durch die einzelnen Untertanen festgelegt hatte. Zur Durchsetzung der Bestimmungen wurde ein königliches Schiedsgericht mit paritätischer Besetzung eingerichtet.36 Der ausgehandelte Religionsfrieden sollte auf dem kommenden Landtag in bekräftigt werden, und die in Abwesenden sollten diesem beitreten.37
Verabschiedung und Geltung des Kuttenberger Religionsfriedens
war nach nicht nur die bedeutendste Stadt in und zeitweilige Residenzstadt König , sondern auch ein ruhiger Veranstaltungsort für den Landtag, da die Stadt
sich nach einer kurzen Rebellion im Anschluss an den
Aufstand schnell wieder König
unterworfen hatte.38 Auf dem Landtag, der vom
13. bis 20. März 1485 in der Pfarrkirche St. Jakob tagte, nahmen die
böhmischen Stände den auf dem Prager Landtag verhandelten Religionsfrieden mit einer Laufzeit
von 31 Jahren an und beschlossen dessen Ausfertigung.39 Die
ursprünglich avisierte Geltungsdauer von 32 Jahren hatte sich daraus ergeben, dass bei
der Sitzung in 1483 noch eine Befristung auf acht
Jahre festgesetzt und diese im späten September 1484 auf das vierfache verlängert worden war.
Diese Frist wurde dann um ein Jahr verkürzt, denn auf der Sitzung im März 1485 berief man
sich darauf, dass bereits im September 1484 das erste Geltungsjahr der Regelung angelaufen
sei.40
Über den Ablauf der Verhandlungen und die einzelnen Teilnehmer ist wenig bekannt, da von
der Sitzung in außer dem Landtagsbeschluss
selbst keine Quelle erhalten ist.41 Der Friedenstext legt die Annahme nahe, dass zunächst König
die Bestimmungen
präsentierte, über die zuvor eine Übereinkunft erzielt worden war; dazu gehörten die Laufzeit
des Religionsfriedens und die Stellung zu den Kompaktaten, bevor die anwesenden Stände dann
über den Religionsfrieden entschieden.42
Die im Anschluss ausgefertigten Urkunden wichen in einigen Punkten von den vorherigen
Beratungen ab.43 Insbesondere wurde das Anliegen der
Anhänger der communio sub una, beim für eine Bestätigung der Kompaktaten einzutreten, in den
ausgefertigten Urkunden nicht mehr erwähnt.44 Die
Utraquisten hielten eine Bestätigung der Kompaktaten durch den für unnötig, weil diese bereits durch ihrer Ansicht nach
höherstehende Autoritäten, nämlich das Basler Konzil und Kaiser abgeschlossen und bekräftigt worden seien.45
Der Religionsfrieden bezog sowohl die Anhänger der römischen Kirche als auch die
Utraquisten ein. Die Ständevertreter sicherten sich gegenseitig zu, beide Arten, das
Abendmahl zu feiern, anzuerkennen.46
Bestandsveränderungen in den Gemeinden wurden ausgeschlossen,47
den Untertanen aber zugesichert, dass sie eine Gemeinde wählen dürften, in der sie das
Abendmahl ihrer Überzeugung gemäß empfangen wollten.48
Die Anerkennung der Autorität des Landrechts, die Beendigung der utraquistischen Sonderbünde
und die vorläufige Aufteilung der zwischen Herren und Rittern umkämpften Landesbeamten- und
Beisitzerstellen am Landgericht schufen in
den politischen Rahmen für die Regelung des religiösen Zusammenlebens.49
Die Brüderunität50, deren Reformbestrebungen über die Abendmahlspraxis der Utraquisten hinausreichten, waren nicht in den Schutz des Kuttenberger Religionsfriedens eingeschlossen. Die Böhmischen Brüder bemühten sich jedoch um die Anerkennung ihrer Glaubensgemeinschaft. Man sah deshalb eine Disputation vor, die die Brüder sowohl mit utraquistischen Magistern als auch Magistern der römischen Kirche führen sollten, aber sie wurde immer wieder verschoben und kam letztlich nicht zustande.51 Die Verfolgungen, die schon mit der Formierung der Brüderunität in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts begonnen hatten, setzten sich auch nach dem Religionsfrieden von 1485 fort.52
