Abschrift.
2 D. 715/1908.
IX 2.907.
196.
Wird abgedruckt.
Im Namen des Reichs.
A. Das Urteil des Königlich Preußischen Landgerichts I zu Berlin vom 11.
Februar 1908 wird nebst den ihm zu Grunde liegenden Feststellungen
auf-
gehoben, soweit es die Angeklagten zu 1–11, 14–22 betrifft, den Angeklagten
Süßkind, (zu 12) mit 3 Wochen Gefängnis und 400 M Geldstrafe, sowie zu einer
Gesamtstrafe verurteilt und die Einziehung beschlagnahmter Geldbeträge
an-
ordnet
Die Sache wird in dem hieraus sich ergebenden Umfange zur anderweiten
Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
B. 1. Die Revision des Angeklagten Thieme (zu 23) gegen das bezeichnete
Ur-
teil wird verworfen; dem Beschwerdeführer werden die Kosten seines
Rechtsmittels auferlegt.
2. Verworfen wird auch die Revision des Angeklagten Süßkind (zu 12)
soweit sie sich gegen seine Verurteilung zu 7 Wochen Gefängnis und
600 M Geldstrafe, bei Unbeitreibbarkeit zu je 1 Tag Gefängnis für 15 M, richtet,
insoweit fallen dem Beschwerdeführer die Kosten seines Rechtsmittels
zur Last.
Von Rechts wegen.
Gründe.
Prozeßgeschichtlich wird bemerkt, daß das Verfahren gegen den unter Nr. 13
des angefochtenen Urteils genannten Beschwerdeführer Hermann Krause, weil
er in Geisteskrankheit verfallen ist, durch Beschluß vom 13. November 1908
vorläufig eingestellt ist.
Betr. den Angeklagten Karl Welter
zu II A und B des Urteils.
Der Angeklagte Karl Welter war Unternehmer des „Sportbureaus
Rhenania“ in Berlin, das in allen größeren Städten Deutschlands
Fi-
lialen unterhielt, und später der „Sportbörse“ in Berlin. Wettaufträge
und Wettgelder, sowohl Platz- wie Siegwetten wurden, von
jeder beliebigen Person für das Inland und Ausland, und zwar fast
nur, zu 19/20teln, für die ausländischen, insbesondere für die auf französischen
Plätzen öffentlich veranstalteten Pferderennen entgegengenommen, ohne daß
Anlegung der Wetten am Totalisator oder an Wettannehmestellen des
Aus-
lands ausdrücklich vereinbart wurde. Grundsätzlich wurden nur „limitierte
Odds“ angenommen, d. h. es wurde eine Höchstgewinnquote vereinbart,
über die hinaus auch dann nicht ausgezahlt wurde, wenn der Totalisator eine
höhere Gewinnquote auszahlte, nämlich höchstens das 20 fache für Siegewetten,
also im allgemeinen nicht mehr als 200 M für 10 M, und das 5 fache für
Platz-
wetten, also im allgemeinen nur 50 M für 10 M. Daß die auf inländische
Wett-
plätze lautenden Wetten am Totalisator angelegt worden sind, ist nicht für
widerlegt erachtet. Auch im übrigen ist ein voller Beweis nicht für erbracht
angesehen, daß der Angeklagte Karl Welter Wetten in sich gemacht habe und
Buch-
macher gewesen sei.
Er erhielt von den ausländischen Buchmachern 5% (bis 6%) aller
Wett-
aufträge und erhob zeitweilig von den Wettern 5 oder 10%
Auftragsgebüh-
ren. Er zog die bei ihm Wettenden von sämtlichen Gewinnen 5% für sich
ab und behielt von den Gewinnen den etwaigen Überschuß über das Limit
und, wenn sie auf Bruchteilen von Ganzen lauteten, die Bruchteile.