Annahme, Umsetzung und Rezeption des Kuttenberger Religionsfriedens
Nach der offiziellen Ausfertigung auf dem Pfingstquatember-Landtag (22. Mai 1485) in verpflichteten sich alle Stände und die beiden Seiten, sowohl die utraquistisch gesinnte als auch die altgläubige,53 den Kuttenberger Religionsfrieden als Bestandteil des Landtagsbeschlusses einzuhalten. Dies wurde am Sankt-Wenzelstag (28. September 1485) rechtskräftig.54 Alle Stände hatten die Abschrift zu unterzeichnen, welche die eine Seite der anderen sodann gesiegelt und mit beigefügten Bestätigungsurkunden aushändigte.55 Zuwiderhandlungen und Überschreitungen sollte der gemeinsam mit einem paritätisch besetzten Ausschuss von zwölf Räten ahnden.56 Die Herren und Ritter, die nicht persönlich in einen Schwur zur Einhaltung des Friedens gegenüber dem geleistet hatten, mussten dies innerhalb eines Monats nachholen.57
Zwar waren im Kuttenberger Religionsfrieden die Anhänger der Abendmahlspraxis sub una und die Utraquisten als gleichberechtigt und rechtlich
gleichgestellt anerkannt worden, doch wurde nach 1485 ein Teil der religionspolitischen
Auseinandersetzung im politischen und wirtschaftlichen Machtkonflikt zwischen und den Ständen sowie den
Ständen untereinander fortgeführt.58 Nichtsdestoweniger bestätigte der Landtag
im Jahr 1497 nochmals den Kuttenberger Religionsfrieden.59 Obwohl das
böhmische Recht seit dem 15. Jahrhundert eine Aufnahme der Landtagsbeschlüsse in die
Landtafeln vorsah, erfolgte erst 1501 die Registrierung. Gedruckt wurde der Friedenstext
sogar erst 1513 im Rahmen einer Sammlung von Landtagsabschieden, nachdem der Landtag am 28. April 1512 die ewige Geltung des Kuttenberger
Religionsfriedens, noch bevor dessen Befristung abgelaufen war, beschlossen hatte.60
Mit der Aufspaltung des Utraquismus um 1500 in die an Rom orientierten Alt-Utraquisten und die Neu-Utraquisten, welche sich später dem
Einfluss der Wittenberger Reformation öffneten, veränderte sich die religiöse Gemengelage in
aufs Neue. Hierzu trat noch der
Einfluss .61 1575
einigten sich die reformatorischen Gruppen auf ein gemeinsames Bekenntnis (Confessio Bohemica), das an der Confessio Augustana von 1530 orientiert war und dabei
zugleich die Kontinuität zu den Utraquisten herausstellen und die Böhmischen Brüder
einschließen sollte. Auf Grundlage der Confessio Bohemica sicherte 1609 in einem Majestätsbrief den
Protestanten in die freie
Religionsausübung zu.62 Obgleich der Kuttenberger
Religionsfrieden nicht mehr die religionspolitischen Verhältnisse widerspiegelte,63 wurde seine ewige Gültigkeit noch in allen Landesordnungen
bis 1627 weiter bekräftigt.64
Unterzeichner und Unterhändler↑
Unterzeichner
König auf beiden Urkunden;
alle Fürsten, Herren, Ritter und königlichen Städte, die einer der beiden Seiten anhingen,
auf der Urkunde, die der jeweils anderen Seite ausgehändigt wurde.
Für diejenigen, die
der Abendmahlspraxis sub una anhingen, im Druck namentlich benannt:
die Fürsten von Münsterberg, und , sowie
.
Unterhändler
Nicht namentlich bekannt.