Von dem Landgericht ist die so betriebene Wettvermittelung als
gewerbs-
mäßiges Glücksspiel betrachtet mit der Begründung: Der Wille des
An-
geklagten sei nicht etwa nur darauf gerichtet gewesen, die Wettaufträge
lediglich zu dem Zwecke weiter zu geben, um die an sich nicht zu beanstandende
Vermittlerprovision zu erhalten. Ihm wie seinen Wettern habe vielmehr in
erster Linie daran gelegen, daß die bei ihm abgeschlossenen Wetten mit einer
möglichst hohen Gewinnquote gewannen. Er habe die Wettvermittelung
be-
trieben, weil er selbst aus den gewonnenen Wetten einen reichen Gewinn
zu ziehen beabsichtigte und an den Gewinnchancen seiner Wetter mit einem
beträchtlichen Prozentsatz beteiligt sein wollte. Seine Tätigkeit charakterisiere
sich als Glücksspiel dadurch, daß er der Möglichkeit des Gewinns in
grö-
ßerem oder geringerem Umfange oder des Nichtgewinnens je nach dem
Aus-
falle der maßgebenden Zufallsentscheidung mitunterworfen gewesen sei,
also an den wechselnden Chancen des Spiels unmittelbar selbst
teilgenom-
men und nicht nur seine Wettbureaus andern zwecks Abschlusses von
weiter zu gebenden Wetten geöffnet habe. Entscheidungen des Reichsgerichts
in Strafsachen Band 29 Seite 376. Sein Vorteil sei allerdings zum Teil,
nämlich soweit er die von den ausländischen Buchmachern erhaltenen 5%
und die zeitweiligen Auftragsgebühren betroffen habe, ein bloßer
Unter-
nehmergewinn gewesen, im übrigen aber Spielgewinn. Daß er einen
materiellen Verlust nicht habe erleiden können, stehe der Annahme
ei-
nes fortgesetzten Glücksspiels nicht entgegen; denn die Möglichkeit eines
Vermögensverlustes für jeden Mitspieler sei kein unerlässliches
Begriffs-
merkmal des Spiels. Entsch. des Reichsgerichts Band 38 Seite 205.
Die Rechtsansicht des Landgerichts kann nicht als zutreffend erachtet werden.
Nach wird bestraft, wer aus dem Glücksspiel ein
Gewerbe macht. Der Täter muß spielen und dabei die Absicht haben, durch
Fort-
setzung des Spiels sich eine Einnahme zu verschaffen. Auf seine Rechnung
muß das Spiel gehen. Entsch. des Reichsgerichts in Strafsachen Band 14 Seite 28.
Er muß Vertragspartei des Spielvertrages sein; sonst spielt er nicht. Aus dem
Glücksspiel macht nicht ein Gewerbe, wer das Glücksspiel anderer vermittelt
und dabei beabsichtigt, aus der Fortsetzung der Vermittelung sich
Vermögens-
vorteile zu verschaffen. Das Landgericht bezeichnet die von den ausländischen
Buchmachern gezahlten 5% und die von den Wettenden entrichteten
Auftrags-
gebühren als Vermittlerprovision oder (in erkennbarem Anschluß an
Reichs-
gericht, Rechtsprechung Band 7 Seite 17) als Unternehmergewinn. Seine
Aus-
führung begründet aber nicht, weshalb nicht denselben Charakter die Abzüge
haben, die der Angeklagte nach seinen üblichen Bedingungen von den
Ge-
winnen machen durfte und machte: 5% von jedem Gewinne, die Überschüsse
über das 20 fache oder 5 fache der Einsätze, die Bruchteile. Daß der Angeklagte
diese Vorteile nur unter der Bedingung erhielt, daß gewonnen wurde, die
Gewinne das 20 fache oder 5 fache überstiegen oder mit Bruchteilen endeten,
steht dem Charakter als Vergütung für die Vermittelung nicht entgegen.
Der Hinweis auf die Entscheidungen des Reichsgerichts Band 29 Seite 376
trifft nicht zu. In dem damals abgeurteilten Falle hatte der Angeklagte als
Roulette-Halter mit jedem Einsetzenden gespielt, indem er freilich durch
gleich-
zeitiges Spiel mit den andern Einsetzenden sich deckte und einen Verlust als
Erfolg einer Roulette-Drehung nach Möglichkeit vermied. Er spielte; er nahm
an den Wechselfällen des Spieles unmittelbar teil. Unmittelbar hat aber
der Angeklagte Karl Welter an den Spielchancen seiner Wetter nicht
teil-
genommen, sondern nur mittelbar, weil zwar die Höhe seines Nutzens
von dem Ausfalle der Wetten abhing, er selbst aber nicht wettete. Eine
mit-
telbare Teilnahme an dem Glücksspiel anderer d.h. ein vermögensrechtliches
Interesse an einem solchen genügt für den Tatbestand des selbst dann nicht, wenn dies Interesse durch Vermittelung des
Glücksspiels entsteht.
Somit wird durch die Urteilsbegründung nicht die Feststellung
ge-
rechtfertigt, daß der Angeklagte in den Jahren 1902 bis etwa zum Mai
1905 in Berlin und dem übrigen Inlande (btr. Rhenania) und vom
Febru-
ar 1905 bis zum 22. Juli 1905 in Berlin (btr. Sportbörse) aus dem
Glücks-
spiel ein Gewerbe gemacht hat.
zu II C des Urteils.
Der Angeklagte Karl Welter wollte nach dem Inkrafttreten des
Reichsgesetzes vom 4. Juli 1905, betr. die Wetten bei öffentlich
veranstalte-
ten Pferderennen, im Anschluß an sein vorhergehendes Verhalten aus dem
Glücksspiel ein Gewerbe machen. Zur Umgehung des neuen Gesetzes
wur-
den die beiden Berliner Filialen der Sportbörse zu sogenannten
Inkassobu-
reaus einer von ihm in Vaals (Holland) gegründeten Sportsociété
um-
gewandelt und ein gleiches Inkassoburau in Frankfurt a/M. geschaffen.
Seine Angestellten in Vaals nahmen die ihnen zugesandten Wetten
in Empfang, rechneten auf Grund der Rennresultate die Gewinne aus
und schickten die Ausrechnungen an die Wettenden und die
Inkassobu-
reaus zurück. Der Angeklagte gab aber die in den Inkassobureaus
ange-
nommenen Wetten nicht weiter, sondern machte sie „in sich“, hielt sie auf
ei-
gene Rechnung und Gefahr. Im Inlande wurde der Auftrag gegeben
und im Inlande ausgezahlt. Das Wettgeschäft wurde im Inlande
ein-
geleitet und gelangte auf dem Umweg über Holland, der gänzlich
un-
nötig war, im Inlande zur Erfüllung.
Diese noch näher begründeten Feststellungen rechtfertigen die
Folge-
rung, daß der Angeklagte im Juli und August 1905 in Berlin und
Frank-
furt a/M. aus dem Glücksspiel eine Gewerbe gemacht hat.
Hierin ist von der Strafkammer nicht ein selbständiges Vergehen,
son-
dern der letzte Teil desjenigen Vergehens gegen
erblickt, welches von dem Angeklagten durch sein Verhalten bei der Rhenania
und der Sportbörse begonnen ist. Da dieses Verhalten nach der
Urteilsbe-
gründung unzutreffend als gewerbsmäßiges Glücksspiel erachtet ist, muß
wegen der Einheit der Tat die Aufhebung der Verurteilung aus sich auch auf die an sich rechtsbedenkenfreie Feststellung des
in der Form einer angeblichen Sportsociété in Vaals betriebenen
gewerbs-
mäßigen Glücksspiels erstrecken.
Mit der bezeichneten Verurteilung muß wegen der angenommenen
Tateinheit auch die Verurteilung wegen Vergehens gegen das
Reichsstem-
pelgesetz, begangen vor dem Inkrafttreten des sog. Totalisatorgesetzes,
aufgehoben werden.
Betr. die Angeklagten zu 2–11, 14–22.
Tandler, Vette, Haar, Motz, Worbs, Sommerfelt, Kleszcz, Rienau,
Prior, Roulund, Strebelow, Gever, Julius Welter, Georg Welter,
Philippsberg, Blaschke, Weil, Kirschner, Zemke.
Diese Angeklagte sind verurteilt wegen Beihilfe zu demjenigen
gewerbs-
mäßigen Glücksspiele, das der Angeklagte Karl Welter durch den Betrieb
der Rhenania und der Sportbörse ausgeübt haben soll. Die Beihilfe, welche
Philippsberg und Blaschke später dem Karl Welter zu dem in der Form
der Inkassobureaus 1905 betriebenen gewerbsmäßigen Glücksspiel
festge-
stelltermaßen geleistet haben, ist nach den Urteilsgründen keine
selbständi-
ge Handlung.
Diese Verurteilung der Angeklagten ist aufzuheben, weil das
gewerbs-
mäßige Glücksspiel in der Rhenania und der Sportbörse nicht bedenkenfrei
festgestellt ist.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, welche Verletzung des
mate-
riellen Rechts, wenngleich nur in einer Richtung, rügt, wirkt zugunsten
derjenigen Angeklagten, auf welche sie sich bezieht. Außerdem ist die
Vo-
raussetzung des der Strafprozeßordnung gegeben.