Inhalt↑
Der Kuttenberger Religionsfrieden wurde als Teil des Landtagsabschieds von 1485 beschlossen. Der Friedenstext besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil werden die Beschlüsse der Generalständeversammlung über die Artikel des Religionsfriedens festgehalten. Der zweite Teil besteht aus jeweils einer Urkunde, welche zur Aushändigung an die jeweils andere Seite bestimmt war. Im dritten Teil erfolgt nach der offiziellen Ausfertigung der Urkunden des Religionsfriedens die Verpflichtung der Stände und beider Seiten auf das Landrecht, das den Rahmen für den Religionsfrieden vorgibt.
Im genannten ersten Teil erklärt König
auf dem Kuttenberger Landtag (13.-20. März 1485) einleitend, dass er zum Lob Gottes und
für den gemeinen Nutzen auf der Generalversammlung der Fürsten, Herren, Ritter und Städte in
den dann folgenden Religionsfrieden
geschlossen hat.
In der Frage der Kommunion unter einer oder beiderlei Gestalt sollen
jegliche Schmähungen und Unterdrückungen untersagt sein. Die Fürsten, Herren, Ritter und
Städte dürfen ihre Untertanen, die auf andere Weise als sie selbst die Kommunion zu empfangen
pflegen, nicht belästigen oder behindern; ebenso wenig dürfen sie Priester beim Spenden der
Kommunion oder bei der Predigt behelligen. Beides soll frei sein. Hierauf sollen sich beide
Seiten bei Unkündbarkeit dieser Vereinbarung für 31 Jahre verpflichten.
Des
Weiteren bleiben die Basler Kompaktaten in Geltung. Beide Seiten haben das Recht, sich an den
zu wenden, um eine unbegrenzte Gültigkeit
dieser auf dem Konzil geschlossenen Vereinbarung zu erreichen. Auch der will sich für eine Entscheidung des einsetzen, die den Frieden unter den Untertanen
ermöglicht. Damit die Anordnungen eines früheren Vertrags65
nun umgesetzt werden, werden die folgenden Bestimmungen fixiert. Die Anerkennung des
Religionsfriedens hat bis zum Pfingstquatember-Landtag (22. Mai 1485) durch beide
Seiten zu erfolgen.
Bezüglich des Vertrags zwischen der Stadt und dem , der nach dem
Prager Aufstand 1483 geschlossen wurde, soll bis zum Sankt-Wenzelstag (28. September
1485) durch die Fürsten, Ritter und Städte, welche die Kommunion unter einer Gestalt zu
empfangen pflegen, über eine Wiedergutmachung66 verhandelt werden.
In zwei Urkunden wird die
Verpflichtung von Fürsten, Rittern und Städten zur Einhaltung des Religionsfriedens auf
31 Jahre festgehalten, wovon beide Seiten eine schriftliche Ausfertigung am
Pfingstquatember-Landtag (22. Mai 1485) erhalten. Bis dahin versprechen beide Seiten
gegenüber dem , den Frieden einzuhalten.
Der zweite Teil, der die Friedensartikel als ausgefertigte Urkunden enthält, beginnt mit
einem Rückblick auf den Streit um die Abendmahlspraxis. Wegen des Streits sei eine
Generalversammlung einberufen worden, um die Kontroversen zu schlichten. Dies geschehe unter
Rückgriff auf die Kompaktaten (1433/1436). Im Anschluss daran erklären Herren, Ritter und
Städte beider Seiten, diese Schlichtung für 31 Jahre ab dem Datum der Urkunde
einzuhalten, woran weder der Tod eines der Unterzeichner noch irgendein anderer Grund etwas
ändern soll.
Jeder darf seinem Glauben und seiner Abendmahlspraxis entsprechend allein
dem eigenen Gewissen folgend, das Sakrament empfangen, ob in Städten, Kleinstädten oder allen
anderen Orten. Die Priester sollen das Abendmahl nach der in der jeweiligen Pfarrei
herrschenden Gewohnheit austeilen und neue Priester, der bestehenden Abendmahlspraxis
entsprechend, in den Gemeinden eingesetzt werden. Weder dürfen die Priester Zwang ausüben oder
schmähen, noch selbst in Fragen der Kommunion und der Predigt behindert oder belästigt werden.