Somit erfolgt die Aufhebung der Verurteilung
-
a. auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft:
zu 3, 6–8, 19–22; -
b. auf die Revisionen der Angeklagten: zu 2, 4, 10, 16, 17; -
c. auf die Revision der Staatsanwaltschaft und nach : zu 5, 11,14,18; -
d. nach : zu 9, 15.
Zwölf der genannten Angeklagten sind ferner wegen Vergehens
gegen die §§ , des Reichsstempelgesetzes vom 14. Juni 1900 verurteilt.
Diese Verurteilung muß aufgehoben werden, weil angenommen ist,
daß das Steuervergehen in Tateinheit mit der Beihilfe zum Vergehen
des Karl Welter gegen begangen sei.
Dadurch erledigt sich die Revision der Staatsanwaltschaft, welche
die Annahme der Tateinheit bekämpft.
Betr. den Angeklagten zu 23, Thieme.
Der Angeklagte Thieme ist, ebenso wie Cron, der keine Revision
einge-
legt hat, nur auf Grund der Feststellung verurteilt, daß er vom 22. Juli
1905 ab in dem sogenannten Inkassobureau in Frankfurt a/M. dem
An-
geklagten Karl Welter zur Begehung des gewerbsmäßigen
Glücks-
spiels wissentlich durch die Tat Hilfe geleistet habe. Diese Feststellung
ist auf Grund der für erwiesen erachteten Tatsachen weder nach materiellem
Recht noch nach zu beanstanden, während
ihre tatsächliche Richtigkeit nicht mit Erfolg angefochten werden kann.
Sie rechtfertigt die Verurteilung des Angeklagten Thieme zu 3 Tagen Gefängnis
und die Verwertung seiner Revision. Zwar muß die Verurteilung des
Ange-
klagten Karl Welter wegen desjenigen gewerbsmäßigen Glücksspiels, zu
welchem der Beschwerdeführer Beihilfe geleistet hat, aufgehoben werden. Diese
Aufhebung gründet sich aber nicht darauf, daß die Tat nicht genügend
festge-
stellt sei, sondern darauf, daß sie, obgleich rechtsirrtumsfrei festgestellt, als Teil
eines nicht in seinem ganzen Umfange rechtlich zufreffend gewürdigten Gesamt-
vergehens keiner Ausscheidung durch das Revisionsgericht fähig ist. Der
Rechts-
irrtum der Strafkammer bei der Beurteilung des Betriebes der Rhenania
und der Sportbörse hat die Feststellung weder des von Karl Welter
vom 22. Juli 1905 ab betriebenen gewerbsmäßigen Glücksspiels nach der vom
Beschwerdeführer dazu geleisteten Beihilfe beeinflußt. Da diese beiden
Fest-
stellungen rechtsbedenkenfrei getroffen sind und da der Angeklagte Thieme
eine in dem Urteil enthaltene Gesetzesverletzung, welche die ihm zur Last
fallende strafbare Handlung unberührt läßt, nicht mit Erfolg rügen kann, so
darf aus der Notwendigkeit, die Verurteilung des Karl Welter aus § 284
des Strafgesetzbuchs in vollem Umfange aufzuheben, nicht gefolgert werden,
daß auch die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beihilfe aufzuheben
ist.
Betr. den Angeklagten zu 12, Süßkind.
-
a. Der Angeklagte Süßkind ist wegen Beihilfe in dem gewerbsmäßigen
Glücksspiel des Karl Welter bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 4. Juli
1905 und wegen Vergehens gegen §§ , des Reichsstempelgesetzes, in
Tateinheit begangen, zu 3 Wochen Gefängnis und 400 M Geldstrafe verurteilt.
Diese Verurteilung muß auf seine Revision und auf die Revision der
Staatsanwaltschaft aufgehoben werden, wie die Verurteilung der Ange-
klagten zu 3, 6–8, 19–22. -
b. Er ist ferner zu 4 Wochen Gefängnis und 600 M Geldstrafe verurteilt,
weil für erwiesen erachtet ist, daß er seit dem 22. Juli 1905 unter der Form
einer Sportsociété in Amsterdam und eines Inkassobureaus in Hannover
aus dem Glücksspiel ein Gewerbe gemacht habe. Diese Feststellung und
der Ausspruch, daß er die Tat im Inlande begangen habe, werden durch
die Begründung gerechtfertigt. Insoweit ist also seine Revision un-
begründet.
Die vorstehenden Ausführungen ergeben, daß auch die angeordnete
Einziehung von Wettgeldern nicht aufrecht zu erhalten ist.
gez. . . . .
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