Die Obrigkeit soll in ihrem jetzigen und künftigen Besitz keinerlei Zwang ausüben. Untertanen,
welche einer anderen Abendmahlspraxis anhängen als in der jeweiligen Gemeinde praktiziert
wird, dürfen wählen, wo sie das Abendmahl empfangen möchten.
Bis zum Sankt-Wenzelstag
(28. September 1485) soll der bereits geschlossene Vertrag zwischen beiden Seiten
vollständig umgesetzt werden. Was angeht, belässt man
es bei dem Status quo67, den der Vertrag des mit den Städten etabliert hat, damit dort ein Vergleich ausgehandelt werden kann.
Sollte kein Ausgleich erzielt werden, behalten die Vertreter der Abendmahlspraxis sub una sich vor, nach eigenem Ermessen zu verhandeln.
Es folgt die
Strafklausel. Die Stände (Fürsten, Herren, Ritter und Städte) verpflichten sich selbst und für ihre
Familienverbände und Nachkommen durch Unterschrift und Siegel gegenüber dem und seinen Nachfolgern auf den Frieden und sichern die
Verteidigung dieses Religionsfriedens zu. Alle, die nicht vor Ort unterschrieben haben, sollen
der Niederschrift Bestätigungsurkunden beifügen. Eine Verweigerung der Anerkennung oder der
Bruch des Friedens werden durch den und einen
Rat, der sich aus Vertretern beider Seiten zusammensetzt, geahndet. Wer keine Wiedergutmachung
für die Verletzung des Religionsfriedens leistet, wird als Störer des gemeinen Nutzens aus der
Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Gültigkeit der Regelung bestätigt König durch Unterschrift und Siegel.
Im dritten Teil folgt auf dem Prager Landtag (22. Mai 1485) nach der offiziellen
Ausfertigung des Religionsfriedens die Verpflichtung auf das Landrecht. Die Fürsten, Herren
und Ritter beider Seiten sollen persönlich dem mit Handschlag einen Eid auf die Einhaltung und Verteidigung des Landrechts und
der Beschlüsse des Adelsgerichts leisten. Sollten sie nicht in zur Bestätigung des Friedens präsent gewesen sein, soll die Eidesleistung binnen
vier Wochen nach Versammlung des Gerichts in erfolgen.
Andernfalls wird der gemeinsam mit allen
Ständen den Verstoß ahnden. Den Eid haben auch die Bürgermeister und Schöffen aus sowie die sonstigen Städtevertreter zu schwören.
Beide Seiten verpflichten sich, keine Schmähungen und Unterdrückungen in Glaubensfragen
und anderen Dingen zu dulden und Verstöße zu bestrafen. In Religionsangelegenheiten soll das
althergebrachte Recht, dem der Betroffene unterliegt, angewendet werden. Alle Beschlüsse der
Stände müssen, um Rechtsgültigkeit zu haben, durch den während der Tagungsperiode des Landgerichts begutachtet werden. Den Vertrag mit
den soll der König aber unverändert belassen.
Überlieferung und Textvorlage↑
Handschriften
- 1) Prag, Bibliothek des Nationalmuseums, Sign. I A 1, fol. 299r–302v [Talmberg Manuskript] [Digitalisat].
- 2) Křivoklát, Fürstenberg Bibliothek, Sign. I d 13, fol. 245r–253r [Fürstenberg Manuskript].
- 3) Prag, Bibliothek der Kreuzritter, Sign. XXII A1 und XXII A2, S. 310–318 [Old Czech Chronicles (Staré letopisy české, Křižovnický
rukopis)].
- 4) Prag, Nationalbibliothek der Tschechischen Republik, Sign. XVII A 16, fol. 102r–111r [Memoiren von Jan Jiří Račovský, handschriftliche
Kopie aus dem frühen 17. Jahrhundert].
Druck
- Toto na ſniemu obecznėm králem geho miłoſti, in:
Przedmłuwa z kterëž ſe pokłādā· yak ſú przyſſła
Compaktata: a ktery geſt gich vžytek·68
Prag: Severýn z Kapí Hory, Pavel 1513, 110 S., 8°, fol. F7v-G5r (Knihopis Nr. 1578).
Benutztes Exemplar: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Sign. 1010-B.
Textvorlage
Der Edition liegt der oben genannte Druck des Religionsfriedens als Teil der
Landtagsabschiede zugrunde. In diesem Druck gehen dem Text des Kuttenberger Religionsfriedens
92 Textseiten voraus; der Religionsfrieden, der keinen eigenen Titel trägt, ist auf Blatt
F7v-G5r abgedruckt.
Der Druck wurde mit den maßgeblichen Editionen des Kuttenberger
Religionsfriedens von František Palacký auf Basis des Talmberg und Fürstenberg Manuskripts
kollationiert. Die im textkritischen Apparat verzeichneten Lesarten der Edition auf der Basis
des Talmberg Manuskripts wurden zusätzlich mit der online zugänglichen Handschrift
abgeglichen und Abweichungen vermerkt.
Die letzten fünf edierten Artikel sind nur im
Fürstenberg Manuskript enthalten. Daher wurde für die abschließenden Artikel Handschrift 2
der Edition zugrundegelegt. Abweichungen in der Edition des Fürstenberg Manuskripts von
František Palacký wurden im textkritischen Apparat vermerkt.
Literatur↑
Editionen
- 1) Šimek, František / Kanák, Miloslav (Hg.), Staré letopisy české z rukopisu Křižovnického, Prag 1959, S. 295-300.
- 2) Zápis sněmu Kutnohorského o pokoji a swobodě náboženstwí w Čechách. Na Hoře Kutné,
1485, 13. Mart. (Z rkp. Talmb. f. 299), in: Palacký, František (Hg.), Archiv český,
Bd. 4, Prag 1846, S. 512–516, B. IX., Nr. 28 [= Talmb.] [Digitalisat].
- 3) Zápis Kutnohorského sněmu o pokoji a swobodě náboženstwí, též o zřizeni a zasedáni
zemského saudu a jiných nařizenich. Na Horách Kutnách, 13-20 Mart. 1485. (Z rkp.
Fürstenb. w Praze.), in: Palacký, František (Hg.), Archiv český,
Bd. 5, Prag 1862, S. 418-427, Nr. 31 [= Fürstenb.] [Digitalisat].
Forschungsliteratur (Auswahl)
- Eberhard, Winfried, Der Kuttenberger Religionsfriede (1485), in: Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellońskiego. Prace Historcyczne 199 (1992), S. 101-118.
- Eberhard, Winfried, Konfessionsbildung und Stände in Böhmen 1478-1530, München 1981, bes. S. 56-60.
- Eberhard, Winfried, Zu den politischen und ideologischen Bedingungen öffentlicher Toleranz. Der Kuttenberger Religionsfrieden 1485, in: Studia Germano-Polonica 1 (1992), S. 101-118.
- Just, Jiří, Der Kuttenberger Religionsfrieden von 1485, aus dem Tschech. übers. von Martin Rothkegel, in: Bahlcke, Joachim / Rohdewald, Stefan / Wünsch, Thomas (Hg.), Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff, Berlin 2013, S. 838–850.
- Palacký, František, Geschichte von Böhmen. Größtentheils nach Urkunden und Handschriften, Bd. 5: Das Zeitalter der Jagelloniden, Abt. 1: König Wladislaw II: von 1471-1500, Neudr. d. Ausg. 1844-1867, o.O. 1968, bes. S. 272-275.
- Tomek, Václav Vladivoj, Dějepis města Prahy, Bd. 10, Prag 1894, bes. S. 69-75.
Vollständige Bibliographie
Fußnoten
-
Darstellung
-
Zugriff
- Download der XML
-
Alexandra Schäfer-Griebel unter Mitwirkung von Tomáš Havelka (Kollation und Übersetzung) und Jana Kocková (Übersetzung) , Kuttenberger Religionsfrieden (1485) - Einleitung, in: Europäische Religionsfrieden Digital, hg. von Irene Dingel und Thomas Stäcker, URL: https://purl.ulb.tu-darmstadt.de/vp/a000008-0305 (14.10.2024)